# taz.de -- Olaf Scholz wird SPD-Kanzlerkandidat: Der Mann mit der roten Krawat… | |
> Olaf Scholz wird SPD-Kanzlerkandidat. Die Parteichefs betonen sein hohes | |
> Ansehen in der Bevölkerung – und die Geschlossenheit in der Partei. | |
Bild: Offensive Fünferkette: GenossInnen Klingbeil, Walter-Borjans, Scholz, Es… | |
BERLIN taz | Die SPD ist stolz auf sich. Vor zehn Tagen hat | |
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil das Gasometer im Berliner Stadtteil | |
Schöneberg für diese Pressekonferenz gemietet. Doch bis kurz vor Schluss | |
ist geheim geblieben, zu welchem Zweck: um Olaf Scholz als | |
SPD-Kanzlerkandidaten zu präsentieren. Was für ein Coup. | |
Also nicht im Willy-Brandt-Haus, das dafür wegen Corona als zu klein | |
erachtet wurde, sondern an einem etwas ungewöhnlicheren Ort kürten Saskia | |
Esken und Norbert Walter-Borjans am Montag jenen Olaf Scholz, ihren | |
unterlegenen Gegner beim Kampf um den Parteivorsitz. | |
Schon vor vier Wochen hatte sich die Parteispitze auf ihn festgelegt. | |
Mindestens ein halbes Dutzend wusste von der geplanten Pressekonferenz – | |
und doch hat niemand die Entscheidung für Scholz und den Ort an die Medien | |
durchgestochen. Daher der sichtbare Stolz bei allen Beteiligten. | |
Bei der SPD ist solche Verschwiegenheit eher die Ausnahme. Der Gasometer, | |
eine alte Industrieanlage mit hippen neuen Jobs, ist bewusst gewählt. Auch | |
die SPD will sehr gern als coole Verbindung von Industrie und lichter | |
digitaler Zukunft gesehen werden. | |
## Lob von der Spitze, Spott vom Kandidaten | |
Olaf Scholz steht in der Mitte, rechts von ihm Norbert Walter-Borjans, | |
links Saskia Esken. Scholz trägt staatsmännisch einen blauen Anzug mit | |
roter Krawatte. Walter-Borjans trägt ein lässiges Jackett ohne Krawatte, | |
Esken Freizeitkleidung – was man, obwohl alle die vertrauensvolle | |
Zusammenarbeit von Parteispitze und Ministern loben, womöglich als Wink für | |
die politische Zukunft der beiden deuten kann. | |
Die Parteispitze ist mit der Kür von Scholz von der Mitte der Macht an den | |
Rand gewandert. Diese drei sind nicht das neue SPD-Triumvirat, mag Esken | |
auch unerschütterlich verkünden: „Wir sind ein gemeinsames Team.“ | |
Die erste Viertelstunde verbringen Esken und Walter-Borjans damit, die | |
Anpreisung von Scholz mit politischen Positionierungen zu verbinden. | |
Abwechselnd umreißen sie ihre Vorstellung einer „anderen, progressiven | |
Mehrheit“, wie es Esken nennt – von der Bewältigung der Klimakrise bis zur | |
Überwindung von Hartz IV. | |
Scholz steht dabei wortlos zwischen den beiden, wendet seinen Kopf mal zu | |
ihr, mal zu ihm – mit einem leichten und trotzdem kaum verhohlenen Hauch | |
spöttischen Lächelns, das über sein Antlitz zieht. „Olaf Scholz genießt | |
hohes Ansehen in der Bevölkerung und auch in der Partei“, schwärmt | |
Walter-Borjans. | |
## Von 14 Prozent zur Gewinnerpartei | |
Die Kanzlerkandidatur entspricht zwar dem Ego von Scholz, ist für ihn aber | |
alles andere als risikolos. Schon die 20,5 Prozent, die [1][Vorgänger | |
Martin Schulz bei der vergangenen Bundestagswahl einfuhr, galten als | |
absolutes Desaster.] Zuletzt hatte die SPD im März 1933 – der letzten | |
Reichstagswahl vor ihrem Verbot – bei einer nationalen Stimmabgabe | |
schlechter abgeschnitten. Damals bekam sie 18,3 Prozent. | |
Nun rangiert die traditionsreiche wie -bewusste Partei in den [2][Umfragen | |
zwischen 14 und 15 Prozent]. Damit droht bei der Wahl im kommenden Jahr ein | |
historisch einzigartiger Tiefstand – falls Scholz nicht ein fundamentaler | |
