# taz.de -- Prozessauftakt in der Türkei: Kein Freispruch für Meşale Tolu | |
> Die deutsche Journalistin Meşale Tolu verteidigt sich gegen den Vorwurf | |
> der Terrorunterstützung. Das Gericht entschied die Fortsetzung ihrer | |
> Haft. | |
Bild: Hinter Absperrgittern: der Prozess gegen Meşale Tolu in Silivri | |
BERLIN taz | Nach fünfeinhalb Monaten in Untersuchungshaft konnte sich die | |
deutsche Journalistin und Übersetzerin Meşale Tolu am Mittwoch vor Gericht | |
verteidigen. Im Prozess in der Silivri-Haftanstalt sind neben Tolu 17 | |
weitere Personen angeklagt, auch der freie Fotograf Ulaş Ömer Sezgin. | |
Das Gericht entschied sich am Mittwochabend – obwohl zunächst zwei | |
Prozesstage angedacht waren – für die Freilassung von acht der angeklagten | |
Personen, darunter auch der Fotograf Sezgin. Tolu dagegen soll weiterhin in | |
Haft bleiben. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass es bei | |
jenen Angeklagten, die weiterhin in Haft bleiben sollen, eine hohe | |
Fluchtgefahr und eine starke Beweislage gebe. | |
Nach dem Beschluss sagte ihre Schwester Gülay Tolu der taz: „Das ist eine | |
politisches Entscheidung. Meine Schwester ist wegen den selben Vorwürfen | |
angeklagt wie auch die Angeklagten, die freigelassen wurden.“ Sie äußerte | |
außerdem Unmut über die geringe Unterstützung: „Wo waren die, die im | |
Wahlkampf immerzu von Meşale sprachen, heute?“ | |
In ihrer Verteidigungsrede unterstrich Meşale Tolu immer wieder die | |
Wichtigkeit von Meinungs- und Pressefreiheit sowie deren zunehmende | |
Beseitigung in der Türkei, insbesondere seit Ausrufung des | |
Ausnahmezustands. Die Inhaftierung ihrer selbst und anderer | |
Journalist*innen sei Teil eines generellen Angriffs auf die Presse im Land. | |
Die Staatsanwaltschaft wirft der Mitarbeiterin der linken | |
Nachrichtenagentur ETHA die Mitgliedschaft in der linksradikalen, | |
marxistisch-leninistischen Partei MLKP vor, die in der Türkei als | |
Terrororganisation gilt. | |
[1][Die Vorwürfe gegen Tolu], die sich auf die Aussage eines sogenannten | |
anonymen Zeugen beziehen, enthalten auch „Terrorpropaganda“. Tolu wird | |
vorgeworfen, auf Beerdigungen von Mitgliedern terroristischer | |
Organisationen erschienen zu sein. Die Anklageschrift gegen Tolu wurde | |
bereits im August vorgelegt. | |
## Eine Erklärung des Vaters wird unterbrochen | |
Für Aufsehen und Proteste sorgte bei Prozessbeginn folgender Umstand: | |
Mustafa Çakar, der vorsitzende Richter des Prozesses, ist zugleich jener | |
Richter, der Tolu im Mai in Untersuchungshaft nehmen ließ. Weil dies | |
rechtswidrig ist, legten die Anwälte Widerspruch ein. Dieser wurde vom | |
Gericht abgelehnt. Kader Tonç, Tolus Anwalt, sagte vor Gericht: „Der | |
Gerichtsvorsitzende verlor bereits seine Neutralität. Der Prozess beginnt, | |
ebenso wie die Ermittlungen, in rechtswidriger Weise.“ | |
Vor Prozessbeginn verlas ihr Vater, Ali Rıza Tolu, eine Presserklärung vor | |
dem Gerichtsgebäude: „Die Vorwürfe gegen meine Tochter, einer | |
Terrororganisation anzugehören, sind unbegründet. Sie bewerten die | |
Informationsweitergabe als Straftat. Meine Tochter hat einen dreijährigen | |
Sohn. Ich glaube daran, dass sie freigesprochen wird.“ Während der | |
Erklärung wurde Tolus Vater von Sicherheitskräften unterbrochen – er konnte | |
nicht fortsetzen. | |
Es kam während des Prozesses so weit zu keinen weiteren Vorfällen. Die | |
Besucher*innenzahlen halten sich in Grenzen. Das mag auch daran liegen, | |
dass das Gericht 80 Kilometer von Istanbul entfernt ist. | |
Dennoch erschienen zahlreiche türkische und deutsche | |
Medienvertreter*innen, auch Politiker*innen kamen zum Ort der | |
Verhandlung, darunter Heike Hänsel, stellvertretende Vorsitzende der | |
Linksfraktion im Bundestag, sowie Erdal Ataş, Abgeordneter der HDP und die | |
stellvertretende Vorsitzende der HDP, Beycan Taşkıran. | |
## Zum betreffenden Zeitpunkt in Deutschland gewesen | |
Laut der Nachrichtenagentur ETHA wies Tolu in ihrer Verteidigungsrede die | |
Vorwürfe gegen sich zurück und beteuerte immer wieder, dass ihre | |
Nachrichtenagentur ETHA lediglich ihre Aufgabe erfüllt habe, die | |
Öffentlichkeit zu informieren. | |
