# taz.de -- Niedersachsen bekommt Klimaschutzgesetz: Die Welt radikaler retten | |
> Niedersachsens Große Koalition beschließt ein Klimaschutzgesetz und | |
> verankert das Thema in der Landesverfassung. | |
Bild: Vorm Landtag in Hannover: FFF-Protest am Tag der Verabschiedung des Klima… | |
HAMBURG taz | Großer Wurf oder Mini-Schritt? Am Mittwoch hat der | |
niedersächsische Landtag mit den Stimmen der Großen Koalition ein von ihr | |
erarbeitetes Klimaschutzgesetz verabschiedet. Bis 2050 soll Niedersachsen | |
danach klimaneutral werden. Schon 2040 soll der Energiebedarf des Landes | |
komplett aus erneuerbaren Energien gedeckt werden. | |
Auf diesem Weg will die Landesregierung eine Milliarde Euro in konkrete | |
Maßnahmen fließen lassen. Das Milliardenprogramm umfasst 46 Maßnahmen, die | |
neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien, die Gebäudesanierung und die | |
Verkehrswende voranbringen, aber auch die Landwirtschaft klimafreundlich | |
umgestalten sollen. Schwerpunkt des Maßnahmenbündels ist die | |
„Energieoffensive“ mit einem großen Solarprogramm, aber auch dem Einstieg | |
in die Wasserstoffwirtschaft. So ist eine Solarpflicht für neue | |
Gewerbedächer vorgesehen. | |
Das ist „das bisher größte Investitionsprogramm für Klimaschutz in | |
Niedersachsen“, lobt Umweltminister Olaf Lies (SPD) das Koalitionsprojekt. | |
Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sieht Niedersachsen mit den | |
Beschlüssen von Mittwoch gar auf dem Weg, zum „Klimaschutzland Nr. 1“ zu | |
werden. | |
Bezahlt werden sollen die Maßnahmen zur guten Hälfte – mit knapp 550 | |
Millionen Euro – aus dem Corona-Sondervermögen, das das Land im Frühjahr | |
zur Bewältigung der Viruskrise eingerichtet hat. Das restliche Geld stammt | |
aus dem Haushaltsüberschuss von 2019 (162 Mio. Euro) sowie einzusparenden | |
Haushaltsmitteln der Ministerien (315 Mio. Euro). Ein jährliches Monitoring | |
und eine wissenschaftliche Begleitung sollen sicherstellen, dass die | |
Maßnahmen auch tatsächlich in dem erhofften Maß zur Umsetzung der | |
niedersächsischen Klimaziele beitragen. | |
Probleme haben die Umweltbewegung und die Klimaschützer*innen damit, dass | |
die Zielvorgaben und die dahin führenden Maßnahmen nicht ambitioniert, aber | |
auch nicht konkret genug gefasst seien. Parallel zur Landtagsdebatte | |
demonstrierten am Mittwochvormittag die Klimaschutz-Bewegung Fridays for | |
Future (FFF) und die Grüne Jugend gegen das aus ihrer Sicht „unzureichende | |
und unambitionierte“ Klimagesetz vor dem Landtag. Dort setzten sich die | |
Aktivist*innen Masken mit den Konterfeis von Lies, Weil sowie | |
[1][Wirtschaftsminister Bernd Althusmann] (CDU) auf und spielten mit einem | |
symbolischen Erdball Fußball. „Liebe GroKo spielen Sie nicht mit der Erde“, | |
lautete der Appell der Demonstrant*innen. | |
„Mit diesem Klimagesetz betreibt die Große Koalition Augenwischerei: Was | |
nach außen nach Klimaschutz klingt, verfehlt das [2][Pariser Klimaabkommen] | |
um Weiten und setzt mutwillig weiter unsere Zukunft aufs Spiel“, schimpfte | |
Emily Karius von [3][FFF-Niedersachsen] während der Kundgebung. Das Ziel, | |
Niedersachsen bis 2050 klimaneutral zu machen, sei völlig unzureichend: | |
„Wir müssen das bis 2035 schaffen“, fordert Karius. | |
„Leere Worte retten nicht unsere Zukunft“, klagt auch die Aktivistin Lou | |