Stimmungsumschwung gelingt. | |
Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus, auch wenn sich Scholz bei | |
seiner Präsentation am Montag in Optimismus übte. Bei der Bundestagswahl | |
2021 werde „vieles anders sein, als man heute prognostiziert“, gab sich der | |
62-jährige Hanseat demonstrativ zuversichtlich. „Wir trauen uns zu, dass | |
wir deutlich über 20 Prozent abschneiden können“, verkündete er. Nicht nur | |
das: „Wir stehen hier, weil wir eine Regierung anführen wollen.“ | |
Die Frage nach möglichen Koalitionspräferenzen beantwortete der | |
Möchtegernkanzler mit erstaunlichem Selbstbewusstsein: „Da gucken wir mal, | |
wer unserer Meinung sein möchte.“ Das erinnerte schwer an die Auftritte von | |
Martin Schulz beim letzten Mal, die immer tragischer wirkten, je näher der | |
Wahltag rückte. | |
Von Schulz übernahm Scholz auch, sich weder zu einem Bündnis mit Grünen und | |
Linken zu bekennen noch die Fortsetzung der Großen Koalition | |
auszuschließen. | |
## Wie ein mitfühlender Konservativer | |
Es gibt keinen Merksatz von Olaf Scholz, nichts, was für Überschriften | |
taugt. „Ich freue mich über die Nominierung. Und ich will gewinnen“ gehört | |
schon zum Einprägsamsten. Wie Scholz das Image als loyaler Mitarbeiter von | |
Angela Merkel abstreifen will, bleibt unklar. Allerdings ist ja noch Zeit. | |
Die SPD ist sehr früh dran mit der Kandidatenkür. | |
Der Wahlkampf wird erst beginnen, wenn klar ist, ob Söder, Merz oder | |
Laschet für die Union antreten. Scholz’ Agenda wird aber schon skizzenhaft | |
klar. Er nennt drei Bereiche, die auch den SPD-Wahlkampf prägen sollen. | |
Deutschland müsse – daher der Gasometer als Ort – in neuen Industrien | |
Weltmarktführer werden. Da soll sein Image als wirtschaftsnah helfen. | |
Zweitens: Europa. Anders als 2009, „als die Finanzkrise Europa spaltet“, so | |
Scholz, sorge die Sozialdemokratie nun mit dem EU-Antikrisenpaket gegen die | |
Auswirkungen der Coronapandemie dafür, dass dies nicht wieder passiere. | |
Und, ein Schlüsselwort für den Kanzlerkandidaten, das er stets besonders | |
energisch betont: Respekt. Die SPD sei nicht die Partei der | |
Besserverdienenden, sondern auch für jene da, „die Regale einräumen und | |
wenig Geld verdienen“. Das klingt, jedenfalls so allgemein gehalten, eher | |
nach einem mitfühlendem Konservatismus als nach energischer Umverteilung. | |
## Ein wenig demütiger | |
Die SPD präsentiert sich an diesem Montag einig. Partei, Fraktion und | |
Minister werden, sagt Scholz, wie bisher „geschlossen und kooperativ“ | |
zusammenarbeiten. Bei ihm liegt die Vermutung nahe, dass er das so meint: | |
Erst kommt die Geschlossenheit und dann die Kooperation. | |
Die ziemlich gute Zusammenarbeit zwischen Esken und Walter-Borjans auf der | |
einen und Scholz auf der anderen Seite hatte mehrere Gründe. Esken und | |
Walter-Borjans wollten tatsächlich trotz aller Unkenrufe die Groko nicht in | |
die Luft jagen, sondern „nur“ sozialdemokratischer machen. Und dann | |
natürlich die Coronakrise. | |
Aber auch: Die Niederlage beim Rennen um die Parteispitze hatte Scholz, der | |
eher zu Arroganz als zu Kooperation neigt, ein kleines bisschen demütiger | |
gemacht. | |
Gilt ab jetzt wieder – Geschlossenheit zuerst? „Ich fühle mich“, sagt der | |
Kanzlerkandidat, bevor er mit seinen Bodyguards verschwindet, „richtig | |
gut.“ | |
10 Aug 2020 | |
## LINKS | |
[1] /SPD-Ergebnis-bei-der-Bundestagswahl/!5449923/ | |
[2] https://www.wahlrecht.de/umfragen/ | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
Pascal Beucker | |
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