Über die Vorwürfe der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, genauer | |
im Ableger der Marxistisch-Leninistischen Partei (MLKP) im Istanbuler | |
Gazi-Viertel, sagte sie, dass der sogenannte geheime Zeuge nicht einmal | |
ihren Namen kenne. Außerdem habe sie sich in der Zeit zwischen 2014 und | |
2015, auf die sich die Vorwürfe in der Anklageschrift beziehen, in | |
Deutschland befunden und sei schwanger gewesen. | |
In der Zeit danach, in Istanbul, habe sie in Kartal gewohnt, auf der | |
anderen Seite der Stadt. Zu absurd wäre es gewesen, in dieser Zeit mit | |
einem fünfmonatigen Kind jeden Tag zwischen Kartal und Gazi zu pendeln, wo | |
sie in ihrem Leben ohnehin nur viermal gewesen sei. | |
„Es ist keine Straftat, auf die Beerdigung von jenen zu gehen, die im Kampf | |
gegen den IS gefallen sind. Auch die Türkei, ein Nato-Mitglied, ist gegen | |
den IS.“, entgegnete sie auf die Anschuldigungen, 2014 und 2015 an | |
Beerdigungen von Mitgliedern terroristischer Organisationen teilgenommen zu | |
haben. Die Teilnahme an solchen Aktivitäten sei geschützt von der | |
Meinungsfreiheit. | |
## Der dreijährige Sohn wird mitbestraft | |
Der Fotograf Ulaş Ömer Sezgin sagte in seiner Verteidigung: „Ich bin in | |
Haft wegen meiner Tätigkeit als Journalist.“ | |
Grünen-Politiker Cem Özdemir äußerte sich auf Twitter: „Wenn die türkisc… | |
Justiz tatsächlich unabhängig ist, kann sie das heute beweisen und Meşale | |
Tolu freilassen.“ Heike Hänsel sagte Reuters: „Es müsste eine sofortige | |
Freilassung erfolgen, wenn man sich die Anklageschrift anschaut, weil sie | |
nichts standhält.“ Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes sprach von der | |
„Hoffnung, dass es ein rechtsstaatliches und faires Verfahren gibt“. | |
Tolu, die bei ihrer Verteidigung auch betonte, dass mit ihrer Haft auch ihr | |
dreijähriger Sohn bestraft werde, forderte ihre Freilassung. Das Gericht | |
entschied sich dagegen. Der kommende Prozesstag ist für den 18. Dezember im | |
Istanbuler Justizpalast Çağlayan angesetzt. | |
11 Oct 2017 | |
## LINKS | |
[1] /Politische-Gefangene-in-der-Tuerkei/!5454181/ | |
## AUTOREN | |
Volkan Ağar | |
Dilek Şen | |
## TAGS | |
Türkei | |
Pressefreiheit in der Türkei | |
Mesale Tolu | |
Abschiebung | |
Türkei | |
Pressefreiheit in der Türkei | |
Mesale Tolu | |
Schwerpunkt Türkei | |
taz.gazete | |
Journalismus | |
taz.gazete | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Erdogan-Kritiker soll abgeschoben werden: In die Heimwehfalle getappt | |
Der Journalist und türkische Regimekritiker, Adil Yiğit, hat sich | |
jahrzehntelang gegen Abschiebungen in die Türkei engagiert. Nun droht sie | |
ihm selbst. | |
Türkisch-Unterricht: Eine lokal-nationale Affäre | |
Türkische Lehrkräfte erteilen Türkischunterricht an Schulen – vom | |
türkischen Generalkonsulat organisiert. Eine Mietforderung des Bezirks | |
Mitte sorgt für Streit. | |
25 Monate Haft für Journalistin: Härter wegen „Terrorpropaganda“ | |
Nach der Verurteilung der türkisch-finnischen Journalistin Ayla Albayrak | |
wird in Skandinavien gefordert, die türkische Regierung anzugehen. | |
Politische Gefangene in der Türkei: Prozess gegen Mesale Tolu beginnt | |
Die deutsche Journalistin Mesale Tolu steht ab Mittwoch in Silivri bei | |
Istanbul vor Gericht. Ihr droht eine Haftstrafe von 15 Jahren. | |
Deutscher Menschenrechtler in der Türkei: Ihm drohen 15 Jahre Gefängnis | |
Die Türkei erhebt Anklage gegen Peter Steudtner. Die Haft-Entlassung des | |
Menschenrechtlers hätte die Beziehung zu Deutschland verbessern können. | |
Meşale Tolu: „Bunun adı rehin almak“ | |
Terör örütü üyeliğiyle suçlanan Alman vatandaşı Meşale Tolu, 30 Nisan… | |
beri özgürlüğünden mahrum. 11 Ekim'de ilk kez hakim karşısına çıkacak. | |
Journalistin Tolu in türkischem Gefängnis: „Das ist eine Geiselnahme“ | |
Die deutsch-türkische Journalistin Meşale Tolu sitzt in Istanbul im | |
Gefängnis. Erst fünf Monate nach der Verhaftung wird ihr der Prozess | |
gemacht. | |
Meşale Tolu: „Das ist eine Geiselnahme“ | |
Die deutsch-türkische Journalistin Meşale Tolu sitzt in Istanbul im | |
Gefängnis. Erst fünf Monate nach der Verhaftung wird ihr nun der Prozess | |
gemacht. Wie fair kann er überhaupt sein? |