# taz.de -- „Palästina-Kongress“ in Berlin aufgelöst: Kampf um die Deutun… | |
> Nur zwei Stunden nach Beginn hatte die Polizei den umstrittenen | |
> „Palästina-Kongress“ aufgelöst. Über das Vorgehen tobt der Streit nun … | |
> Netz. | |
Bild: Teilnehmer versuchten vor Beginn des Palästina-Kongress, Journalisten am… | |
BERLIN taz | Es gibt viele Möglichkeiten, eine Veranstaltung zu verhindern. | |
Man kann versuchen, sie zu verbieten. Man kann die Organisatoren unter | |
Druck setzen und ihnen das Konto sperren lassen. Man kann das Bauamt, das | |
Gewerbeamt und die Feuerwehr beauftragen, Gründe zu finden, warum die | |
Veranstaltung nicht stattfinden kann. Man kann im Vorfeld massive Auflagen | |
verfügen, um sie zu erschweren. Man kann Teilnehmer an der Anreise hindern | |
oder daran, in den Veranstaltungssaal kommen. Und man kann einen Anlass | |
suchen, um die Veranstaltung vorzeitig aufzulösen. All das haben der Senat | |
und die Polizei in Berlin getan, um einen umstrittenen | |
[1][„Palästina-Kongress“ zu unterbinden]. | |
Zwei Stunden nach Beginn der Veranstaltung stürmte die Polizei am Freitag | |
den Saal, um einen Video-Vortrag zu unterbrechen, stellte zeitweise den | |
Strom ab und forderte eine halbe Stunde später die rund 250 Anwesenden auf, | |
den Raum zu verlassen. | |
Gegen den gerade erst per Video zugeschalteten 87-jährigen Autor und | |
Forscher Salman Abu Sitta gebe es ein „politisches Betätigungsverbot“, | |
erklärte eine Polizeisprecherin später der Öffentlichkeit. Es sei zu | |
befürchten, dass es „antisemitische, gewaltverherrlichende und den | |
Holocaust verleugnenden Redebeiträge“ geben könne. Die für drei Tage | |
geplante Veranstaltung wurde deshalb ganz verboten. | |
Dem britisch-palästinensischen Chirurgen Ghassan Abu Sittah, Rektor der | |
University of Glasgow, war zuvor am Berliner Flughafen die Einreise | |
verweigert worden. Er hätte vor Ort als Redner auftreten sollen. Abu Sittah | |
war im Oktober 2023 mit Ärzte ohne Grenzen nach Gaza gereist und wollte in | |
Berlin darüber berichten, was er dort erlebt hatte. In einem dreistündigen | |
Gespräch am Flughafen sei er gewarnt worden, er mache sich auch strafbar, | |
wenn er sich online aus dem Ausland zu der Tagung zuschalten ließe, | |
berichtete er anschließend. | |
## Kritik an Varoufakis & Co | |
Der „Palästina-Kongress“ war schon hoch umstritten, bevor er begann. | |
Angekündigt waren dort unter anderem der ehemalige griechische | |
Finanzminister [2][Yanis Varoufakis] und die frühere spanische | |
Gleichstellungsministerin Irene Montero von der linken Partei Podemos. Die | |
Kritik an der Veranstaltung entzündete sich daran, dass schon in der | |
Ankündigung von „Apartheid“ und einem „Genozid“ in Gaza gesprochen wur… | |
Außerdem hatten einige Teilnehmer den terroristischen Angriff der Hamas | |
nicht verurteilt, darunter Yanis Varoufakis. | |
Boulevardmedien hatten deshalb monatelang gewarnt, in Berlin würden sich | |
„Israel-Hasser“ und „Antisemiten“ treffen. Viele andere Medien hatten d… | |
aufgegriffen, die FAZ zog sogar Parallelen zur Wannseekonferenz. Politiker | |
aller Parteien, von Union bis Linkspartei, hatten dagegen protestiert. Zu | |
dem Treffen hatten diverse Gruppen und Initiativen eingeladen, die Berliner | |
