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# taz.de -- Opposition in Russland: Kinder als Druckmittel
> Zwei russischen Familien wird nun doch nicht ihr Sorgerecht entzogen. Sie
> hatten mit ihrem Nachwuchs an Protesten teilgenommen.
Bild: Demo für oppositionelle Kandidaten in Moskau. Neben Festnahmen gibt es a…
Moskau taz | Sie haben noch einmal Glück gehabt: Zwei Familien, denen die
[1][russische Justiz] das Sorgerecht entziehen wollte, dürfen sich
weiterhin um ihre Kinder kümmern. Weil die Chomskichs und die Prokasows aus
Moskau mit ihrem Nachwuchs auf nicht genehmigten Demonstrationen gewesen
waren, hatte die Moskauer Staatsanwaltschaft auf Entzug des Sorgerechts
plädiert.
Die Eltern hätten Leben und Gesundheit der Kleinen aufs Spiel gesetzt,
hatte es geheißen. Ein Skandal, nicht nur für die Betroffenen. Am Montag
entschieden zwei Moskauer Bezirksgerichte dagegen. Vorerst.
Angefangen hatte es mit Videobildern, die nach einer Moskauer Protestaktion
am 3. August in den sozialen Netzwerken, später auch im russischen
Staatsfernsehen aufgetaucht waren.
Pjotr Chomskich schiebt nach links, er schiebt nach rechts. Im Kinderwagen
vor ihm liegt seine drei Monate alte Tochter. Die Räder aber haben sich
verfangen, Chomskich stockt, versucht der Kette aus russischen
Nationalgardisten hinter sich zu entkommen. Die Sicherheitskräfte, die bei
nicht genehmigten Protesten stets hart durchgreifen, kommen der Familie
immer näher – bis sie die Chomskichs mit ihren drei Kindern durchlassen.
## Lebendes Schutzschild
Eine unangenehme Situation durch und durch. Pjotr und Jelena Chomskich
müssen nachweisen, dass sie die Kinder nicht vernachlässigen. Die zwei
jüngsten Töchter, drei Jahre und drei Monate alt, sollen in Obhut kommen.
Auch Olga und Dmitri Prokasow fanden sich aufgrund von Fernsehbildern bei
einer Vernehmung durch das russische Ermittlungskomitee wieder. Ihr 14
Monate alter Sohn Artemi sei in Gefahr, hatte man ihnen mitgeteilt – weil
die Eltern am 27. Juli mit ihm auf einer Demonstration gewesen seien und
den Jungen, so die Ermittler, einem fremden Mann übergeben hätten. Dieser
habe das Kind als lebenden Schutzschild benutzt, um nicht von der Polizei
festgenommen zu werden.
Der „Fremde“, Sergei Fomin, ist ein Onkel von Artemi, der, so sagen die
Prokasows, das Kind am Ende der Demo in einer Babytrage zur Metro trug.
„Polizei war da nirgends“, sagte Dmitri Prokasow vor Gericht. Die Behörden
nutzten die Kinder als Druckmittel: Juristisch sind die beiden Fälle
absurd, politisch aber haben sie eine Logik.
Sergei Fomin, der Onkel des kleinen Artemi, gilt der Staatsmacht als einer
der Beschuldigten im „Moskauer Fall“. 16 junge Männer sind in Haft, weil
ihnen die Organisation von „Massenunruhen“ vorgeworfen wird.
## Keine imitierte Demokratie
So interpretieren die Behörden die [2][friedlichen Proteste], zu denen seit
Wochen von einigen Hundert bis zu Zehntausende n Menschen auf die Straße
gehen, weil es ihnen nicht mehr nur um die Wahl des Moskauer
Stadtparlaments am 8. September geht, sondern um eine Zukunft, in der eine
Wahl keine Imitation der Demokratie mehr ist.
„Politische Spaziergänge“ nennt die Moskauer Opposition die Protestzüge.
Die Prokasows und auch die Chomskichs haben sich an solchen Aktionen
beteiligt und zu einigen auch ihre Kinder mitgenommen.
Sergei Fomin, der Onkel von Artemi Prokasow, hat Unterschriften für die
Oppositionskandidatin Ljubow Sobol gesammelt. Er gilt als Organisator der
„Unruhen“, weil er Losungen wie „Für ehrliche Wahlen“ gerufen haben so…
Im diffamierenden TV-Beitrag über ihn und die angeblichen Rabeneltern
Prokasow wird Fomin als „Spezialist der Straßentaktik im Stile der
Maidan-Technologie“ genannt. Sollte Fomin, der sich selbst stellte,
verurteilt werden, drohen ihm mindestens acht Jahre Haft.
Pjotr Chomskich gilt den Behörden als „Provokateur“, weil der ITler sich
auch an Aktionen des Antikorruptionskämpfers Alexei Nawalny beteiligt hat.
Er soll sich nun von Nichtregierungsprotesten fernhalten. „Ändern Sie die
Haltung zu Ihren Kindern“, gab ihm das Gericht nach der Verhandlung mit auf
den Weg. Am Ende bleibt es eine Verwarnung der Familien. Eine, die es in
sich hat.
3 Sep 2019
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## AUTOREN
Inna Hartwich
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