# taz.de -- Neukölln-Untersuchungsausschuss: Am rechten Netzwerk vorbei gesehen | |
> Die Polizei habe die Anschläge seit 2009 nicht als Serie offenbar immer | |
> gleicher Täter erkannt, sagt Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen | |
> Rechts. | |
Bild: Die Projektleiterin der MBR 2019 bei der Präsentation der Broschüre „… | |
BERLIN taz | Es sei immer der gleiche Modus Operandi gewesen, stellte | |
Bianca Klose fest. Bei der Analyse der rechtsextremen Angriffsserien in | |
Neukölln seit 2009 müssten die dafür verantwortlichen Netzwerke in den | |
Blick genommen werden. Dazu gehörte vor allem das Neonazi-Netzwerk | |
„NW-Berlin“. [1][Klose, Leiterin der Mobilen Beratungsstelle gegen | |
Rechtsextremismus] (MBR), wurde am Freitag als Sachverständige im | |
Neukölln-Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses gehört. | |
Der Ausschuss befasst sich mit dem Vorgehen der Ermittlungsbehörden im | |
Zusammenhang mit der rechtsextremistischen Straftatenserie in dem Berliner | |
Bezirk. Bislang wurde keiner der im Zeitraum von 2009 bis 2021 erfolgten | |
Anschläge und Vorfälle aufgeklärt. | |
Das Fazit der MBR-Chefin ließ an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig. | |
Ausbleibender Ermittlungserfolg habe die Rechtsextremen in ihrem Handeln | |
möglicherweise ermutigt. Die Angriffe seien im Laufe der Zeit zunehmend | |
gefährlicher geworden, indem gezielt Brandstiftungen verübt worden seien. | |
Während die Rechtsextremen durch den fehlenden Repressionsdruck „zunehmend | |
selbstbewusster wurden, erhielten die Bedrohten und Betroffenen von | |
staatlichen Stellen nicht die notwendige Aufmerksamkeit und Unterstützung“, | |
heißt es im Gutatchen der MBR. | |
Die Organisation kann auf eine über 20-jährige Erfahrung bei der Beratung | |
von Menschen verweisen, die von Rechtsextremismus, Rassismus oder | |
Antisemitismus betroffen sind. 2001 sei man zum ersten Mal von der | |
Neuköllner Zivilgesellschaft wegen rechtsextremer Vorfälle konsultiert | |
worden, berichtete Klose am Freitag. Über Jahrzehnte habe sich dort ein | |
enges Vertrauensverhältnis entwickelt. Der MBR sei sehr gut vernetzt mit | |
den von den Bedrohungen und Anschlägen Betroffenen. | |
Zahlreiche [2][Betroffene hatten in den vorangegangenen Sitzungstagen im | |
Ausschuss ausgesagt]. Den Eindruck der MBR fasste Klose so zusammen: Die | |
Menschen seien nicht ernst genommen worden von dem ermittelnden Behörden. | |
Von den Funden sogenannter rechtsextremistischer Feindeslisten seien sie | |
nur mangelhaft informiert worden. Mehr als 1.000 Namen stünden in den | |
Listen, die mit Bezug zu der Angriffsserie seit 2016 von den Neonazis | |
konspirativ geführt wurden. | |
Vier dieser Listen waren von der Polizei durch Zufall oder bei | |
Durchsuchungen gefunden worden. Sie vermute, das längst nicht alle | |
Betroffenen von der Polizei über die Existenz ihrer Namensnennung in den | |
Listen informiert worden seien, sagte Klose. Und wenn es passiert sei, | |
hätten die Gespräche mit der Polizei bei den Betroffenen mehr zu Irritation | |
als zur Aufklärung geführt. „Wir hätten diese Listen gerne, gemeinsam mit | |
allen hunderten von Betroffenen“, forderte Klose. | |
## Sie sprühten Parolen wie „Kopfschuss 9 mm“ | |
Den Modus Operandi des rechtsextremisten Netzwerks beschrieb die MBR-Chefin | |
so: Drohungen an Hauswänden unter Nennung von Vor- und Nachnamen und | |
Parolen wie „Kopfschuss 9 mm“ – „rote Sau“. Die Handschrift sei bei v… | |
der Taten auffallend ähnlich gewesen. | |
Auch sie selbst sei Betroffene einer dieser Sprühaktionen, so Klose. Eine | |
