# taz.de -- Palästinenserpräsident Abbas: Unbeliebt, aber schwer zu ersetzen | |
> Die umstrittenen Äußerungen von Abbas finden in Palästina kaum ein Echo. | |
> Die Kritik aus Israel ist umso härter. Kooperation bleibt aber nötig. | |
Bild: Im Fokus: Mahmoud Abbas bei der Pressekonferenz mit Scholz am Dienstagabe… | |
BERLIN taz | Nicht zum ersten Mal steht Palästinenserführer Mahmoud Abbas | |
für Äußerungen zum Holocaust in der Kritik. [1][Am Dienstag sprach er in | |
Berlin von „50 Holocausts“], die Israel an den Palästinensern begangen | |
hätte. Schon 2018 hatte er bei einer Eröffnungsrede zu einer Versammlung | |
des palästinensischen Nationalrates im Westjordanland gesagt, der | |
nationalsozialistische Massenmord an den europäischen Juden sei eine | |
Konsequenz aus ihrem „sozialen Verhalten“ und ihren finanziellen | |
Aktivitäten gewesen, und nicht aus Antisemitismus geschehen. | |
Anfang der 1980er Jahre legte der damalige Student der Literatur und | |
Rechtswissenschaft eine Doktorarbeit vor, in der er den Holocaust | |
relativiert haben soll. Und als Schatzmeister der Fatah-Bewegung soll er | |
Mitwisser des [2][Münchner Olympiaattentats im Jahr 1972] gewesen sein – | |
also eben des Anschlags, nach dem er in der Berliner Pressekonferenz am | |
Dienstag gefragt worden war. | |
Der mittlerweile kränklich, autoritär regierende 87-Jährige könnte unter | |
den Palästinenser:innen kaum unbeliebter sein. 2005 ist er für vier | |
Jahre gewählt worden – seitdem hat er oft neue Wahlen angekündigt, sie | |
jedoch nie durchführen lassen. | |
Mit Äußerungen, wie der in Berlin, dürfte er beabsichtigen, an Zuspruch | |
unter den Palästinenser:innen zu gewinnen. Doch das Echo in den | |
arabischsprachigen Medien war dünn, das Nachrichtenportal Al Jazeera mit | |
Sitz in Katar hielt das Vorkommnis keiner Meldung wert; und das Sprachrohr | |
der Palästinensischen Autonomiebehörde Wafa berichtete lediglich, dass | |
Abbas Deutschlands Friedensbemühungen gepriesen hatte. | |
## Scharfe Verurteilung aus Israel | |
Ganz anders wurde seine Rede in Israel wahrgenommen. Der israelische | |
Ministerpräsident Yair Lapid verurteilte die Äußerungen scharf: Sie seien | |
nicht nur eine moralische Schande, sondern eine „ungeheuerliche Lüge“: | |
„Sechs Millionen Juden wurden im Holocaust ermordet, darunter eineinhalb | |
Millionen jüdische Kinder. Die Geschichte wird ihm niemals verzeihen.“ | |
Lapid ist selbst Sohn eines Holocaustüberlebenden. | |
Auch der Vorsitzende der Gedenkstätte Yad Vashem, Dani Dayan, bezeichnete | |
die Worte von Abbas als „abscheulich“ und forderte die deutsche Regierung | |
auf, angemessen zu reagieren. | |
Eine andere Stimme brachte der israelische Investigativjournalist Raviv | |
Drucker in die innerisraelische Debatte. [3][Er bezeichnete auf Twitter die | |
Worte von Abbas zwar als „unglücklich“], aber hält die israelische Reakti… | |
darauf für problematisch. Er betont, dass Abbas seit 18 Jahren gegen | |
Terrorismus und Gewalt kämpfe und – anders als etwa die | |
Terrororganisationen Hamas oder [4][Islamischer Jihad] – von einer | |
Zwei-Staaten-Lösung spreche. „Heute fehlt nicht mehr viel, dass wir Abu | |
Masen [Mahmoud Abbas] vermissen werden“, schrieb er. | |
Tatsächlich dürfte Abbas' Äußerung die rechten Kräfte in Israel stärken, | |
und damit diejenigen, die Friedensgespräche Verhandlungen mit den | |
Palästinenser:innen ablehnen und betonen, es gäbe auf | |
palästinensischer Seite keinen Verhandlungspartner. | |
## Israel braucht weiter die Kooperation mit Abbas | |
Doch auf die Zusammenarbeit mit der Autonomiebehörde wird Israel allen | |
Aussagen von Abbas zum Trotz auch weiterhin angewiesen bleiben. | |
Das betonte der zentristische Verteidigungsminister Benny Gantz. Er | |
[5][verurteilte ebenfalls] die Äußerungen, verteidigte aber auf Twitter die | |
Zusammenarbeit mit der Autonomiebehörde und forderte den | |
Palästinenserführer auf, den Holocaust-Vergleich zurückzunehmen. | |
Gantz hatte sich im vergangenen Jahr mehrmals mit Abbas getroffen, einmal | |
sogar in seinem privaten Wohnhaus. Diese Treffen markierten zwar nicht den | |
Beginn von Friedensverhandlungen – doch sie brachten frischen Wind in die | |
eisige Kälte, die während der Ära Benjamin Netanjahu zwischen der | |
palästinensischen Führung und der israelischen Regierung herrschte. | |
Abbas ruderte derweil am Mittwoch zurück, laut der israelischen | |
Nachrichtenseite Ynet wohl nach „starkem Druck“ aus Israel. Er widerrief | |
seine Behauptung vom Vortag und sagte, er habe lediglich auf israelische | |
Verbrechen hinweisen wollen. Auch bekräftigte er, dass „der Holocaust das | |
abscheulichste Verbrechen der modernen Menschheitsgeschichte“ sei. | |
17 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Palaestinenserpraesident-in-Deutschland/!5875369 | |
[2] /Olympia-Attentat-in-Muenchen/!t5870931 | |
[3] https://twitter.com/RavivDrucker/status/1559800059088216065 | |
[4] /Palaestinensische-Gruppen-in-Gaza/!5870198 | |
[5] https://twitter.com/gantzbe/status/1559824764700708864 | |
## AUTOREN | |
Judith Poppe | |
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