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# taz.de -- Adil Yiğit über seine Abschiebung: „Ich werde bestraft“
> Der Erdoğan-kritische Journalist Adil Yiğit lebt seit über 30 Jahren in
> Deutschland. Jetzt droht ihm die Abschiebung. Ein Gespräch über
> hartnäckige Hoffnungen.
Bild: Nicht geschaffen fürs bequeme Wegschauen: der Sozialarbeiter und Journal…
taz: Herr Yiğit, im April feiern Sie Ihren 60. Geburtstag. Wissen Sie
schon, wo Sie feiern werden?
Adil Yiğit: Ehrlich gesagt weiß ich das noch nicht genau. Ich denke, ich
werde im kleinen Freundeskreis feiern. Hoffentlich hier in Hamburg.
Ihre Aufenthaltsgenehmigung endet am 20. Februar. Das zuständige Amt hat
angekündigt, eine Verlängerung nicht genehmigen zu wollen. Dagegen haben
Sie allerdings Einspruch eingelegt. Haben die Behörden darauf bereits
reagiert?
Nein. Mein Anwalt hat schon im Dezember eine Stellungnahme zu meinem
Bescheid abgegeben. Das Amt begründet den Bescheid unter anderem damit,
dass ich nicht erwerbstätig bin. Allerdings besuche ich seit November eine
Maßnahme des Arbeitsamtes, um wieder als Sozialarbeiter arbeiten zu können.
Bisher habe ich trotzdem noch keine Antwort auf meinen Einspruch erhalten,
überhaupt keine Reaktion.
Also müssen Sie einfach abwarten?
Es scheint so. Für mich ist das alles ein großes Fragezeichen. Ich weiß
nicht, warum das so lange dauert.
Wie fühlt es sich an, nach so langer Zeit in Deutschland plötzlich von
Abschiebung bedroht zu sein?
Ich bin traurig und durcheinander. Mein Umfeld weiß natürlich von meiner
Situation. Wenn jemand fragt, wie die aktuelle Situation ist, fällt mir
eine Antwort schon sehr schwer. Was soll ich sagen? Ich weiß es nicht. Das
alles ist mir schon sehr peinlich.
Warum peinlich?
Ich weiß nicht, welches Wort ich sonst benutzen sollte. Eigentlich ist es
eine Unverschämtheit. Nach so vielen Jahren in Deutschland, in denen ich
mir hier mein Leben aufgebaut und eine Familie gegründet habe, bin ich nun
von Abschiebung bedroht. Manchmal frage ich mich, ob das nur ein böser
Traum ist.
Sie erhalten viel Unterstützung, unter anderem von der Deutschen
Journalistinnen- und Journalistenunion (DJU), die für Sie ein Bleiberecht
fordert.
Das stimmt, es gibt einige Organisationen, die sich sehr für mich
einsetzen. Besonders die Unterstützung meiner Journalistenkollegen freut
mich sehr. Das fühlt sich super an. Deshalb fühle ich mich nicht ganz
alleine.
Gibt es auch Seiten, von denen Sie sich mehr Unterstützung wünschen würden?
Ja, von den türkischen Journalisten in Hamburg. Das ist ein Verein, den ich
2010 selbst mit gegründet habe. Zwei Jahre lang war ich sogar zweiter
Vorsitzender. Jetzt habe ich meine Mitgliedschaft aber beendet.
Warum?
Weil der Verein zu vielen Fällen von in der Türkei inhaftierten
Journalisten, unter anderem auch im Fall von Deniz Yücel, nicht einmal eine
Erklärung abgegeben hat. Neunzig Prozent der Mitglieder sind regierungsnahe
Journalisten. Bei Veranstaltungen werden immer wieder Vertreter vom
türkischen Konsulat eingeladen. Das alles habe ich bereits mehrfach
kritisiert. Zu meinem Fall wurde dann lediglich eine zweizeilige formale
Erklärung abgegeben. Da hat es mir einfach gereicht.
Wie erklären Sie sich das Verhalten Ihrer KollegInnen?
Manche sagen, sie können nicht objektiv sein, weil sie noch mal in die
Türkei zurückkehren wollen. Ich denke jedoch, wenn etwas wahr ist, dann
muss es auch geschrieben werden. Wir können nicht so tun, als würden wir
nichts sehen und nichts hören und einfach schweigen. Wir können nicht diese
Drei-Affen-Rolle spielen.
Haben Sie das Gefühl, mit der drohenden Abschiebung für Ihre Vergangenheit
bestraft zu werden?
Ich bin mir sicher, dass ich für das, was ich in der Vergangenheit gemacht
habe, bestraft werde. Allerdings mit anderen Methoden.
Sie spielen darauf an, dass Ihnen beim G20-Gipfel nachträglich die
Akkreditierung entzogen wurde.
Ja, das ist alles kein Zufall. Das Bundeskriminalamt hat sich zwar
entschuldigt und gesagt, es hätte eine Verwechslung vorgelegen, aber das
glaube ich nicht. Deshalb beteilige ich mich auch weiter an der Sammelklage
gegen das Bundespresseamt. Und nun zeigen mir die da oben, wer der Stärkere
ist.
