# taz.de -- Erdogan-Kritiker soll abgeschoben werden: In die Heimwehfalle getap… | |
> Der Journalist und türkische Regimekritiker, Adil Yiğit, hat sich | |
> jahrzehntelang gegen Abschiebungen in die Türkei engagiert. Nun droht sie | |
> ihm selbst. | |
Bild: Soll zurück in die Türkei: Regime-Kritiker Adil Yigit. | |
Hamburg taz | Das rot-grün-regierte Hamburg versucht, den Journalisten | |
türkischer Herkunft und taz-Autoren Adil Yiğit nach 35 Jahren aus der | |
Hansestadt in die Türkei abzuschieben. Das „Fachamt für Einwohnerwesen – | |
Fachbereich Ausländerangelegenheiten“ im Bezirksamt Hamburg-Mitte teilte | |
Yiğit am 21. November vorigen Monats mit, dass es seinen Antrag auf | |
Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung nach dem Aufenthaltsgesetz ablehnen | |
wolle. Der Grund: die „familiäre Lebensgemeinschaft“ mit seinen beiden | |
minderjährigen deutschen Kindern bestehe nicht mehr, da diese nach seinen | |
eigenen Angaben zurzeit bei der Mutter in der Türkei lebten. „Ferner sind | |
Sie nicht erwerbstätig“, so das Amt. | |
Seit dem 23. November befindet sich Yiğit aber in einer sechsmonatigen | |
Maßnahme des Jobcenters Hamburg, um sozialpädagogische Kenntnissen | |
aufzufrischen, damit er wieder als Sozialarbeiter arbeiten kann. „Den | |
Bescheid darüber habe ich der Sachbearbeiterin gezeigt, das hat sie aber | |
nicht interessiert“, berichtet Yiğit. | |
In der Tat befinden sich seine Lebensgefährtin türkischer Herkunft und die | |
beiden gemeinsamen Kinder, 11 und 17 Jahre alt, zurzeit in der Türkei, | |
obwohl alle drei über die deutsche Staatsangehörigkeit und deutsche Pässe | |
verfügen. „Sie wollen es einfach mal dort probieren“, so Yiğit. „Wenn es | |
nicht klappt, kommen sie zurück.“ Bis zum heutigen Dienstag hat er Zeit, | |
sich zu dem Bescheid zu äußern. | |
## Ausschluss vom G20-Gipfel | |
Für Yiğit kommt der Zeitpunkt einer solche Attacke zwar überraschend, sie | |
sei jedoch kein Zufall: „Es ist eine politische Entscheidung, für die nicht | |
die Sachbearbeiterin allein verantwortlich ist“, ist Yiğit überzeugt. Dem | |
Journalisten, der das regimekritische online Medium Avrupa Postasıin | |
Hamburg betreibt, war beim G20-Gipfel in Hamburg trotz Akkreditierung die | |
Zugangsberechtigung zum Bundes-Pressezentrum entzogen worden. Yiğit | |
vermutet, dass dies mit Druck des türkischen Geheimdienstes MIT zu tun | |
gehabt hat. Der Ausschluss sorgte bundesweit für Schlagzeilen. „Dafür soll | |
ich jetzt bestraft werden“, so der 58-Jährige. | |
Yiğit, der einst der militanten marxistisch-sozialistischen Organisation | |
„Devrimci Sol“ („Revolutionäre Linke“) angehörte, war 1978 bei einem | |
Handgranaten- Überfall von faschistischen Grauen Wölfen schwer verletzt | |
worden und anschließend aus der Türkei nach Frankreich geflohen, das ihn | |
als politischen Flüchtling anerkannte. Anfang der 1980er-Jahre kam Yiğit | |
nach Hamburg, wo er eine taz-Redakteurin heirate und zwei Kinder mit ihr | |
bekam. Er arbeitete damals als Sozialarbeiter und Jugendbetreuer bei der | |
Sozialbehörde und bekam eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. | |
Auch in Deutschland engagierte sich Yiğit gegen die autoritären Regime in | |