Tatortbegehung im Umfeld ihrer Wohnung hätten die Polizisten abgelehnt, | |
obwohl auch in einer Seitenstraße gesprüht worden war. Die Aufforderung des | |
NSU-Bundestags-Untersuchungsausschusses, Hinweise der Betroffenen künftig | |
ernst zu nehmen, „sind noch nicht da angekommen, wo sie ankommen sollten“. | |
Ob es es eine forensische Untersuchung der Handschrift gegeben habe, | |
erkundigte sich der Linken-Abgeordnete Niklas Schrader. Sie würde sich | |
wünschen, dass der Untersuchungsausschuss auch dieser Frage nachgehe, sagte | |
Klose – „wenn Sie die Akten mal bekommen haben“. Die kleine Spitze in | |
Richtung Innen- und Justizverwaltung konnte sich die Leiterin der MBR nicht | |
verkneifen. [3][Wie berichtet, hat der Untersuchungsausschuss immer noch | |
keinen vollständigen Aktenbestand von Polizei und Staatsanwaltschaft | |
erhalten]. | |
## Ein Gutachten von 50 Seiten | |
Rund 50 Seiten umfasst das Gutachten der MBR mit dem Titel „Vom ‚Nationalen | |
Widerstand Berlin‘ zu rechtsextremen Angriffsserien“. In der Zeit zwischen | |
2009 bis 2015 seien insgesamt 102 Angriffe mit Bezug zu Neukölln bekannt | |
geworden: Bedrohungen mit Graffiti, Stein- und Farbflaschenwürfe auf | |
Fenster, andere Sachbeschädigungen sowie Brandanschläge auf Autos und | |
Gebäude. | |
Seit 2016 wiederum seien 55 Angriffe dieser Art gezählt geworden. Dabei kam | |
es in 16 Fällen zu Brandanschlägen, davon 14 auf Autos. Neu an der | |
Anschlagsserie ab 2016 sei, dass nicht primär Einrichtungen ins Visier | |
genommen wurden, sondern oft engagierte Einzelpersonen. | |
Der selbst ernannte NW habe sich 2005 zusammengeschlossen. Unter diesem | |
Label hätten Neukölner Rechtsextremisten in Abstimmung mit | |
Rechtsextremisten in anderen Berliner Bezirken agiert, sagte Klose. 2012 | |
sei die vom NW betriebene Internetseite abgeschaltet worden. Der | |
[4][derzeit in Berlin vor Gericht stehende Neuköllner Tatverdächtige | |
Sebastian T.] sowie Personen aus seinem Umfeld seien bereits in diesem | |
Netzwerk aktiv gewesen. | |
Eine frühere Strafverfolgung, so die MBR-Chefin, hätte die späteren Taten | |
verhindern können. Ihr Eindruck sei, dass die Strafverfolgungsbehörden den | |
Netzwerkcharakter „völlig verkannt“ haben. Und auch der Verfassungsschutz | |
habe sich eher für die „freien Kräfte“ als für die Sammelbewegung | |
interessiert. Gefragt nach der Größe des Netzwerks sagte Klose: „Wir | |
quantifizieren selten“, der aktive Personenkreis sei aber „überschaubar“. | |
Der Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss war nicht der erste der | |
MBR-Chefin im Abgeordnetenhaus. Schon 2012 habe sie dem Rechtsausschuss von | |
den Erkenntnissen der MBR berichtet, sagte Klose am Freitag. Auch ein | |
Handout zum NW Berlin habe sie den Abgeordneten zur Verfügung gestellt. | |
Danach sei sie vom Staatsschutz vorgeladen worden. „In einer | |
verhörähnlichen Situation sollte ich erläutern, woher wir das alles | |
wissen.“ Ob und wo ihre Informationen danach eingeflossen sind, „kann ich | |
nicht sagen“. | |
Grundlage des Gutachtens seien eigene Erkenntnisse sowie öffentlich | |
zugängliche Informationen, sagte Klose. Der MBR habe sich um eine | |
überzeugende dichte Darstellung bemüht. „Wir hoffen, dass die | |
Ermittlungsbehörden einen ähnlichen Standard an den Tag legen.“ Noch so | |
eine Spitze. Mit der Vernehmung von Polizei und Staatsanwaltschaft kann der | |
Untersuchungsausschuss allerdings erst beginnen, wenn die Akten da sind. | |
25 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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