Sie gehörten einst der militanten marxistisch-sozialistischen Organisation
„Devrimci Sol“ („Revolutionäre Linke“) an und engagierten sich auch in
Deutschland gegen das Regime in der Türkei. Wie blicken Sie jetzt auf diese
Zeit zurück?
Da bin ich gespalten. Einerseits habe ich sehr gute Sachen gemacht. Ich
hatte den Traum von einer demokratischen Türkei und dafür habe ich
gekämpft. Andererseits hatte unsere Bewegung auch Flecken, da gibt es
nichts schönzureden und es tut mir sehr leid, dass unsere Geschichte auf so
traurigen Dingen basiert.
Sie saßen mehr als zwei Jahre in Haft, weil in einer von Ihnen angemieteten
Wohnung Waffen gefunden wurden.
Es war ein Fehler, was ich damals getan habe. Ich hatte ein eigenes
Geschäft, ein Reisebüro. Auf Bitte einiger Freunde habe ich diese Wohnung
angemietet. Es war damals so üblich unter Genossen, dass man sich solche
Gefallen tut. Ich selbst war nur ein oder zwei Mal in der Wohnung. Was dort
gefunden wurde, gehörte nicht mir. Das ist nun 20 Jahre her. Ich bin mir
meiner Fehler trotzdem bis heute bewusst und habe teuer dafür bezahlt,
nicht nur mit der Haft.
Wodurch noch?
Von einem Tag auf den anderen habe ich mein Geschäft verloren. Ich war von
einem Tag auf den anderen von meiner Familie getrennt. Das war ein großer
Bruch, unter dem ich immer noch leide. So etwas möchte ich nicht noch mal
erleben.
Sie haben sich deshalb von jeglichen politischen Organisationen losgesagt
und ein neues Leben angefangen.
Auch das war nicht einfach. In der Organisation galt ich als Verräter, weil
ich ausgestiegen bin und die Morde an den eigenen Genossen als falsch
verurteilte. Und weil ich immer noch politisch aktiv bin, fragt sich die
Öffentlichkeit, ob ich mich wirklich davon distanziert habe. Sie wollen
mich als Funktionär einer bestimmten Organisation sehen. Das bin ich aber
nicht. Ich muss keiner Organisation angehören, um mich gegen die
politischen Entwicklungen in der Türkei und in Kurdistan einzusetzen.
Sondern?
Ich mache ganz harmlose und demokratische Dinge, mit denen ich nicht einmal
Geld verdiene. Zum Beispiel habe ich gerade Briefmarken drucken lassen, auf
denen die Bilder von zu Unrecht in der Türkei inhaftierten Menschen zu
sehen sind. Und ich nutze natürlich meine journalistischen Möglichkeiten.
Was treibt Sie an?
Ich könnte es mir schön gemütlich machen. Ich bin fast 60, habe Kinder und
ein warmes Zuhause. Aber das bin ich einfach nicht. Ich fühle mich nicht
wohl, solange es Menschenrechtsverletzungen in der Türkei und in Kurdistan
gibt. Ich kann nicht einfach wegschauen.
Sind Sie sehr politisch erzogen worden oder woher kommt Ihr Engagement?
Ich komme aus einer aufgeklärten sozialdemokratischen Familie. Wir haben
damals ein kleines Kino betrieben. Ich durfte die Filme, die wir zeigten,
immer mit aussuchen. Das hat mich sehr neugierig gemacht. Der Ort, in dem
wir gelebt haben, war traditionell reaktionär. Trotzdem haben unsere Filme
den Menschen viel Freude bereitet. Das hat mich sehr beeindruckt und mir
gezeigt, dass man zwar viel reden kann, aber es auch andere Arten der
Kommunikation gibt.
Hätten Sie die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt, müssten Sie heute
nicht ihre Abschiebung fürchten. Warum haben Sie das nie getan?
Ehrlich gesagt wollte ich das nicht. Natürlich habe ich hier einen
wichtigen Teil meines Lebens verbracht. Ich habe hier eine Familie
gegründet. Aber immer, wenn ich darüber nachgedacht habe, habe ich mich
auch gefragt: Wofür kämpfe ich? Für eine türkische Demokratie. Mein Traum
war immer, irgendwann in die Türkei zurückzukehren und Politik zu machen.
Das hat mich immer davon abgehalten, die Staatsbürgerschaft zu beantragen.
Mit einem deutschen Pass wäre das nicht möglich gewesen.
Das klingt so, als wäre das heute nicht mehr Ihr Traum.
Leider ist das manchmal so mit Träumen: Sie können nicht immer verwirklicht
werden.
Also haben Sie die Hoffnung aufgegeben?
Nein, die Hoffnung habe ich nicht aufgegeben. Ich hoffe immer noch auf ein
politisches Erdbeben, auf eine demokratische Türkei. Aber die Realität
bindet mir die Hände. Solange die westlichen Länder mit der türkischen
Regierung flirten und ihre schmutzigen Waffengeschäfte fortführen, kann ich
aber nur davon träumen.
5 Feb 2018
## AUTOREN
Marthe Ruddat
## TAGS
Schwerpunkt G20 in Hamburg
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Abschiebung
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