# taz.de -- Okkultismus in der Weimarer Republik: Die merkwürdige Else | |
> Ihr Ruf als berühmte „Kriminaltelepathin“ reichte bis nach Berlin: Vor | |
> 150 Jahren wurde Else Günther-Geffers geboren, die als Medium arbeitete. | |
Bild: Szene ohne Hellseherin: Aus dem Film Somnambul wurde Else Günther-Geffer… | |
BERLIN taz | Im Jahr 1920 wurde der Stummfilm „[1][Das Cabinet des Dr. | |
Caligari]“ zu einem der Türöffner für einen Okkultismus-Boom in Berlin. In | |
dem Film wird Conrad Veidt als „Cesare“ per Telepathie von dem sinistren | |
Doktor zu einem Mord angestiftet. Im realen Leben hingegen wusste zum | |
Beispiel [2][Leo Heller, Redakteur des 8-Uhr-Abendblatts], zu berichten, | |
„dass man auch am Wedding, in der Mulack- und Weißenburger Straße | |
Geisterrapporte abhält und nicht nur sinnliche, sondern auch übersinnliche | |
Dinge treibt“, was dann 1923 unter dem Titel „Mediale Auskunftei“ auch | |
Eingang in seine Feuilletonsammlung „Polente, Gannoven und ich!“ finden | |
sollte. Der Journalist Cornelius Tabori sprach sogar von einem „okkulten | |
Fieber“, das Deutschland erfasst habe. Die „Geisterwelt“ hatte sich in | |
Berlin eingenistet und wollte partout nicht weichen. Und sie teilte die | |
Menschen in zwei Lager: in vor Ehrfurcht erstarrende Sympathisanten oder | |
grollende Skeptiker. | |
Eine der Begleiterscheinungen dieses Phänomens war die | |
„Kriminaltelepathie“: Gemeint war damit der Versuch, Verbrechen mit Hilfe | |
von personalen Medien aufzuklären. Diese sollten in Trance eine | |
telepathische Verbindung zum Mörder, Opfer und weiteren Betroffenen oder | |
Beteiligten herstellen. | |
Mit Sorge wurde dieser seltsame Trend im Berliner Polizeipräsidium | |
beobachtet, seit die Leipziger Kollegen 1919 das erste offizielle | |
„kriminaltelepathische Experiment“ in Deutschland durchgeführt hatten. Am | |
23. Juli 1921 schrieb Regierungsrat Hegemann, der im Berliner | |
Polizeipräsidium Hellseher-Fälle dokumentierte, irritiert an die | |
Heidelberger Staatsanwaltschaft mit der Bitte um Auskunft, was es denn mit | |
dem Fall zweier ermordeter Bürgermeister auf sich habe, bei dem ein Medium | |
angeblich den Mörder habe identifizieren können. Die Antwort ist nicht | |
überliefert. Drei Jahre später forderte dann der Stellvertretende | |
Polizeipräsident von Berlin, Bernhard Weiß, der diese Geistergeschichte | |
schon länger mit Skepsis beobachtete, dass kriminalistische Methoden stets | |
das Resultat einwandfreier Wissenschaft sein sollten. | |
Zu diesem Zeitpunkt war Else Günther-Geffers bereits das bekannteste Medium | |
Deutschlands, das nicht im Traum daran dachte, den Kontakt zur Geisterwelt | |
zwecks Verbrechensaufklärung abzubrechen. Ihr Ehemann hatte durch die | |
Inflation seinen Arbeitsplatz verloren, und so musste sie ihre Familie – | |
das Ehepaar hatte drei Kinder – mit diesem auch lukrativen Job ernähren. | |
## Hellsehen ohne Erfolgsgarantie | |
Elsbeth (Else) Geffers wurde am 11. Juli 1871 im ostpreußischen Gumbinnen | |
als Tochter eines Oberpostdirektors geboren. 1897 heiratete sie in Halle an | |
der Saale den Kaufmann Kurt Günther und nahm den Familiennamen | |
Günther-Geffers an. Schon als junges Mädchen sagte sie den Tod naher | |
Verwandter oder andere Unglücke vorher. Um 1912 begann die „merkwürdige | |
Else“ – wie Verwandte sie tauften – ihre okkultistische Karriere mit | |
Handlesen. Als sie im damaligen Königsberg bei einer okkultistischen | |
Sitzung zum ersten Mal auch völlig überraschend in Trance fiel, mutierte | |
sie noch zum Trancemedium und zur Hellseherin. Meist arbeitete sie in | |
Ostpreußen, und 1922 gründete sie zudem als „Detektivin mit besonderer | |
Befähigung“ ihre eigene Detektei, gab dabei jedoch keine Erfolgsgarantie | |
für ihre Arbeit. Noch nicht einmal auf die ostpreußischen Geister war eben | |
unbedingter Verlass. Was natürlich den Menschen in die Hände spielte, die | |
Else Günther-Geffers von vornherein für eine Schwindlerin hielten. | |
Am 30. April 1928 begann in Insterburg ein Berufungsprozess gegen das | |
„Medium aus dem Memelland“, nachdem Günther-Geffers bereits im Mai 1927 | |
wegen Betrugs vor Gericht gestanden hatte, aber freigesprochen worden war. | |
