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# taz.de -- Über einen Star der 1920er-Jahre: Nichts für die Ewigkeit
> Einst große Erfolge, heute weitgehend vergessen: Vor 150 Jahren wurde der
> Bühnenschriftsteller und Journalist Richard Wilde geboren.
Bild: Gute Laune verbreitete dieses Wilde-Stück im Jahr 1918 (und auch diese W…
Berlin taz | „So, nu wulln mersch hier ’n bischen helle machen.“ Hä? Was
meint der Zimmerkellner Carl aus dem Schlesischen damit? In [1][Richard
Wildes] Lustspiel „Auf Vereinskosten“ aus dem Jahr 1896 – in der
Staatsbibliothek kann man sich den Text ausleihen – geht es hoch her.
Ein gut gelaunter Skatklub bezieht ein Hotel an der Ostsee, wo die Herren
im „Konversationszimmer“ ihrem namensgebenden Hobby frönen. Dort residiert
auch die Urlauberin Frau Geheimrat Ilau, die ihren drei Töchter im
heiratsfähigen Alter dünkelhaft verkündet: „Meint ihr etwa, eine Geheimrat
Ilau, geb. v. Barsewitz, lässt sich ohne weiteres drei ihr gänzlich fremde
Menschen durch einen untergeordneten Weinreisenden vorstellen?“
Natürlich sorgt der „untergeordnete Weinreisende“ mächtig für Gekicher, …
bei dem Namen „Amandus Mücke“ nicht besonders verwundert. Verstärkt wird
das durch den anfangs erwähnten Carl, der eben nicht besonders helle ist,
weil er aus den östlichen Provinzen stammt. Das ist nicht nett, war damals
in Berlin aber ein typisches Klischeebild.
Amüsante Irrungen und sprachliche Wirrungen sorgen bis zum Schluss für
Heiterkeit. Natürlich werden am Ende alle Töchter erfolgreich mit
Vereinsmitgliedern unter die Haube gebracht. An den mittlerweile
überkommenen Rollenmustern – junge Frauen werden schon mal als
„allerliebste Käfer“ angesprochen – störte sich das Publikum im
kaiserlichen Berlin eher nicht. Doch weil Wilde mit Stil, Leichtigkeit und
vor allem Humor schreibt, verzeiht man ihm das auch heute und geht
bereitwillig mit ihm auf eine nostalgische Zeitreise.
## Andere Pläne als der Vater
Am 30. Mai 1872 kam Richard Max Wilde als Sohn des jüdischen Kaufmanns
Julius Wilde und dessen Ehefrau Anna zur Welt, ein Jahr später wurde seine
Schwester Wally geboren. Man kann annehmen, dass der Vater ihn schon als
seinen Nachfolger sah, doch der Sohn hatte ganz andere Pläne.
In einem autobiografischen Artikel im Neuen Wiener Journal sollte Wilde
Jahrzehnte später über seine Berufswahl plaudern, die durch einen Besuch
von [2][Fromental Halévys Erfolgsoper „Die Jüdin“] geprägt wurde: „Let…
Endes muss ich es vielleicht auf 'Die Jüdin’ zurückführen, dass in mir der
böse Trieb dramatischen Schaffens geweckt wurde, dem ich mich zum ersten
Mal im zarten Alter von acht Jahren hemmungslos und rücksichtslos
überantwortete.“ Hinzu kamen die Besuche des Kroll-Theaters am Berliner
Königsplatz, seinem eigenen Paradies, „ein immer sich erneuernder
phantastischer Traum, ein Zaubergarten von unendlicher Reizung, eine
Vollendung verfeinerten Lebensgenusses, die nicht mehr zu überbieten war“.
Die Wochenenden des Schülers Richard Wilde gehörten daher dem Theater. „Wie
ein angeschossener Eber“ pflegte er kurz vor ein Uhr aus dem Königlichen
Wilhelm-Gymnasium gen Deutsches Theater zu stürmen, um eine preiswerte
Eintrittskarte zu erhaschen. Nach dem Abitur folgte ein Studium der
Philosophie- und Literaturwissenschaften an der Berliner Universität, das
er jedoch vorzeitig abbrach, um sich ganz der Bühnenschriftstellerei zu
widmen.