der Türkei. Nach dem Suizid von Kemal Altun, der 1983 aus Angst vor einer | |
Abschiebung in die türkische Militär-Diktatur in den Tod gesprungen war, | |
kämpfte Yiğit auch gegen Abschiebungen in das Land. Es ist maßgeblich | |
seinen Aktivitäten zu verdanken, dass der Platz auf dem ehemaligen Menck & | |
Hambrock-Gelände in Hamburg-Ottensen heute Kemal Altun-Platz heißt. | |
Mit dem Gesetz in Konflikt kam Yiğit 1996, nachdem er für türkische | |
politische Weggefährten eine Wohnung angemietet hatte, die dort konspirativ | |
Waffen lagerten. Er wurde zu zwei Jahren und acht Monate Haft verurteilt, | |
obwohl er mit der Waffenlagerung direkt nichts zu tun hatte. Seine | |
unbefristete Aufenthaltsgenehmigung wurde nach dem Urteil in befristete | |
zweijährige Genehmigungen umgewandelt. | |
## Falscher Eindruck von der Türkei | |
Dann machte Adil Yiğit einen Fehler. Einerseits erklärte die Hamburger | |
Ausländerbehörde, dass die alle zwei Jahre stattfindenden Frankreich-Reisen | |
zur Verlängerung der Asylbescheinigung überflüssig seien. Andererseits | |
schienen die große Protestwelle um den Gezi-Park und den Taksim-Platz eine | |
demokratische Entwicklung in der Türkei voranzubringen. Yiğit gab seinen | |
Flüchtlingspass ab und beantragte einen türkischen Pass. | |
„Ich habe mehr als Dreiviertel meines Lebens dafür geopfert, für | |
demokratische Verhältnisse in der Türkei zu kämpfen, ich wollte einfach vor | |
Ort dabei sein und nicht hier vom Computer aus zuschauen“, erinnert sich | |
Yigit. Irgendwann wolle man zurück, nicht nur für kurze, illegale Besuche. | |
„Ich wollte direkt mit den Leuten reden, auch darüber, was wir für Fehler | |
gemacht haben“, konstatiert Yiğit. Denn viele Freunde seien von der | |
türkischen Regierung ermordet worden. | |
## Der türkische Geheimdienst schnüffelt | |
Doch jetzt ist die Situationen eine andere: eine Rückkehr in die Türkei | |
unter den aktuellen politischen Bedingungen kommt für Yiğit einem Gang in | |
den Hochsicherheitstrakt gleich. Denn der Geheimdienst MIT hat seine | |
Aktivitäten in Deutschland stets beobachtet, erst Ende vergangenen Jahres | |
war Yiğit in Hamburg Ziel einer MIT-Operation geworden, die sich auf seine | |
Kontakte zu türkischen Kurden richtete. Auch dass Yiğit in der | |
Vergangenheit einmal ein Dev Sol-Ausbildungslager in unmittelbarer Nähe | |
eines Ausbildungslagers der Kurdischen Arbeiterpartei PKK im syrischen | |
Damaskus besucht hat, dürfte den Agenten des Erdoğan-Regimes nicht im | |
Verborgenen geblieben sein. | |
Die momentane Situation „ist mir peinlich“, sagt Yiğit. Nachdem er | |
hunderten Menschen bei ihren Asylverfahren geholfen habe, „schäme ich mich | |
nun, dass ich mich wegen meines eigenen Falles an die Öffentlichkeit wenden | |
muss“. Die Sprecherin des Bezirksamts Hamburg-Mitte, Sorina Weiland, kann | |
aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Stellungnahme abgeben. Sie deutet | |
allerdings an, dass die letzte Entscheidung noch nicht gefallen sei. „Er | |
kann ja noch andere Gründe außer den Kindern vorbringen, die einen | |
Aufenthalt rechtfertigen.“ | |
4 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Kai von Appen | |
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