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# taz.de -- Rechter Terror in Berlin-Neukölln: „Es geht um das rechte Umfeld…
> Abgeordnete sollten im Untersuchungsausschuss berlinweit rechte Netzwerke
> in den Blick nehmen, fordert Bianca Klose von der mobilen Beratung gegen
> Rechtsextremismus.
Bild: Erwartet Antworten: Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechts
taz: Frau Klose, Sie haben mit der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus
Berlin Kontakt zu vielen Betroffenen der rechtsextremen Anschlagsserie in
Neukölln. Selbst eine Ihrer Mitarbeiter*innen wurde konkret von
Neonazis bedroht. Was muss der Untersuchungsausschuss Neukölln aus Sicht
der Betroffenen leisten?
Bianca Klose: Bis heute ist keine der Taten aufgeklärt, die Täter sind
unbehelligt und auf freiem Fuß. Aus unseren Beratungen können wir sagen,
dass bei Betroffenen die Hoffnung auf Aufklärung seit nunmehr 13 Jahren
schwindet. Sie warten seit 2009 auf Ermittlungserfolge – seit Beginn der
Anschlagsserie vom Nationalen Widerstand Berlin. Die meisten Anschläge sind
nicht nur nicht aufgeklärt, sondern die Taten mittlerweile auch vermutlich
verjährt und Ermittlungen eingestellt – etwa alle Straftaten bis 2016.
Der Untersuchungsausschuss muss aufklären, ob wirklich alles Notwendige
getan wurde, um Verantwortliche zu ermitteln, oder ob ein grobes
Verschulden der Behörden vorliegt. Es ist die erste Möglichkeit, die Arbeit
von Polizei, Justiz und Verfassungsschutz unabhängig zu überprüfen. Die
Handelnden müssen sich den zahlreichen offenen Fragen im Neukölln-Komplex
stellen. Betroffene wollen wissen, ob Ermittlungen verschleppt wurden,
bestimmten Hinweisen nicht nachgegangen oder gar Aufklärung aktiv behindert
wurde.
Meinen Sie, wie bei Ferat Kocak, bei dem die Behörden durch
Telefonüberwachung wussten, dass die Neonazis Sebastian T. und Tilo P.
konkrete Anschlagspläne hatten? Die Polizei observierte ihn sogar – und
warnte ihn dennoch nicht vor einem Brandanschlag.
Ja. Aber auch in anderen Fällen wollen Betroffene wissen, welche
Erkenntnisse die Behörden im Vorfeld von Anschlägen hatten und ob noch mehr
Taten hätten verhindert werden können. Zudem gilt es aufzuklären, wie
Neonazis immer wieder an aktuelle persönliche Daten gekommen sind – trotz
Auskunftssperren und Umzügen. Gibt es dienstlich nicht begründbare Abfragen
von Informationen zu Betroffenen aus behördlichen Datenbanken? Hatte das
Neonazi-Netzwerk Zulieferer in den Sicherheitsbehörden? Die Behörden müssen
öffentlich dazu Stellung nehmen, wie sie arbeiten, und bei Fehlverhalten
müssen dienst- und sogar strafrechtliche Konsequenzen folgen.
Was sind für Sie die wichtigsten Knackpunkte im Neukölln-Komplex, worauf
die Abgeordneten ein besonderes Augenmerk legen sollten?
Es geht in dem Ausschuss weniger darum, die rechtsextremen Tatverdächtigen
juristisch zu überführen. Das muss der für August angesetzte
Gerichtsprozess leisten. Die Betroffenen wollen durch den Ausschuss
Einblicke in die Ermittlungsarbeit erhalten, die mittlerweile von einer
dicken Schicht aus Gerüchten und Geschichten überlagert wurde. Die teils
skandalösen Umstände sind erst durch investigative Journalist*innen und
Antifa-Recherchen aufgedeckt worden.
Der Fokus muss darauf liegen, warum über eine so lange Zeit derart
schwerwiegende Straftaten nicht aufgeklärt wurden. Einige Betroffene der
Angriffe fordern seit Jahren mit sehr viel Energieaufwand diesen
Untersuchungsausschuss. Erstmals können sie nun auf ihre Fragen an die
Behörden öffentliche Antworten erwarten. Sie sollten selber zu Beginn des
Ausschusses als Zeug*innen und Sachverständige zu Wort kommen und ihre
Perspektiven und ihr Wissen einbringen.