Am 5. Oktober 1895 war es endlich soweit: Das Alexanderplatz-Theater führte
sein allererstes Lustspiel „Der neue Lehrer“ auf. Doch es fiel gnadenlos
durch. „Ohne Lustigkeit“, „fürchterlicher Schmarren“ schrieb die Presse
und: „Schwänke dieser Art werden nicht für Zeit und Ewigkeit geschrieben“…
was fast schon ein wenig prophetisch war.
## Mit einem zweiten Standbein
Wohlweislich hatte sich Wilde jedoch ein zweites Standbein aufgebaut. Als
Schriftsteller und Redakteur des Berliner Börsen-Courier – so stand er 1902
im Berliner Adressbuch – hatte er eine gewisse finanzielle Sicherheit. In
diesem Jahr kam sein erster Sohn Joachim zur Welt, dessen Mutter, die
Freiburgerin Hermine Pollack, er ein Jahr zuvor geheiratet hatte.
Dann, im Jahr 1904, war er endlich da, der heiß ersehnte Erfolg. Zahlreiche
Bühnen rissen sich darum, seine „Posse mit Gesang“ namens „Der
Liebeshandel“ aufzuführen, nachdem sie zum ersten Mal im Theater des
Westens fulminant gefeiert worden war. Wilde hatte es geschafft, es folgte
eine lange und erfolgreiche Karriere als Bühnenschriftsteller, dessen guter
Ruf sich in den 1920er Jahren längst gefestigt hatte.
1924 gab er seinen Redakteursposten beim Berliner Börsen-Courier auf, zwei
Jahre später wechselte er zum 8-Uhr-Abendblatt, wo er zum Leiter des
Feuilletons aufstieg.
Wilde erkannte auch früh das Potenzial des noch neuen Mediums Film.
Zwischen 1916 und 1921 verfasste er 14 Drehbücher und gründete zusammen mit
anderen Autoren wie Hans Brennert den „Verband Deutscher Filmautoren“. Als
mittlerweile auch sehr bekannter Theaterkritiker war Wilde 1929 an der
Organisation der Gedenkfeier für den verstorbenen Schauspieler Albert
Steinrück beteiligt, zu dessen Ehren Heinrich Mann eine Rede hielt.
## Tod in Sachsenhausen
Als 1933 die Nazis an die Macht kamen, musste Wilde seinen Schreibtisch
beim 8-Uhr-Abendblatt räumen. Trotz zunehmender Lebensgefahr blieb er in
Berlin. Nach dem Novemberpogrom in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938
wurde er in „Schutzhaft“ genommen, am 29. November verstarb er um 19.15 Uhr
im KZ Sachsenhausen bei Oranienburg – angeblich an einem Schlaganfall.
Richard Wildes Schwester Wally Lippschitz wurde am 25. März 1943 in das
Vernichtungslager Sobibor deportiert. Seine Ehefrau Hermine überlebte die
Hölle von Theresienstadt und gelangte danach mit einem Rot-Kreuz-Transport
in die Schweiz, wo sie 1953 starb. Besonders tragisch: Noch 1945 gab sie in
der Zeitschrift Aufbau eine Suchanzeige nach dem 1911 geborenen Sohn
Wolfgang auf, der aber bereits 1943 in Auschwitz ermordet worden war.
Wolfgangs Bruder Joachim lebte nach der Flucht aus Deutschland in den
1950ern in einem Kibbuz in Israel, später kehrte er zurück und lebte bis zu
seinem Tod 1993 in Rheinland-Pfalz.
2009 wurden zu Ehren von Richard und Wolfgang Wilde vor ihrem einstigen
Wohnhaus in der Wielandstraße 30 in Charlottenburg zwei Stolpersteine
verlegt. Auf dem [3][Jüdischen Friedhof Weißensee] erinnert ein kleiner
Gedenkstein an einen der beliebtesten Bühnenautoren der wilhelminischen
Kaiserzeit.
Der Erfolg seiner weit über 35 Bühnenstücke war jedoch nicht für Zeit und
Ewigkeit: Heute ist Richard Wilde weitestgehend vergessen.
17 May 2022
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Wilde
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Jacques_Fromental_Hal%C3%A9vy
[3] https://jewish-cemetery-weissensee.org/wp/
## AUTOREN
Bettina Müller
## TAGS
Theater Berlin
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