Innenverwaltung bezeichnet sie als „israelfeindliches Boykott-Spektrum“. | |
Einer der Veranstalter war die Gruppe „Jüdische Stimme für einen gerechten | |
Frieden“, von denen etwa ein Dutzend Mitglieder – manche mit Kippa als | |
Juden erkennbar – an der Veranstaltung teilnahmen. | |
Grund für die Polizei, den Video-Vortrag von Abu Sitta abzubrechen, war | |
offenbar ein Blog-Beitrag des 87-jährigen vom Januar. Darin hatte dieser | |
geschrieben, wäre er jünger, hätte er einer derjenigen sein können, die am | |
7. Oktober die Blockade des Gazastreifens durchbrachen. Beim Überfall der | |
islamistischen Hamas waren etwa 1.200 Menschen in Israel getötet worden. | |
Als Redner war Sitta allerdings schon seit Monaten angekündigt, sein | |
Vortrag also alles andere als überraschend. Dennoch griff die Polizei mit | |
voller Härte durch, als sei akute Gefahr im Verzug. | |
## Massives Polizeiaufgebot | |
Aus Vorsicht hatten die Veranstalter den Versammlungsort erst am | |
Freitagmorgen bekannt gegeben: ein Hochzeitssaal in einem Gewerbegebiet im | |
Bezirk Tempelhof. Schon vor Beginn fing die Berliner Polizei potentielle | |
Besucher ab und sperrte die ganze Straße weiträumig, überall standen | |
Polizeiwagen und Absperrgitter. Die Polizei hatte sich auf einen | |
mehrtägigen Großeinsatz mit rund 2.500 Polizistinnen und Polizisten | |
vorbereitet und dafür Verstärkung aus Nordrhein-Westfalen angefordert. | |
Allein am Freitag sollen in Berlin rund 900 Beamte im Einsatz gewesen sein. | |
Dafür, dass die Polizei von Anfang an auf zermürbende Schikanen setzte, | |
blieben die meisten Teilnehmer erstaunlich geduldig. Der Unmut äußerte sich | |
nur ab und zu in Sprechchören. Die Menschen, die auf der Straße am Eintritt | |
in den Saal gehindert wurden, skandierten „Viva Palestina“, „Israel | |
bombardiert, Deutschland finanziert“ und „Wo wart ihr in Hanau?“. Und als | |
der Strom abgestellt wurde, erschollen die Rufe, „Shame on you“, „Hoch die | |
internationale Solidarität“, „Intifada“ und „Waffenruhe reicht nicht. | |
Scholz und Baerbock vor Gericht“. | |
Über 800 Leute hatten sich laut Veranstalter eine Karte für die | |
Veranstaltung gekauft. Der Zutritt wurde von der Polizei kurzfristig auf | |
250 begrenzt, viele wurden nicht eingelassen. Die Beamten hatten den | |
Kongress kurzfristig als „öffentliche Versammlung“ eingestuft und deshalb | |
Auflagen wie bei einer pro-palästinensischen Demonstration erlassen. Für | |
die Presse gab es einen eigenen Bereich, in dem sich Journalisten von | |
deutschen, türkischen und arabischen Medien sammelten. | |
Den Versuch einiger Aktivisten, ihnen mit Tüchern die Sicht zu versperren, | |
wurde von der Polizei rasch unterbunden. Vor Beginn der Veranstaltung | |
wurden die Auflagen der Polizei verlesen: auf Deutsch, Englisch und | |
Arabisch, denn das Publikum war international. Untersagt wurde etwa das | |
Verbrennen von Fahnen, Gewaltaufrufe gegen Israel und Symbole | |
terroristischer Organisationen. Nichts davon war auf der Veranstaltung zu | |
sehen und zu hören, nur viele Palästinensertücher und ein paar | |
palästinensische Fahnen. | |
## Kampf um die Deutungshoheit | |
Der einzige Gast, der zu Wort kam, war die US-amerikanische Journalistin | |
und Aktivistin Hebh Jamal. Sie zitierte in ihrer Rede Edward Said und den | |
