| # taz.de -- Von den Nazis ermordet: Der Prophet im Smoking | |
| > Max Moecke war der „Hellseher von Berlin“. Er beriet Industrielle und | |
| > Bankiers, etwa bei Börsenspekulationen. Seine Erfolgsgeschichte endete | |
| > 1933. | |
| Bild: Tipps für die Zukunft und gute Geschäfte bot Max Moecke an und plante e… | |
| Vor 90 Jahren konnte es in Berlin vorkommen, dass man am Morgen in seinem | |
| Leibblatt von der Ankunft des „berühmten Hellsehers“ Max Moecke las, der | |
| sich in der Joachimsthaler Straße, Ecke Kurfürstendamm niedergelassen | |
| hatte. Wie ein Arzt bot der ehemalige Medizin- und Psychologiestudent der | |
| Uni Würzburg aber auch „Sprechstunden“ in Sachen „Berufs-, Ehe-, Geschä… | |
| und Zukunftsberatung“ an. Trotz fehlendem Doktortitel: Ein nicht enden | |
| wollender Strom ungezählter Jünger war die Folge. Dass Moeckes | |
| Lebensberatungen natürlich nicht kostenlos waren, versteht sich von selbst. | |
| Es war das Jahr 1930 und eine hartnäckige Esoterikwelle beherrschte seit | |
| geraumer Zeit die Stadt, sodass kaum jemand Anstoß daran nahm, dass da | |
| schon mal jemand „im Harn las“, was auch zu Moeckes buchbaren Leistungen | |
| gehörte. In Berlin, wo seit 1918 [1][bei so manch einem Gefühlschaos | |
| herrschte], sodass Betrüger nur zu leicht Opfer fanden. | |
| Wer war Max Moecke? Betrog er auch oder war er tatsächlich von seinen | |
| übernatürlichen Fähigkeiten überzeugt? Dies zu beurteilen, ist für | |
| Esoterikabstinenzler:innen nicht einfach. Immer dann, wenn Moecke | |
| seine eigene Wahrnehmung beschrieb, konnte schon mal Heiterkeit aufkommen. | |
| Da las man von „Zwergen und Gnomen“, die sich in seiner Wohnung tummelten. | |
| Schwer spooky wurde es, wenn er behauptete, dass er anhand von Lichtbildern | |
| nachweisen konnte, ob jemand verstorben war. Das erklärte er dadurch, dass | |
| „die Bilder für die Dauer ihrer Existenz mit dem Dargestellten fluidisch“ | |
| verbunden blieben – das konnte man glauben oder nicht. | |
| Und da war auch noch die eigentlich völlig unglaubwürdige Sache mit der | |
| Totenerweckung, von der er in seiner Broschüre „Magie im Alltag“ | |
| berichtete. Ein geradezu heroischer Akt, bei dem er ein Kind, das in eine | |
| Jauchegrube gefallen und bereits erstickt war, wieder zum Leben erweckt | |
| haben wollte. Das mutete geradezu biblisch an, zumal er „inspiriert, | |
| magisch, strahlend“ „Kraft in das Körperchen ohne Leben hineingestrahlt“ | |
| und dabei auch gebetet hatte. | |
| ## Hellseher und Heiler | |
| Schuld an Moeckes Obsession mit Okkultismus soll ein Inder „mit Blitzaugen“ | |
| gewesen sein, über den der 16-jährige Moecke einen Zeitungsbericht | |
| verschlungen haben will, was dann ein unauslöschliches okkultistisches | |
| Feuer in seinem Inneren entfachte. | |
| Der Erste Weltkrieg machte dem Okkultisten-Lehrling zunächst einen Strich | |
| durch die Rechnung. Verwundet kehrte er in seine schlesische Heimat zurück | |
| und holte zunächst sein Abitur nach, das er im Juli 1920 bestand. Sein | |
| ursprünglicher Plan, Medizin zu studieren, scheiterte an den geringen | |
| finanziellen Mitteln der Eltern. Die unmittelbare Folge war seine Arbeit | |
| als Bergmann, bei der er [2][über sein weiteres Leben im Zeichen des | |
| Okkultismus] – des „Verborgenen“ und Geheimen – nachdachte. Dann leucht… | |
