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# taz.de -- Protest in Russland: Einer dieser Moskauer Samstage
> Trotz Angst vor Festnahmen kamen Hunderte Moskauer zu Mahnwachen. Es
> wurde an drei Denkmälern ein ruhiger Nachmittag voller Wut.
Bild: Auch sie waren unterwegs: KP-Unterstützer schwenken Flaggen der Partei u…
Moskau taz | Moskau hat sich seit den Stadtumwälzungsplänen des
Bürgermeisters Sergej Sobjanin in eine Flaniermeile verwandelt. Mit
breiten, hellen Bürgersteigen, mit grünen Alleen. Also flaniert man. Man
spaziert nun durch die aufgehübschte Innenstadt – als Zeichen der
Unzufriedenheit. Demonstrieren als Zeichen [1][dieser Unzufriedenheit] ist
dem Kreml nicht genehm. Die Menschen praktizieren andere Formen eines
friedlichen Protests. Zuweilen nennen sie es politische Spaziergänge,
zuweilen stellen sie sich einzeln hin, halten Plakate hoch. Derartige
Mahnwachen müssen laut russischer Verfassung nicht genehmigt werden.
An diesem Samstag war solch ein „Piket“-Tag, wie die Russen sagen.
Einzeldemonstrationen an drei Denkmälern in der Innenstadt, streng
beobachtet von der Polizei. Nach der genehmigten Demo am vergangenen
Samstag mit knapp 60.000 Menschen und den ungenehmigten vor zwei und drei
Wochen, bei denen [2][die Spezialkräfte hart zugegriffen] und jeweils
mehrere Hundert Demonstranten festgenommen hatten, halten sich die
Polizisten diesmal zurück.
Eine Atempause im Moskauer Aufstand, bei dem es längst nicht mehr um die
Registrierung oppositioneller Kandidaten für die Wahl der Moskauer
Stadtduma am 8. September geht.
Vor dem Denkmal für Wladimir Wyssozki, den wohl größten sowjetischen
Liedermacher, gleich neben dem pfirsichfarbenen Gebäude des Moskauer
Stadtparlaments, erinnert die Menschenansammlung an diesem Nachmittag an
die frühere Strategie-31-Bewegung – Proteste, die zwischen 2009 und 2011
jeweils am 31. eines Monats stattfanden und den Artikel 31 der russischen
Verfassung ins Gedächtnis riefen: die Versammlungsfreiheit.
Die Menschen stehen nah beieinander, reden leise, sind umringt von
zahlreichen Journalisten der Stadt. Manche essen ein Eis, andere machen ein
Selfie mit dem Vertreter des russischen Menschenrechtsrat Nikolai Swanidse
oder dem einstigen Präsidentschaftskandidaten Grigori Jawlinski von der
liberalen „Jabloko“-Partei. Einige Straßenblöcke weiter haben Russlands
Kommunisten zur Demonstration für freie Wahlen aufgerufen. Knapp 4.000
Menschen kommen.
## „Nehmt eure Masken ab“
Die sogenannte Nicht-System-Opposition trifft sich derweil an den drei
Denkmälern. Nach und nach halten Einzelne Plakate hoch. „Zeit für
Veränderung“ steht darauf oder „Nehmt eure Masken ab“. Masken, die Moska…
Spezialpolizisten seit Kurzem tragen, wenn sie ungenehmigte Proteste in der
Stadt auseinanderjagen. Wenn sie mit ihren Schlagstöcken auf friedlich
demonstrierende Menschen einschlagen, sie in Gefangenentransporter zerren.
Sie sind zu namens- und gesichtslosen Symbolen des russischen Staates
geworden, einer anonymen Macht, die nicht hört, was die Menschen ihr zu
sagen haben.
Was Olga ihr zu sagen hat. Olga, Mitte 50, seit den 2000er Jahren bei
Protest-Aktionen dabei. Oder auch Konstantin, der Schüler, der die Politik
erst vor einem Jahr für sich entdeckt hat. „Es geht so nicht weiter“, sagen
beide, so unterschiedlich sie auch sind. Beide wollen anonym bleiben. „Man
weiß heutzutage nicht mehr, was einem plötzlich vorgeworfen werden kann“,
sagt Olga, die nicht Olga heißt. „Es ist meine Pflicht, hier rauszugehen,
trotz der Gefahr, einen Schlagstock auf den Kopf zu bekommen. Wir müssen
erreichen, dass sich jeder Politiker persönlich verantwortlich vor seinen
Wählern fühlt“, meint sie.
Konstantin, der wegen seines Aktivismus bereits Ärger mit der Polizei und
dem Schuldirektor hatte, will die Haltung „Misch dich da nicht ein“ nicht
länger mittragen. „Ich will als freier Mensch in Russland leben. Ich will
hier nicht abhauen, ich will mein Land verändern, damit ein Leben in Würde
möglich wird.“ An den vergangenen Samstagen ist er in der Stadt
„spazierengegangen“, hat die Festnahmen mitangesehen, die Verfahren wegen
„Massenunruhen“ verfolgt. „Unser Staat ist einfach nur noch unverschämt.…
Die Wahl der Moskauer Stadtduma, einer Institution, die kaum politisches
Gewicht hat, ist zu einem Ventil geworden – für ihren Kampf, so sagen es
viele am Wyssozki-Denkmal, gegen systematische politische Repressionen im
Land. Der Schüler Konstantin zeigt sich enttäuscht. „Die politische Apathie
vieler ist unerträglich. Wir müssen mehr werden, viel mehr, dann verändert
sich hier vielleicht etwas.“ Am kommenden Samstag will er wieder „spazieren
gehen“, am sechsten Samstag in Folge.
17 Aug 2019
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## AUTOREN
Inna Hartwich
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