Töllner. Das Ziel, dem Klimaschutz in der niedersächsischen Politik Vorrang | |
zu geben, sei „auf dem Weg zum Gesetzestext offensichtlich verloren | |
gegangen“. Klimaschutz sei „nicht verhandelbar“ und müsse radikal sein. … | |
SPD-Umweltpolitiker Marcus Bosse hielt dagegen, dass es einen Wandel „nur | |
durch Innovation und nicht durch Verbote“ geben könne. | |
Auch die Grünen ließen an dem verabschiedeten Gesetz kein gutes Haar und | |
legten einen eigenen, wesentlich ambitionierteren Gegenentwurf vor, der | |
erwartungsgemäß keine Mehrheit fand. „Das, was SPD und CDU als Klimagesetz | |
für Niedersachsen vorlegen, geht komplett an den Herausforderungen unserer | |
Zeit vorbei“, moniert die Grünen-Umweltpolitikerin Imke Byl. „Es mangelt | |
nicht am Geld oder den Möglichkeiten, sondern am bisher fehlenden | |
politischen Willen.“ | |
Die Grünen kritisierten das Maßnahmenpaket, das die Landesregierung bereits | |
vor Monaten angekündigt hatte, als „Mogelpackung“. Es handele sich um ein | |
„Sammelsurium aus längst geplanten und einigen neuen Maßnahmen“, kritisie… | |
Byl. Sie fordert eine Solarpflicht auch für private Neubauten und konkrete | |
Flächenvorgaben für die Landkreise zur Erzeugung von Windenergie. | |
Neben dem Klimagesetz und dem Maßnahmenpaket winkte der niedersächsische | |
Landtag am Mittwoch auch noch eine Verfassungsänderung durch. 97 | |
Abgeordnete stimmten in geheimer Abstimmung dafür, den Klimaschutz als | |
Staatsziel in der Landesverfassung zu verankern, 27 Abgeordnete stimmten | |
dagegen. Die Zweidrittelmehrheit aller 137 Landtagsabgeordneten, die bei 92 | |
liegt, wurde damit locker erreicht. | |
Allerdings ist auch die Aufnahme des Klimaschutzes in den Verfassungsrang | |
nicht unumstritten, weil sie sich als Luftbuchung erweisen könne. Zum einen | |
ist in der Landesverfassung bereits der „Schutz der natürlichen | |
Lebensgrundlagen“ verankert, was den Klimaschutz bereits einschließt. Zum | |
anderen sind Staatsziele von einzelnen Bürger*innen nicht einklagbar – eine | |
Ergänzung der Verfassung könne daher, nach Meinung ihrer Kritiker*innen, | |
Erwartungen wecken, die nicht zu erfüllen seien. Mattias Fischer von der | |
Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung warnt deshalb vor einer | |
„in der Verfassung verankerten Enttäuschung“. | |
Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der niedersächsischen Grünen, | |
Helge Limburg, kritisiert den nun beschlossenen Verfassungsrang des | |
Klimaschutzes als reine Symbolpolitik. „Wir brauchen einen echten | |
Klimavorbehalt in der Verfassung, der ausschließt, dass zukünftig | |
klimaschädliche Gesetze beschlossen werden“, sagte Limburg, dessen Partei | |
auch hier einen Alternativentwurf vorlegte. | |
Die FDP hält diese Forderungen der Grünen schlicht für verfassungswidrig. | |
Geht es nach FDP-Fraktionschef Stefan Birkner, dürfe es einen automatischen | |
Vorrang des Klimaschutzes vor anderen Staatszielen in einer Demokratie | |
nicht geben. | |
10 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Wirtschaftsminister-ueber-Klimaschutz/!5711862 | |
[2] https://ec.europa.eu/clima/policies/international/negotiations/paris_de | |
[3] https://fridaysforfuture.de/regionalgruppen/ | |
## AUTOREN | |
Marco Carini | |
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