| ein aufgehender Stern am Abendhimmel. | |
| Frühjahr 1921: Moecke wird Mitstreiter von Bernhard Richter, der die | |
| Zeitschrift Der sechste Sinn herausgibt und zudem Leiter der „Deutschen | |
| Okkultistischen Zentrale“ in Kassel-Wilhelmshöhe ist. Im Mai 1922 zieht | |
| Moecke nach Würzburg, um doch noch Medizin und Philosophie zu studieren. | |
| Nicht nur die praktische Arbeit als Hellseher und Heiler ist ihm wichtig, | |
| sondern auch die wissenschaftliche Erforschung der Phänomene und die daraus | |
| resultierenden Lehren für eine geistige Weiterentwicklung. Komplettiert | |
| wird das Repertoire des ganzheitlich orientierten Menschen Moecke durch | |
| Yoga und Meditation. Sein Studium wird er nie abschließen. | |
| ## Der „erste wissenschaftlicher Okkultist“ | |
| Seine Würzburger Wohnung wird indes zum Hotspot einer Neugeistgruppe namens | |
| „Ring der Harmonie“, ebenso ist er Mitglied der „Okkultistischen | |
| Arbeitsgemeinschaft“, die sich auch bei ihm trifft. „Gemeinsame | |
| Meditationen“ sind dabei an der Tagesordnung. Man erbittet „Segen für den | |
| Abend“ und lässt „Harmonie schwingen“. Das ist an sich alles nicht | |
| verwerflich, doch so einige seiner Professoren sind dennoch etwas verstört, | |
| sodass ihm die Promotion nach zwölf Semestern in der „geistigen Wüste“ | |
| namens Würzburg versagt bleibt. | |
| Längst ist er jedoch über die Grenzen der Stadt bekannt, nennt sich „erster | |
| wissenschaftlicher Okkultist“ und reist durch Deutschland und das | |
| benachbarte Ausland. Seine Auftritte haben dabei einen theoretischen | |
| Vortragsteil und einen praktischen Teil, bei dem er seine vermeintlichen | |
| Künste als Hellseher demonstriert. Das unterscheidet ihn von den eindeutig | |
| Unseriösen, die mit ihren Auftritten Varietéakten nahekommen. | |
| Moecke sieht sich selbst anscheinend als eine Art Lebensreformator, der den | |
| Menschen den Weg zu einem erfüllteren Dasein weisen kann. Neugeistbewegung, | |
| Okkultismus, Theosophie, Anthroposophie bis hin zum Spiritualismus werden | |
| zum Selbstbedienungsladen für Hoffnungen und Sehnsüchte. Die Presse ist dem | |
| Mann, der Teil einer „okkulten Flut über Deutschland“ ist, wohlgesonnen. | |
| Kein Wunder, hat Moecke ihnen doch oft zu Sensationsmeldungen verholfen, | |
| zum Beispiel, als er in Baden-Baden eine Wasserquelle fand. | |
| Ende der 1920er Jahre ist Moecke auf dem Zenit seines Erfolgs. Längst sind | |
| okkulte Themen auch in die Unterhaltungskultur eingegangen. In Berlin wird | |
| Moecke schnell zum umschwärmten Star der Gesellschaft, über den man auch | |
| gern in Zeitschriften berichtet. Seine Fans „füttert“ er darüber hinaus m… | |
| mehreren handlichen Broschüren, in denen er über seine Philosophie | |
| berichtet. | |
| ## Hochschule für Okkultismus | |
| Doch diese Glanzzeit wird für den Mann im Smoking schon bald enden, weil im | |
| Hintergrund bereits Okkultismus-Hasser wie Joseph Goebbels mit den Hufen | |
| scharren, um ihn zu Fall zu bringen, und nicht nur den. Der Horoskop-Junkie | |
| Rudolf Heß wiederum ist zutiefst beeindruckt von Moecke. Goebbels bleibt | |
| hart, für ihn und seine Komplizen darf es nur einen einzigen „Heiland“ | |
| geben – und der heißt Adolf Hitler. | |
| Im Februar 1933, nur wenige Tage nachdem Hitler zum Reichskanzler ernannt | |
