Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Polizeigewalt in Frankreich: „Beispielhaft“ sollen sie sein
> Die Staatsführung kann Vorwürfe exzessiver Polizeigewalt nicht mehr
> ignorieren. Ihr zaghaftes Eingeständnis werten Kritiker als Heuchelei.
Bild: „Gerechtigkeit für Cédric“ fordern diese Demonstrierenden in Paris …
Paris taz | Lange wollte Frankreichs Staatsführung ein Problem mit
unverhältnismäßiger Gewalt bei Polizeieinsätzen nicht wahrhaben. Nun haben
Präsident Emmanuel Macron und seine Regierung einen ersten Schritt dahin
gemacht, diese einzugestehen. Die französische Polizei müsse „beispielhaft
sein“, mahnte Macron am Dienstag.
Innenminister Christophe Castagner erinnert seine Beamten an ihre
„berufliche Ethik“. Er philosophiert: „Der gerechte und angemessene Einsa…
von Gewalt trennt eine Demokratie von der Willkür und differenziert Ordnung
von Brutalität. Darauf beruht das Vertrauen der Franzosen (in ihren
Staat).“
Unnötige, ja provokative Brutalität am Rande von Kundgebungen oder auch im
polizeilichen Alltag bei Kontrollen oder Festnahmen war für die
französische Staatsführung lange schlicht kein Thema. Doch heute verbreiten
sich Videos und Fotos der Vorfälle schnell in den sozialen Netzwerken – die
Regierung kann dies schwerlich ignorieren.
So wie nach dem Tod des Lieferfahrers Cédric Chouviat, der die derzeitige
Debatte ausgelöst hat: Am 3. Januar wurde in Paris der 42-jährige
Motorradkurier Cédric Chouviat von einer Polizeipatrouille angehalten, weil
er beim Fahren sein Handy benutzt habe. Auf Videos ist zu sehen, dass
dieser schimpfend protestierte – was zur Folge hatte, dass vier Beamten ihn
zur Festnahme bäuchlings auf den Boden drückten.
Übergriffe häuften sich mit Gelbwesten-Protesten
Chouviat verlor das Bewusstsein und wurde in die Notfallaufnahme gebracht.
Zwei Tage später wurde sein Tod nach Herzstillstand gemeldet. Die Autopsie
aber stellte eine Fraktur des Kehlkopfs fest. Chouviat ist beim gewaltsamen
Vorgehen mit einer wegen bekannter Risiken bereits umstrittenen Technik
erwürgt worden.
Kritik an der Polizei regt sich seit Langem: Übergriffe häuften sich seit
November 2018 [1][im Verlauf der Protestaktionen der Gilets jaunes].
Hunderte von Beispielen repressiver Gewalt etwa hat der Journalist David
Dufresne auf seiner [2][Webseite] registriert.
Aufseiten der Gelbwesten-Bewegung haben 24 Personen ein Auge und fünf eine
Hand verloren, insgesamt 314 wurden vor allem durch Hartgummigeschosse oder
Polizeigranaten am Kopf schwer verletzt. Einer der bekanntesten Wortführer
der Gelbwesten, Jérôme Rodrigues, hatte im Januar 2019 bereits ein Auge
verloren, er wurde Ende Dezember erneut durch einen Schlag mit einem
Polizeischild im Gesicht verletzt.
Falls doch mal ein Polizeibeamter wegen nicht zu rechtfertigender Gewalt
vor Gericht erscheinen muss, misst auch die Justiz mit ungleichen Ellen:
Demonstranten, die eine Bierdose schmeißen oder sich einer Festnahme
widersetzen, werden regelmäßig zu strengen und unbedingten Haftstrafen
verurteilt; ein Polizist etwa, der im letzten Jahr einen Pflasterstein auf
Demonstranten geworfen hatte, kam mit zwei Monaten auf Bewährung davon.