Autor Ghassan Khanafani, nannte Israel einen faschistischen, | |
siedlerkolonialen Staat“ und sagte, sie hätte sich das Ausmaß des Horrors | |
in Gaza nicht vorstellen können. Als sie von einer 14-jährigen Angehörigen | |
spricht, die dort mit ihren Bruder und 20 Mitgliedern ihrer Familie durch | |
israelische Bomben umgekommen ist, kommen ihr die Tränen, sie stockt. | |
Anschließend zitiert sie einen Polizeibericht, der über sie angefertigt | |
worden sein soll, und berichtet, sie sei am Abend zuvor von einem | |
Undercover-Polizisten verfolgt worden. | |
Kaum war die Veranstaltung beendet, begann in den Sozialen Medien der Kampf | |
um die Deutungshoheit. Berlins Bürgermeister Kai Wegner schrieb, „wir haben | |
klar gemacht, welche Regeln in Berlin gelten“. Bundesinnenministerium Nancy | |
Faeser schrieb, „wir dulden keine islamistische Propaganda und keinen Hass | |
gegen Jüdinnen und Juden“ – ein absurdes Statement, zumal bei dem Kongress | |
mehr jüdische Teilnehmer waren, als etwa im Vorstand der | |
„Deutsch-Israelischen Gesellschaft“ zu finden sind. | |
Linke Kritiker zeigten sich empört. „Der Faschismus ist zurück, und er | |
braucht nicht einmal eine Regierung, um an die Macht zu kommen“, sagte | |
Yannis Varoufakis in einem Video-Statement. „Ein Skandal“, schrieb der | |
linke britische Autor Owen Jones. Auch Juristen äußerten Zweifel an der | |
Rechtmäßigkeit der polizeilichen Maßnahmen. Für Empörung sorgte vor allem | |
das Einreiseverbot für den Rektor der Uni Glasgow, Abu Sittah, und die | |
Verhaftung eines jüdischen Teilnehmers, der eine Kippa mit Melonen-Muster | |
trug, dem Symbol der Palästina-Solidarität. Weil sich Beamte darüber lustig | |
gemacht hatten, hatte er einem Beamten Antisemitismus vorgeworfen. | |
## Die Polizei greift hart durch | |
Ein weiterer Teilnehmer berichtete, er habe eine Anzeige erhalten, weil er | |
ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Free Palestine“ und einer stilisierten Faust | |
in den palästinensischen Farben trug. Es musste es ausziehen und der | |
Polizei als „Beweisstück“ überlassen: „Zum Glück hatte ich etwas darun… | |
Eine spanische Journalistin berichtete, die Polizei habe ihr den Zutritt zu | |
der Veranstaltung verwehrt. Auf dem Rückweg von der Veranstaltung wurden | |
Studierende aus Wien für längere Zeit festgehalten. | |
Man muss die Ansichten und einzelne Äußerungen der Organisatoren und | |
Teilnehmer des Kongresses in keinster Weise gutheißen, um den Eindruck zu | |
gewinnen, hier habe der Staat eine ominöse Staatsraison mit den Mitteln | |
eines Polizeistaats durchgesetzt. Die Veranstalter haben erst einmal | |
Widerspruch gegen die Entscheidung der Polizei eingelegt und planen | |
eventuell weitere rechtliche Schritte. Für Samstag ist laut Polizei Berlin | |
eine Demonstration mit 1.500 Menschen gegen das Verbot des Kongresses | |
angemeldet. Die Behörden rechnen mit spontanen Protestveranstaltungen. | |
„Putin und Netanjahu wären stolz auf die Berliner Polizei“, sagte Wieland | |
Hoban von der „Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden“ zur taz. Auch | |
die Einreiseverbote und die Kündigung seines Vereinskontos seien | |
fragwürdig. „Rechtstaatlich ist das nicht.“ | |
13 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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