| # taz.de -- Palästinensische Reporterin: „Nach dem Krieg will ich Journalism… | |
| > Malak Tantesh berichtet für mehrere Zeitungen aus dem Gazastreifen. Die | |
| > Arbeit macht ihr Spaß – trotz der großen Angst, selber umgebracht zu | |
| > werden. | |
| Bild: „Ich habe das Gefühl, dass ich etwas für die Menschen im Gazastreifen… | |
| ## taz: Frau Tantesh, wie sind Sie zum Journalismus gekommen? | |
| Malak Tantesh: Mein Vater arbeitet seit über 20 Jahren als Fixer und | |
| Produzent für ausländische Medien. Mit Beginn dieses Krieges und des | |
| Einreiseverbots für ausländische Journalisten nach Gaza fragten viele | |
| Medien meinen Vater an, ob er für sie berichten könnte. Doch mein Vater ist | |
| schon älter, nicht mehr so fit wie früher, es war ihm schnell zu | |
| anstrengend. | |
| Vor dem Krieg hatte ich mich an der Universität eingeschrieben, um | |
| Physiotherapeutin zu werden – aber nach Kriegsbeginn konnte ich mein | |
| Studium nicht fortsetzen. Im April 2024 habe ich dann zum ersten Mal | |
| journalistisch gearbeitet. Die niederländische Zeitung [1][de Volkskrant] | |
| hatte damals meinen Vater um einen Bericht mit dem Arbeitstitel „24 Stunden | |
| im Leben einer vertriebenen Familie in Gaza“ gebeten. Er fand eine Familie | |
| und begann mit der Arbeit – doch seine Protagonistin fühlte sich unwohl mit | |
| einem Mann. Mein Vater schlug den Journalisten bei de Volkskrant dann vor, | |
| meine Schwester Enas und mich hinzuschicken. Wir gingen zu der Familie, sie | |
| fühlten sich viel wohler mit uns. Ich machte Notizen und führte Interviews, | |
| Enas machte Fotos. | |
| Danach begann mein Vater, uns journalistisches Arbeiten beizubringen: Wie | |
| man Interviews führt, seine fotografischen Fähigkeiten verbessert. Dabei | |
| half uns auch Youtube. | |
| Nach dem Krieg möchte ich Journalismus studieren. Aber ich habe Angst, dass | |
| der Krieg mich bis dahin das Leben kostet – und ich dann nichts von dem tun | |
| kann, wovon ich träume. | |
| ## taz: Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit? | |
| Tantesh: Ich habe das Gefühl, dass ich etwas für die Menschen im | |
| Gazastreifen tue. Ich mag sogar die Herausforderungen und Schwierigkeiten, | |
| denen wir als Journalistinnen und Journalisten begegnen. Und ich freue | |
| mich, wenn mir Menschen nette Nachrichten oder Gebete schicken: Das gibt | |
| mir Kraft und motiviert mich, weiterzumachen. | |
| ## taz: Sie haben eben Herausforderungen und Schwierigkeiten erwähnt. Was | |
| genau meinen Sie? | |
| Tantesh: Es ist eine Herausforderung, die richtigen Leute für Interviews zu | |
| finden. Dazu kommen die Probleme mit dem immer wieder ausfallenden | |
| Internetzugang und der Stromversorgung. Bis vor kurzem kam der Hunger dazu | |
| – er führte bei mir zu Konzentrationsschwäche und Schwindel. Nun, da die | |
| Märkte wieder mehr mit Lebensmitteln gefüllt sind, ist das immerhin vorbei. | |
| Manchmal kommt es bei der Recherche zu Konflikten: Die Menschen werfen | |
| Steine oder schießen sogar. Manche denken, wir würden sie für Geld | |
| ausnutzen wollen. | |
| Und die mangelnde Sicherheit ist eine große Schwierigkeit: Weil die | |
| öffentliche Sicherheit zusammengebrochen ist, haben wir Angst, bei unserer | |
| Arbeit bestohlen zu werden. Und die Gebiete, in denen wir arbeiten, könnten | |
| jederzeit bombardiert werden. | |
| ## taz: [2][Laut dem Committee to Protect Journalists] wurden bislang | |
| mindestens 197 Journalistinnen und Journalisten in Gaza vom israelischen | |
| Militär getötet. | |
| Tantesh: Als Journalistin in Gaza zu arbeiten, ist extrem gefährlich, | |
| insbesondere angesichts der gezielten und wiederholten Angriffe auf | |
| Medienschaffende und ihre Familien. Das setzt mich unter großen Druck – ich | |
