# taz.de -- Präsidentschaftswahl in der Türkei: Erdoğan darf erneut kandidie… | |
> Drei Kandidaten versuchen am 14. Mai gegen den amtierenden Präsidenten zu | |
> gewinnen. Die Verfassung erlaubt eigentlich nur zwei Amtszeiten. | |
Bild: Kontrolliert den Hohen Wahlrat: Präsident Recep Tayyip Erdoğan | |
ISTANBUL taz | Seit Donnerstagabend stehen die Kandidaten für die Wahl des | |
türkischen Präsidenten am 14. Mai fest: Neben dem amtierenden Präsidenten | |
Recep Tayyip Erdoğan sind das der [1][Oppositionsführer von der | |
sozialdemokratisch-kemalistischen CHP, Kemal Kılıçdaroğlu], und zwei | |
Vertreter von Kleinstparteien, [2][Muharrem Ince] und Sinan Oğan. Zuvor | |
hatte der Hohe Wahlrat der Türkei (Yüksek Seçim Kurulu) mehrere Einsprüche | |
gegen eine erneute Kandidatur von Erdoğan zurückgewiesen. | |
Die Parteien, die Einspruch gegen Erdoğan erhoben hatten, verweisen darauf, | |
dass er am 14. Mai zum dritten Mal Präsident werden will, die Verfassung | |
aber nur zwei Amtszeiten erlaubt. Der Hohe Wahlrat hat sich aber wenig | |
überraschend der Argumentation von Erdoğan und seiner Partei angeschlossen, | |
die sagen, nach der Verfassungsänderung von 2018, durch die aus einer | |
repräsentativen Präsidentschaft eine Präsidentschaft mit exekutiven | |
Vollmachten wurde, habe sich die Grundlage vollkommen verändert und Erdoğan | |
trete im neuen System jetzt völlig zu Recht erst zum zweiten Mal an. Die | |
Entscheidung war so erwartet worden, weil Erdoğan den Hohen Wahlrat | |
weitgehend kontrolliert, was bei der Auszählung der Stimmen am Wahltag und | |
dem Tag danach noch zu großen Problemen führen kann. | |
Mit Kemal Kılıçdaroğlu tritt erstmals seit Langem ein [3][Herausforderer | |
gegen Erdoğan an, der tatsächlich die Chance hat zu gewinnen]. Er wird von | |
einem großen Bündnis oppositioneller Parteien unterstützt. Außerdem ist | |
Erdoğan durch die Wirtschaftskrise und das Regierungsversagen [4][nach dem | |
Erdbeben stark geschwächt]. Zusätzlich wollen viele junge TürkInnen nach 20 | |
Jahren Erdoğan-Herrschaft endlich mal einen Wechsel an der Staatsspitze. | |
## Ein „trojanisches Pferd“ | |
Die beiden anderen Kandidaten, Muharrem Ince und Sinan Oğan, sind dagegen | |
reine Zählkandidaten. Sie dürfen kandidieren, weil sie es geschafft haben, | |
jeweils 100.000 Unterschriften für ihre Kandidatur zu sammeln. Vor allem | |
die Kandidatur von Ince hat zu heftigen Protesten innerhalb der Opposition | |
geführt. | |
Ince war bis vor ein paar Jahren selbst noch Mitglied der CHP und war | |
[5][bei den Präsidentschaftswahlen 2018 der Gegenkandidat Erdoğans]. Er | |
holte damals rund 30 Prozent der Stimmen. Trotz der Niederlage beanspruchte | |
er anschließend den Vorsitz der CHP, wurde aber von Kılıçdaroğlu | |
ausgebremst. Frustriert verließ er daraufhin die Partei und gründete einige | |
Jahre später die „Heimatpartei“, die in den Umfragen seitdem um ein oder | |
zwei Prozent kreist. | |
Trotzdem kann er Kılıçdaroğlu bei der Wahl schaden und im schlimmsten Fall | |
verhindern, dass Kılıçdaroğlu im ersten Wahlgang die notwendigen 50 Prozent | |
plus 1 erreicht. Viele Regierungskritiker mutmaßen deshalb, dass Ince | |
politisch ein polternder Populist sei: Der könne zwar gut reden, aber seine | |
100.000 Stimmen habe er nur mit der heimlichen Unterstützung der | |
regierenden AKP bekommen. Er ist ein „trojanisches Pferd“ Erdoğans, heißt | |
es. Kılıçdaroğlu hat am Donnerstag bei einem Besuch Inces in dessen | |
Parteizentrale einen letzten Versuch unternommen, ihn von einer Kandidatur | |
abzuhalten, scheiterte aber damit. | |
## Rechtsradikaler Kandidat | |
Der vierte Kandidat Sinan Oğan ist ein Rechtsradikaler, der vor allem auf | |
Fremdenfeindlichkeit setzt und gegen Syrer und andere Flüchtlinge in der | |
Türkei hetzt. Er könnte am ehesten Stimmen von der MHP, dem ebenfalls sehr | |
rechtsnationalistischen Koalitionspartner Erdoğans, abziehen. Das er | |
überhaupt 100.000 Unterstützer zusammengebracht hat, zeigt aber, wie sehr | |
Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in der Türkei in den letzten Jahren | |
zugenommen haben. | |
Obwohl die Parteien bei der gleichzeitig am 14. Mai stattfindenden | |
Parlamentswahl noch eine Woche Zeit haben, um ihre Kandidatenlisten | |
einzureichen, scheint bei der linken kurdischen [6][HDP angesichts des | |
gegen sie schwebenden Verbotsverfahrens] vor dem Verfassungsgericht die | |
Entscheidung gefallen zu sein, unabhängig von der Entscheidung des Gerichts | |
darauf zu verzichten, als HDP bei den Wahlen anzutreten. Sie haben deshalb | |
mit der bisherigen Kleinpartei „Linke-Grüne“ eine gemeinsame | |
Kandidatenliste aufgestellt und werben seit Donnerstag bei ihren | |
AnhängerInnen für die Wahl der Linken-Grünen. | |
31 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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