| # taz.de -- Pop-Kultur-Festival in Berlin: Pop wird dich retten | |
| > Das Pop-Kultur-Festival in Berlin konnte in die elfte Runde gehen. Wie | |
| > Subkultur unter repressiven Bedingungen gelebt wird, auch davon zeugten | |
| > musikalische Acts. | |
| Bild: Eine echte Entdeckung: Canty aus London | |
| Freitagnacht auf dem Gelände der Berliner Kulturbrauerei: ein flirrender | |
| Konzertabend, an dem unter anderen ein geschmeidiger Auftritt [1][des | |
| Berliner Rappers Apsilon] den Altersdurchschnitt des sonst eher | |
| nerdig-nischenorientierten Publikums senkt – und der vorletzte des | |
| Pop-Kultur-Festivals. Mitten im Gewimmel steht ein Mann, auf dessen T-Shirt | |
| steht: „Popular music won’t save you.“ | |
| Er wirkt allerdings vergnügt – wie das Gros der Festivalgänger. Pop scheint | |
| also zumindest zu wirken, irgendwie. Eine Googelei ergibt: Bei dem Shirt | |
| handelt es sich um einen Merch-Artikel der australischen Band Popular Music | |
| (die hier nicht auftraten). Trotzdem liefert es eine Art Metakommentar zu | |
| Fragen, die auf dem Festival, direkt oder über Bande, verhandelt werden. | |
| Der gesellschaftlichen Relevanz von Pop-Kultur etwa. Was kann die mit ihr | |
| (naiverweise?) assoziierte Vielfalt dem Rechtsruck entgegensetzen? Wo sorgt | |
| Pop für Gemeinschaftserlebnisse, bietet gar Trostpotenzial? Natürlich ist | |
| auch Thema, wie der Pop selbst gerettet werden kann, vor den | |
| Geschäftsmodellen der Tech-Konzerne oder dem disruptiven Potenzial von KI. | |
| Viel zu besprechen gibt es bei dieser elften Ausgabe, deren Zustandekommen | |
| wegen der Haushaltskürzungen auf der Kippe stand. Zumindest die neue | |
| Berliner Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson, scheint (noch) kein Fan zu sein | |
| – ihre Rede zur Eröffnung fällt arg uninspiriert aus. Eindruck macht | |
| hingegen dort [2][die Art-Pop-Künstlerin Balbina.] | |
| Sie fordert von ihren Kolleg:innen „weniger Meinung, mehr Gemeinsamkeit“ | |
| – was klingt wie ein Seitenhieb auf den Bekenntniszwang in der leidigen | |
| Nahost-Thematik –, ohne dass Balbina das Problem beim Namen nennen muss. | |
| Gerade im Pop, gerade bei diesem Festival führt und führte das nicht nur zu | |
| sloganhaften Verkürzungen, sondern zu nachhaltigen Verwerfungen. | |
| ## Schwankender Gehalt der Gesprächsrunden | |
| Manche Neuerung erweist sich als Gewinn – etwa dass sich das Programm nun | |
| auf sechs statt drei Tage verteilt: An den ersten beiden liegt der Fokus | |
| auf Talks. Deren Gehalt allerdings schwankt arg. Als der Branchenauskenner | |
| Michael Pelczynski, der unter anderem für Soundcloud ein Fan-gefördertes | |
| Tantiemensystem entwickelte, anstehende Weichenstellungen erläutert, | |
| schwirrt der Autorin der Kopf. | |
| Aktuell beschäftigt Pelczynski, wie ein ethischer Umgang mit KI aussehen | |
| kann, etwa beim sogenannten Voice Cloning: Damit kann jede menschliche | |
| Stimmen beliebig genutzt werden – perspektivisch nicht nur für | |
| Künstler:innen ein Problem, sondern für jede:n. Pelczynski sieht ein | |
| strukturelles Problem darin, dass die Musikindustrie statt „durchdachtem | |
| Design“ gerne den „einfacheren Weg“ wählt: „Lass machen und wir überl… | |
| später.“ Diese Haltung habe auch zu den gegenwärtigen Verhältnissen beim | |
| Streaming geführt. | |
