# taz.de -- Ökologin über Artenschutzforschung: „Eine Biodiv-Greta wäre sc… | |
> Die Vereinten Nationen wollen 30 Prozent der Erde unter Schutz stellen. | |
> Das lädt nur zu Ablasshandel ein, sagt Landschaftsökologin Christine | |
> Fürst. | |
Bild: Der Mensch ist auf die Biene angewiesen, aber die Bienen brauchen keine M… | |
taz: Frau Fürst, an diesem Donnerstag startet eine | |
BMBF-Forschungsinitiative zum [1][Erhalt der Artenvielfalt] mit einer | |
großen digitalen Auftaktkonferenz. Was wollen Sie denn herausbekommen? | |
Christine Fürst: Wir möchten vor allem Handlungsempfehlungen entwickeln. | |
Dazu führen wir die vorhandene Biodiversitätsforschung und die | |
sozialwissenschaftliche Forschung zusammen. Bislang stehen beide zu häufig | |
unverbunden nebeneinander, die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung | |
und die sozialökologische Forschung. Fragen sind etwa, welche Präferenzen | |
und Hemmnisse es dabei gibt, Biodiversität zu erhalten – wann beginnen | |
Menschen, sich zu engagieren? Gibt es Zusammenhänge zwischen urbaner und | |
ländlicher Biodiversität? | |
Mangelt es beim Kampf gegen das Artensterben denn wirklich an Wissen? Oder | |
nicht eher am Willen, die vorliegenden Konzepte auch wirklich umzusetzen? | |
Nein, wir haben sowohl ein Erkenntnis- als auch ein Handlungsdefizit. In | |
vielen Fällen wissen wir, was wir tun müssten, aber nicht, wie wir | |
diejenigen erreichen, die Maßnahmen umsetzen. Darum sind unsere Projekte | |
trans- und interdisziplinär. Es forschen nicht nur Ökologen, sondern auch | |
Wirtschaftswissenschaftler, Juristen, aber auch Landnutzer wie der | |
Bauernverband oder verschiedene kleinere Vereine, die sich engagieren. Es | |
reicht ja nicht, einfach Schutzgebiete zu errichten, wir müssen den | |
Artenschutz in die Fläche bringen. | |
Schutzgebiete einrichten ist aber der Ansatz, den die UNO in ihrer | |
Konvention zum Schutz der Biodiversität [2][verfolgen will], auch die | |
Deutsche Bundesregierung unterstützt das. Sind 30 Prozent der Erde unter | |
Schutz das falsche Ziel? | |
Ja. Besser sollten wir über eine nachhaltige Nutzung für 100 Prozent der | |
Fläche nachdenken. Das wäre aus verschiedenen Gründen sinnvoller. | |
Flächenkontingente verleiten zum Ablasshandel: Ich stelle irgendeine | |
Fläche, in der wenige Menschen wohnen, unter Schutz. Egal, ob das was für | |
den Artenschutz bringt – mein Gewissen ist beruhigt. Außerdem nutzen | |
Schutzgebiete inmitten degradierter Landschaften vielen Arten nichts. Sie | |
müssen wandern, das gehört zu ihrer Natur, sie brauchen den genetischen | |
Austausch. | |
Bisher kommt die Kritik am Schutzgebietskonzept eher aus dem Süden, etwa | |
Lateinamerika oder Afrika. Beziehen Sie die auch auf das dicht besiedelte | |
Mitteleuropa? | |
Ich arbeite auch in Brasilien oder Subsahara-Afrika, und dort stellt man | |
mit Schutzgebieten tatsächlich Gegenden unter Schutz, in denen Menschen und | |
Natur eine lange, erfolgreiche gemeinsame Geschichte haben. Und im Amazonas | |
leuchtet unmittelbar ein: Wenn ich 30 Prozent unter Schutz stelle und den | |
Rest mit Plantagen oder Sojafeldern bepflanze, bringt das für | |
Biodiversitäts- und Artenschutz gar nichts. Aber natürlich gilt das auch | |
hierzulande. Blühstreifen in Agrarwüsten bringen nichts, wenn sie so weit | |
auseinander liegen, dass den Insekten unterwegs der Treibstoff ausgeht. | |
Vergangenes Jahr sollte das Jahr der Biodiversität werden, doch wegen | |
Corona sind alle geplanten Großveranstaltungen – auch der UN-Gipfel – | |
ausgefallen. Wie bekommt das Thema wieder Schwung? | |
Eine Biodiversitäts-Greta wäre schön, oder Mondays for Biodiversity. Wir | |
müssen versuchen, die breite Bevölkerung für das Thema zu interessieren. | |
Für Wissenschaftler ist es oft schwer, die Bevölkerung zu erreichen, unsere | |
Sprache ist zu kompliziert. Unsere Inhalte gerade im Bereich Biodiversität | |
sind komplex. Bildung für Artenschutz, schon an den Schulen, aber auch in | |
der Erwachsenenbildung, ist ganz wichtig. | |
Ist das Thema nicht schon Mainstream? Alle lieben Bienen! | |
Das ist zweischneidig. Natürlich sind Sympathieträger gut geeignet, um das | |
Thema in die Gesellschaft zu tragen. Aber zum einen kann die Kommunikation | |
über bestimmte Arten auch schiefgehen. Noch ist der Wolf bei der breiten | |
Bevölkerung beliebt, aber wenn er sich den Städten nähert, wie Wildschweine | |
das schon tun, dann kann die Sympathie kippen. Und wenn als Folge der | |
Bienenleidenschaft die Städter anfangen zu imkern – dann ist für den | |
Insektenschutz nicht viel gewonnen. Daher ist es wichtiger, in der | |
Dimension von Landschaften zu denken. | |
Falsche Ziele, falsche Kommunikation – sind Sie froh, wenn das Jahr der | |
Biodiversität noch mal verschoben wird, um Zeit zu haben, beides zu | |
überdenken? | |
Das würde wohl nur gelingen, wenn neue Akteure an den Verhandlungstisch | |
kommen. Die Community muss sich dringend öffnen, aber ich sehe gerade keine | |
Anzeichen, dass sie das tut. | |
14 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
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