Was erwarten Sie von den Behörden?
Um Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, müssten die Behörden mitwirken und
Transparenz herstellen. Das wird sich darin zeigen, inwiefern Akten
zurückgehalten werden, wie viel unkenntlich gemacht und wie oft eine
Geheimhaltungspflicht angeführt wird oder Mitarbeiter*innen sich nicht
mehr erinnern wollen – wie wir es aus anderen Untersuchungsausschüssen
kennen. Aber die wichtigste Voraussetzung für einen erfolgreichen
Untersuchungsausschuss bleibt der Aufklärungswille der Abgeordneten. Sie
müssen sich ausreichend auf Vernehmungen von Zeug*innen aus den
Sicherheitsbehörden vorbereiten und sollten Unterstützung durch erfahrene
Parlamentarier*innen und Anwält*innen in Anspruch nehmen.
Was ist an Aufklärung über die rechtsextremen Strukturen drin?
Öffentlich stehen meist nur Sebastian T. und Tilo P. im Fokus. Es ist
notwendig, dass die Abgeordneten über den Neuköllner Tellerrand
hinausblicken – auf berlinweite Netzwerke, das Umfeld, das beim Ausspähen
der Opfer und womöglich bei den Taten geholfen haben muss. Es müssen
Personen in den Blick genommen werden, die schon in den Neunzigern
rechtsextreme Gewalttäter waren, die jahrelang politische Gegner*innen
ausspionierten und Feindeslisten weitergegeben haben und bis heute aktiv
sind.
Derzeit gibt es wieder eine Brandserie in Neukölln, bei der allerdings
unklar ist, ob Neonazis dahinter stecken. Die Polizei schließt
rechtsextreme Motive nicht aus, hat aber bislang auch keine gefestigten
Hinweise darauf. Parallel gehen in Südneukölln rechtsextreme Straftaten wie
Propagandadelikte, Sachbeschädigungen und Körperverletzungen weiter. Was
macht das mit Betroffenen bisheriger Anschläge?
Anschläge sind Mittel, um Menschen in ständige Angst zu versetzen. Sie
können Schlafstörungen und Panikattacken auslösen. Die Täter wollen so
einschüchtern und erwirken, dass Engagierte ihre Aktivitäten einstellen.
Die Strafverfolgungsbehörden müssen bei den neuen Anschlägen zur Kenntnis
nehmen, dass es eine massive Verunsicherung und Verängstigung in der
Bevölkerung gibt. Man sollte also die jüngsten Vorkommnisse ernst nehmen
und rechtsextreme Motive erst ausschließen, wenn sie widerlegt sind.
Gleichzeitig sollte man vorsichtig bei der Einordnung sein, zuletzt gab es
ja auch Falschmeldungen über die Eigentümer eines in Neukölln verbrannten
Autos – es muss gründlich recherchiert und ermittelt werden. Aber solange
auch niemand für die Straftaten verurteilt ist, wird bei solchen
Ereignissen die Verunsicherung bei den Betroffenen bestehen bleiben.
T. war zuletzt im Umfeld des III. Wegs aktiv. Gibt es Nachwuchs und aktive
Kaderbildung mit Blick auf jüngere Neonazis in Neukölln?
Der III. Weg ist sehr aktiv und will Jüngere aktivieren. Möglicherweise
wollen sich diese beweisen oder werden gezielt von Älteren für Aktionen
angesprochen. Aber andersrum wurden über den III. Weg schon mehrfach alte
Kader reaktiviert, die nun wieder auftauchten. Das sollte man nicht nur in
Neukölln im Blick haben. Es zeigt, dass alte Kader vom Nationalen
Widerstand nicht raus aus der Szene sind, nur weil sie nicht mehr auf
Aktionen zu sehen waren. Sie könnten mittlerweile an sensiblen Orten
arbeiten, wo sie Zugang zu personenbezogenen Daten haben. Bei einem
rechtsextremen Postboten hilft auch keine Meldesperre, um sich an der
Wohnadresse zu schützen.
16 Jun 2022
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
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