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# taz.de -- Politologe zu Protesten in Algerien: „Das Volk will den Sturz des…
> Die Menschen in Algerien werden sich nicht mit Zugeständnissen
> zufriedengeben – sie sehnen sich nach einem radikalen Wandel, sagt Rachid
> Ouaissa.
Bild: „Die Gewaltfreiheit ist das Grandiose an den Protesten“: Demonstranti…
taz: Herr Ouaissa, kein fünftes Mandat für Präsident Bouteflika, aber eine
auf [1][unbestimmte Zeit verlängerte Amtszeit] des Präsidenten. Kommt das
Regime damit durch?
Rachid Ouaissa: Das glaube ich nicht. Das Volk wollte verhindern, dass
Bouteflika an der Wahl teilnimmt, aber der hat die gesamte Wahl gestoppt.
Das ist ein Versuch zu manövrieren, damit das Regime überlebt. Bouteflika
hat versprochen, eine demokratische Republik zu etablieren – aber mit der
Verlängerung seiner Amtszeit bricht er gleichzeitig das Gesetz.
Was wollen die Menschen, die seit Wochen auf die Straße gehen: Geht es um
die Person Bouteflika oder um einen wirklich tiefgreifenden Wandel?
Die Algerier wollen das ganze Regime. Wir beobachten einen graduellen
[2][Anstieg der Forderungen]: Anfangs ging es darum, ein fünftes Mandat
Bouteflikas zu verhindern; inzwischen geht es um das gesamte Regime. Nicht
nur die paar Figuren in der Regierung sollen ausgewechselt werden. Das
algerische Volk fordert einen radikalen Wandel, den Sturz des Regimes. Für
diesen Freitag wird zu weiteren Demonstrationen aufgerufen. Das wird
weitergehen.
Das Regime in Algier gilt als Blackbox. Was lernen wir aus der Ankündigung
von Montagabend über die Machtstrukturen in Algerien?
In dem Brief vom Montagabend verkündet Bouteflika, dass er eigentlich gar
kein fünftes Mandat wollte, weil er ja krank sei. Irgendjemand muss ihn
also gezwungen haben: nämlich sein Clan. Ich vermute, dass dieser Brief von
einem gegnerischen Clan innerhalb des Regimes geschrieben wurde, um den
Bouteflika-Clan zurückzudrängen und weitermachen zu können ohne diesen
schon verbrannten Clan des Präsidenten. Das ist ein Coup, eine
Inszenierung. Bouteflika und sein Clan sind verbrannt. Der Präsident soll
zum Rücktritt gezwungen werden, damit das Regime nicht verloren geht. Damit
der Nächste weitermachen kann.
Aber spricht nicht die Regierungsumbildung gegen einen regimeinternen Coup
gegen den Staatschef? Das sind doch Bouteflikas Leute.
Überhaupt nicht. Der neue Regierungschef, Noureddine Bedoui, und sein Vize
Ramtane Lamamra sind weniger politische Menschen als vielmehr Leute, die
ihren Job machen, Techniker des Regimes. Sie gehören nicht zum Kern des
Bouteflika-Clans. Das gilt auch für Lakhdar Brahimi, der die „nationale
Konferenz des Konsenses“ organisieren soll. Nach außen verfügen sie über
eine gewisse Legitimität – Brahimi ist als ehemaliger UN-Gesandter für
Syrien weltweit bekannt – und nach innen sind sie nicht verbrannt.
Wenn es ein regimeinterner Coup war: Wer hat sich dann durchgesetzt?
Das ist der Teil der Blackbox, der noch nicht beleuchtet wurde. Ich gehe
davon aus, dass die Geheimdienste, die Bouteflika in seinen Jahren an der
Macht zurückgedrängt hat, versuchen, die Macht wieder an sich zu reißen.
Möglicherweise auch Teile des Militärs, unabhängig davon, dass der
Armeechef auf der Seite Bouteflikas steht.
Wie geht es jetzt weiter?
Das Volk will eine mit dem Regime verhandelte Transition, so wie in Polen
Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre. Ein radikaler Bruch, wie es in
der DDR der Fall war, könnte in Algerien chaotisch verlaufen. Aber das
Regime will eine gelenkte Transition, einen Wandel, den es selbst diktiert.
Das ist auch der Inhalt des Briefs von Montagabend: Wir sagen, wie es
weitergeht. Genau das aber will das Volk nicht.
Hat das Regime nach seinem vermeintlichen Zugeständnis jetzt eine
Rechtfertigung, Proteste anders als in den vergangenen Wochen
niederzuschlagen?
Das ist eine Gefahr. Wenn der Plan der Regierung, auf diese Weise aus der
Krise zu kommen, nicht akzeptiert wird, kann es sein, dass das Militär sich
stärker einmischt.
Was raten Sie den Menschen auf der Straße?
Die Friedfertigkeit aufrechterhalten! Das schützt sie vor dem Regime. Die
Gewaltfreiheit ist das Grandiose an den Protesten. Das Volk hat bewiesen,
dass es reif ist und politisch denkt. Zweitens müssen die Leute sich
organisieren und eine Gruppe von Personen delegieren, die in ihrem Namen
spricht. Jetzt, da das Regime mit einem Plan gekommen ist, braucht es einen
Gegenplan. Dann kann verhandelt werden. Eine Transition ist kein Prozess,
sondern ein Momentum, ein Pakt. Der muss jetzt geschlossen werden – und
zwar nicht nach Regeln, die das Regime diktiert. Die Straße muss auch was
zu sagen haben.
12 Mar 2019
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## AUTOREN
Jannis Hagmann
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