Anwalt Kempf: „Militarisierung“ der Einsätze
Lieferfahrer Chouviat ist nicht das einzige Todesopfer, das auf das Konto
der Polizei geht. Im Dezember wurde in Marseille Zineb Redouane (80) von
einer Tränengasgranate tödlich getroffen. Am 21. Juni verschwand Steve Maia
Caniço (24) spurlos im Verlauf einer unnötig gewaltsamen Intervention der
Polizei gegen eine Freiluft-Party. Seine Leiche wurde später im Loire-Kanal
geborgen.
Bedauernswerte Ausrutscher wie auch bei gewissen Verletzungen bei den
Demos? Keineswegs, zitiert die Tageszeitung Libération den Anwalt Raphaël
Kempf: „Sie haben systematischen Charakter, denn sie entsprechen der auf
höchster Ebene des Staates beschlossenen Politik und Strategie der
Aufrechterhaltung der Ordnung.“ Kempf spricht diesbezüglich von einer
„Militarisierung“ der Ordnungseinsätze durch eine Ausrüstung, die wie die
Hartgummigeschosse LBD-40 oder die mit Sprengstoff versehenen Granaten vom
Typ GLI-F4 als „Kriegsmaterial“ deklariert ist.
Dass nun der Präsident oder die Regierung ein paar „schwarze Schafe“ an den
Pranger stellen, sei darum eine bloße „Heuchelei“. Schockierend finden
dagegen die Polizeigewerkschaften die Kritik von oben. Sie verweisen
darauf, dass die in unzähligen Überstunden eingesetzte Polizei in der
Konfrontation mit den Gelbwesten die Staatsführung beschützt und bewahrt
habe.
15 Jan 2020
## LINKS
[1] /Einjaehriges-Bestehen-der-Gilets-Jaunes/!5642424
[2] http://www.davduf.net/alloplacebeauvau-bilan
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Gelbwesten
Polizei
Schwerpunkt Frankreich
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Schwerpunkt Frankreich
Pressefreiheit in Europa
George Floyd
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Rentenreform
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Schwerpunkt Rassismus
Gilets jaunes
## ARTIKEL ZUM THEMA
Räumung eines Flüchtlingscamps in Paris: Mit Schlagstock und Granaten
Mit brutaler Gewalt löst die Polizei in Frankreich ein Camp im Zentrum der
Hauptstadt auf. Für den Innenminister kommt der Fall zur ungelegenen Zeit.
Sprecherin von RSF über Gesetz in Frankreich: „Risiko einer Selbstzensur“
Frankreich plant ein neues Sicherheitsgesetz. Es beeinträchtigt die
malträtierte Pressefreiheit in Frankreich, sagt die Sprecherin von Reporter
ohne Grenzen.
Demo gegen rassistische Polizeigewalt: Rund 20.000 in Paris auf der Straße
Neue medizinische Befunde zum Tod von Adama Traoré haben Proteste in Paris
ausgelöst. Der 24-Jährige war 2016 bei einer Festnahme gestorben
Kommunalwahl in Frankreich: Macron gibt den Statisten
Macrons Regierungspartei LREM rutscht in den Umfragen ab. Sie konkurriert
mit parteilosen „Bürgerlisten“. Trotz Corona sollen die Wahlen stattfinden.
Proteste in Frankreich: Schaut uns an!
Mit starken, aber teils auch problematischen Gesten: Der Kampf gegen
Macrons Rentenreform erreicht eine neue Dimension.
Rentenreform in Frankreich: Der Streik geht weiter
Paris ist vollgestopft, die Menschen vermeiden öffentliche Verkehrsmittel.
Eine Studentin hat sich noch nie so sehr für Politik interessiert wie
jetzt.
Vor 15 Jahren starb Oury Jalloh: Rassistisch korrupt
Heute vor 15 Jahren verbrannte Jalloh in einer Zelle der Polizei in Dessau.
Erschüttert uns der Aufwand, mit dem eine Aufklärung verhindert wird?
Einjähriges Bestehen der „Gilets Jaunes“: Tränengas statt Torte
Vor einem Jahr gingen die „Gelbwesten“ in Frankreich das erste Mal auf die
Straße. Bei einer Geburtstagsdemo kommt es erneut zu Gewalt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.