| Als enttäuschend erweist sich der verblüffend gut besuchte Talk über Julia | |
| Camerons esoterisch-spirituell grundiertes Selbsthilfebuch „The Artist’s | |
| Way“– offenbar haben die analogen Kulturtechniken ihres Programms Reiz für | |
| Millennials. [3][Die Rapperin Ebow] kommt aus dem Schwärmen kaum mehr | |
| heraus, was dieser 1992 erschienene Bestseller für ihre Arbeit bedeutet | |
| hat. Okay, verstanden. Doch wenigstens von der Moderatorin Sara Geisler, | |
| Redakteurin beim Zeit-Magazin, hätte man sich Substanzielleres erhofft. | |
| Damit diese ersten Festivaltage nicht allzu spröde geraten, locken parallel | |
| unter anderem „Sonic Crossings“ an schöne Orte in Berlin-Wedding. | |
| Stilistisch verschiedenste Künstler:innen aus Georgien, Armenien und | |
| Aserbaidschan geben Einblicke in ihr Schaffen; der diesjährige Fokus der in | |
| Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut neu konzipierten Sparte liegt auf | |
| dem südlichen Kaukasus. | |
| Der georgische Indie-Musiker Vaqo oder auch die Klangkünstlerin Nazrin | |
| Mammadova aus Baku – als inherroom kreiert sie ambienthafte Texturen – | |
| lernt man am Montag in der Migas Listening Bar kennen, bevor sie dann am | |
| darauffolgenden Abend ihre Musik im Sinema Transtopia präsentieren. Bei | |
| der Listening Session stellen sie erst einmal für sie prägende Stücke vor – | |
| und vermitteln nicht nur eine Vorstellung davon, wie eine musikalische | |
| Sozialisation in einer anderen Weltregion aussehen kann, sondern auch wie | |
| Subkultur unter heiklen oder gar repressiven Bedingungen gelebt wird. Davon | |
| werden wir hier leider wohl noch lernen können. | |
| ## Bewährter Kessel Buntes | |
| Um Sozialisation geht es auch beim Commissioned Work von Andreya | |
| Casablanca, bekannt geworden als eine Hälfte des Garage-Rock-Duos Gurr. Und | |
| um die Frage, was ihr polnischer Migrationshintergrund damit zu tun hat: | |
| die Kirchgänge im Schlepptau der Eltern oder ein Komponist wie Henryk | |
| Mikołaj Górecki – den sie erst als Erwachsene entdeckte und toll covert. | |
| Musikalisch bietet die diesjährige Ausgabe einen bewährten Kessel Buntes, | |
| jedoch mit lokalerem Fokus. [4][Bernadette La Hengst] dirigiert nur mit | |
| Gitarre eindrucksvoll ihren riesigen Chor der Statistik. Der präsentiert | |
| „Konkrete Utopien“ – inklusive Songbook für zu Hause. Die in Berlin | |
| lebenden Dänen von Efterklang integrieren erstaunlich viele Einflüsse in | |
| schwelgerischen Pop. Und Los Bitchos stellen ihre Surfgitarren in den | |
| Dienst der ewigen Party. | |
| Eine echte Entdeckung wartet auf der Zielgerade des Festivals, in Gestalt | |
| der queeren Künstlerin Canty aus London. Die glättet am letzten Abend ihr | |
| scharfkantiges Gitarrenspiel erst mit Soul-Folk und bricht das Ganze dann | |
| wieder auf. Ihrem Sog mag sich niemand entziehen, der oder die, vielleicht | |
| ganz zufällig, bei dieser Nebenbühne vorbeigeschaut hat. | |
| 1 Sep 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Haut-wie-Pelz-von-Rapper-Apsilon/!6042347 | |
| [2] /Portraet-der-Saengerin-Balbina/!5651605 | |
| [3] /Ebow-Album-FC-Chaya/!6036627 | |
| [4] /Bernadette-La-Hengst-ueber-ihr-Songbook/!6082179 | |
| ## AUTOREN | |
| Stephanie Grimm | |
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