Auch die Menschen in der Hauptstadt verfolgten gespannt die Prozessberichte | |
in den Zeitungen, zeigten sich fasziniert von den im Gerichtssaal | |
durchgeführten „Hellsehproben“ und „Trance-Experimenten“ und interessi… | |
sich für die Erfolgsfälle der mysteriösen Else Günther-Geffers. | |
So war sie zum Beispiel mit der Suche nach dem spurlos verschwundenen | |
Gespannknecht eines Rittergutsbesitzers im ostpreußischen Kreis Rastenburg | |
beauftragt worden. Das Medium nahm in Trance die Spur des Verschwundenen | |
auf und bewegte sich dann zu einem nahe gelegenen See. Dann zeigte sie auf | |
die Stelle, an der der Knecht – Kopf und Hände nach unten liegend – | |
angeblich im Sumpf versunken war. Die Suche nach der Leiche blieb jedoch | |
ohne Erfolg. Doch als Monate später an dieser Stelle Rohr geschnitten | |
wurde, stießen die Arbeiter auf die mit Kopf und Händen nach unten liegende | |
Leiche des verschwundenen Knechts. | |
Triumphierend vermeldete die Berliner Börsen-Zeitung am 4. Mai 1928 | |
schließlich die „Geglückte Hellsehprobe im Gerichtssaal“. Der Prozess | |
endete mit einem Freispruch in allen Punkten der Anklage: „Der Nachweis des | |
bösen Glaubens der Angeklagten ließ sich bei dem unzuverlässigen | |
Zeugenmaterial und der Schwierigkeit des Problems nicht erbringen.“ | |
„Okkulte Fähigkeiten“ hatte das Gericht aber nicht eindeutig feststellen | |
können: 25 nachgewiesenen Misserfolgsfällen standen 25 Erfolgsfälle | |
gegenüber. | |
## Schon damals umstritten | |
Nicht nur die „Kriminaltelepathie“, sondern auch ihre bekannteste | |
Vertreterin blieb also nach dem Prozess genauso ambivalent wie schon | |
vorher. | |
Ein Jahr später prangte auf Berliner Litfaßsäulen ein Filmplakat mit dem | |
Titel „Somnambul“. Dominiert wurde es von der weißhaarigen und seltsam | |
entrückten Else Günther-Geffers in Trance, die in dem Film durch ihre | |
übernatürlichen Kräfte eine Mörderin enttarnt, die ihren Gatten „in einem | |
Anfall von Mondsucht“ getötet hatte. Schon im Vorfeld hatte es großes | |
Aufsehen um den Film gegeben, der eigentlich auch „Die Hellseherin“ hatte | |
heißen sollen. Doch dann wurde er von der Berliner Filmoberprüfstelle | |
verboten, weil man sich an der wenig versteckten Botschaft störte, dass man | |
per Hellsehen Verbrechen aufklären könne, was die Öffentlichkeit | |
„irreleiten“ könne. Außerdem würde durch den Film das Ansehen der | |
Kriminalpolizei massiv beschädigt, weil die Hellseherin sie düpiere. | |
Auch der Berliner Kriminalrat Ernst Gennat, der für die Filmprüfstelle als | |
Sachverständiger hinzugezogen worden war, befürwortete aus letzterem Grund | |
das Verbot. Erst nachdem der Film rigoros gekürzt, somit in seiner | |
Botschaft völlig verändert und in „Somnambul“ umbenannt worden war, gab i… | |
die Prüfstelle frei, und er durfte am 7. Februar 1929 im Tauentzien-Palast | |
uraufgeführt werden. Else Günther-Geffers war jedoch nur noch eine für die | |
Handlung unwichtige Randfigur geworden. | |
Dennoch gab das Preußische Innenministerium nur wenige Wochen darauf einen | |
Erlass an alle Polizeibehörden heraus, in dem untersagt wurde, „Hellseher, | |
Telepathen und dergleichen zur Aufklärung strafbarer Handlungen | |
heranzuziehen“. So mussten die Geister möglicherweise murrend abziehen und | |
auch Else Günther-Geffers trat langsam den Rückzug aus der Öffentlichkeit | |
an. 1932 füllte sie noch einmal amerikanische Boulevardblätter, als sie | |
dort ihren Sohn besuchte und im Zuge dessen reißerisch über die „Hexe“ aus | |
Deutschland berichtet wurde, die sich angeboten hatte, bei der Suche nach | |
dem entführten Sohn des Flugpioniers Charles Lindbergh zu helfen. Einige | |
Wochen später wurde das Kind trotz Lösegeldzahlung tot aufgefunden. | |
Nach dem Zweiten Weltkrieg ließ Else Günther-Geffers sich in Brandenburg | |
nieder, wo sie nur noch als Geistheilerin arbeitete. Am 19. August 1959 | |
verstarb sie in Treuenbrietzen. Bis zum Schluss sah sie sich in der | |
Rückschau, wie sie 1953 in einem Brief an eine Verwandte schrieb, als „viel | |
besprochene, umstrittene und berüchtigte Hellseherin“. | |
14 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Bettina Müller | |
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