| worden ist, berichtet eine französische Zeitung von der Gründung einer | |
| Hochschule für Okkultismus, die im Filmseminar in der Levetzowstraße in | |
| Moabit untergebracht werden soll. Deutsche Zeitungen schweigen. Ein Monat | |
| später wird Moeckes größter Konkurrent, Erik Jan Hanussen, in der Nacht vom | |
| 24. auf den 25. März 1933 von einem SA-Trupp erschossen, es heißt, weil er | |
| zu viel wusste, und überdies jüdischer Herkunft war – eigentlich hieß er | |
| Hermann Steinschneider. | |
| Am 17. September 1933 erscheint in der Berliner Illustrierten Zeitung ein | |
| Schmähbericht über Moeckes neue Hochschule. Der Tenor ist eindeutig: Die | |
| biete nur „äußeren Hokuspokus“. Man diffamiert Moecke somit als Betrüger, | |
| woraufhin dieser die Hochschule aufgibt und am 7. Oktober 1933 Deutschland | |
| zusammen mit seiner Frau Johanna verlässt, um sich in der Schweiz | |
| niederzulassen. Doch weder die Wohnsitznahme noch die beabsichtigte | |
| Tätigkeit Moeckes wird dort als notwendig angesehen. Sein Antrag, ihn als | |
| „politischen Flüchtling“ anzuerkennen und ihm Asyl zu gewähren, wird | |
| abgelehnt. | |
| ## Wähnt sich in Deutschland nicht in Gefahr | |
| Moecke führt fortan ein unstetes Leben mit Stationen in Italien, Frankreich | |
| und Wien. In Lebensgefahr wähnt er sich anscheinend nicht, weil er sich | |
| 1936 wieder in Deutschland aufhält, wo er – inzwischen geschieden – in | |
| Baden-Baden von einer neuen Existenz als Schriftsteller träumt. Doch man | |
| hat keineswegs vergessen, dass der „Hellseher“ vorgehabt hatte, eine eigene | |
| Okkultisten-Loge zu gründen. In einem seiner Bücher hatte er „ernsthafte | |
| und kritische Anwärter“ dazu aufgerufen, sich bei ihm schriftlich zu | |
| melden. Das hatte ihm reichlich Fanpost beschert, dann war die | |
| Korrespondenz – nach dem Verbot der Freimaurerei am 17. August 1935 durch | |
| Reichsinnenminister Frick –, beschlagnahmt worden. | |
| Am 30. Oktober 1937 wird Max Moecke von der Gestapo verhaftet und im KZ | |
| Dachau interniert, am 26. September 1939 überführt man ihn als politischen | |
| Häftling nach Buchenwald. | |
| Am 9. Juni 1941 werden nach Rudolf Heß’ gescheitertem Flug nach England – | |
| und das nur, weil sein Horoskop für diesen Tag so „günstig“ war –, | |
| [3][sämtliche „Geheimlehren und sogenannte Geheimwissenschaften“] verboten. | |
| In der Nacht vom 14. zum 15. Juli wird Max Moecke in die Tötungsanstalt | |
| Pirna-Sonnenstein deportiert und dort ermordet. | |
| Der „Hellseher von Berlin“, der angeblich immer schon ein Bild der Antwort | |
| sah, wenn man ihm eine Frage stellte, war tot. Was auch immer Max Moecke | |
| wirklich war, das Thema „Okkultismus“ ist nicht totzukriegen. Aber auch | |
| nicht die Diskrepanz zwischen ernsthafter wissenschaftlicher Erforschung | |
| okkulter Phänomene, wie es zum Beispiel die englische Society for Psychical | |
| Research seit 1882 betreibt, und totaler Ablehnung – begründet durch | |
| jahrhundertelange mannigfaltige Betrügereien durch angebliche | |
| „Jenseitsmedien“. | |
| Dieses Dilemma wird wohl nie beseitigt werden können. Zumindest nicht in | |
| diesem Leben. | |
| 25 Sep 2025 | |
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| Bettina Müller | |
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