| denke ständig darüber nach. Oft stelle ich mir schreckliche Szenarien vor: | |
| Als ich zum Beispiel in einem Zelt lebte, stellte ich mir vor, wie ich von | |
| der Arbeit zurückkomme und es verbrannt vorfinde und meine Familie in | |
| Fetzen. Ich bin sicher, dass viele andere Journalisten dieselben Ängste | |
| haben. | |
| Wenn ich Nachrichten sehe, dass Journalisten angegriffen und getötet | |
| wurden, bekomme ich Panik. Ich fürchte, dass ich genauso enden könnte wie | |
| sie. Ich sage mir: Dieses Mal haben sie diesen Journalisten getötet, davor | |
| viele andere – und niemand hat etwas unternommen, um die israelische Armee | |
| für ihre Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Warum hält niemand sie auf? | |
| Ich frage mich: Wenn ich getötet würde, würde sich die Welt für mich | |
| einsetzen? Würde sie Israel unter Druck setzen, mit dem Töten aufzuhören? | |
| Ich glaube nicht. | |
| ## taz: Haben Sie Angst, dass das israelische Militär Sie im Blick hat? | |
| Tantesh: Ich meine, das israelische Militär ist befähigt, jede einzelne | |
| Person im Gazastreifen zu verfolgen. Sie haben also nicht nur mich im | |
| Blick, sondern jeden hier. Sie haben mich aber noch nie direkt kontaktiert | |
| oder attackiert – und ich hoffe, dass es dazu niemals kommen wird. | |
| ## taz: Stehen Sie im Austausch mit anderen Medienschaffenden in Gaza? | |
| Tantesh: Ich kenne nur wenige andere Journalisten – vielleicht wegen | |
| unserer unterschiedlichen Arbeitsweise: Die meisten von ihnen arbeiten für | |
| Fernsehsender und verbringen ihre Zeit in der Nähe von Krankenhäusern, wo | |
| es Strom und Internet gibt. Ich aber arbeite für Zeitungen und verbringe | |
| die meiste Zeit mit meinem Vater, meiner Schwester Enas und meiner Cousine | |
| Seham, [3][die für die taz Gaza-Tagebücher schreibt]. Wir bilden ein Team. | |
| Nur selten bitten wir andere Journalisten um Hilfe – wenn wir etwa | |
| Protagonisten für ein bestimmtes Thema nicht finden können. | |
| Wenn ich dann einmal andere Journalisten treffe, kennen sie mich oft beim | |
| Namen – und sind überrascht, wie jung ich bin, 20 Jahre alt. | |
| ## taz: Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit ausländischen Medien im Zuge | |
| dieses Krieges erlebt? | |
| taz: Alle Zeitungen, mit denen ich zusammenarbeite, sind großartig – | |
| wirklich. Ich habe bislang nichts Negatives oder Kritikwürdiges erlebt, | |
| ganz im Gegenteil. Die Redaktionen schicken mir ihre Themenidee, ein paar | |
| Details und Fragen an die Protagonistinnen und Protagonisten. Dann arbeite | |
| ich daran, und das erschienene Ergebnis ist immer großartig! | |
| ## taz: Was wünschen Sie sich von den Menschen in Deutschland, in Europa, | |
| der Welt? | |
| Tantesh: Steht uns bei. Rettet Gaza oder das, was davon übrig ist. Wir sind | |
| Menschen, genau wie ihr. Solidarisiert euch mit uns, gegen den Krieg und | |
| den Hunger. Protestiert, auf dass das Töten, das Blutvergießen, die | |
| wiederholten Vertreibungen endlich enden. | |
| Macht euch bewusst: Wir hungern nicht, wir werden ausgehungert. Wir sterben | |
| nicht, wir werden getötet. Wir sind nicht einfach obdachlos, unsere Häuser | |
| wurden zerstört. | |
| Meine Arbeit ist wichtig, um die Wahrheit unverfälscht zu zeigen – die | |
| schmerzhafte Realität und die Ungerechtigkeit, mit der mein ganzes Volk | |
| konfrontiert ist. | |
| 1 Sep 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.volkskrant.nl/?referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F | |
| [2] https://cpj.org/2025/08/at-least-5-gazan-journalists-killed-in-israeli-stri… | |
| [3] /Kolumne-Gaza-Tagebuch/!t5999816 | |
| ## AUTOREN | |
| Lisa Schneider | |
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