# taz.de -- Neues Nachtleben: Diskofieber auf dem Land | |
> Um die Jahrtausendwende ging die Ära der „progressiven“ Rock-Diskos zu | |
> Ende. Einen Neuanfang wagt nun das „Pleasuredome“ in Oppenwehe. | |
Bild: Kurz vor der Schließung: Tanzende im „Pleasuredome“ 2006. | |
Es ist nicht weniger als der Versuch einer Totenbeschwörung: die | |
Neueröffnung der Diskothek „Pleasuredome“ in Oppenwehe, einem Spargeldorf, | |
das man nicht unbedingt kennen muss. Es liegt weit draußen auf dem Land, | |
knapp 50 Kilometer nordöstlich von Osnabrück. Den Weg allerdings dürften | |
einige Menschen auch im Schlaf noch bewältigen können. Denn als der „Dome�… | |
wie man sagte, noch offen war, sind die Gäste auch aus den Städten hier | |
rausgekommen, ins Nirgendwo. | |
Warum das so war, ist gar nicht so leicht zu erklären. Der Dome war weder | |
besonders groß noch haben darin relevante Konzerte stattgefunden. Es war | |
eben eine Dorfdisko, mit kleinen verwinkelten Räumen, die es erstmal zu | |
entdecken galt. Da war dieser Eingangsbereich mit knallbunten Wänden, die | |
ein bisschen nach Zirkuszelt aussahen. Daneben eine „Teestube“, die so oder | |
so ähnlich auch im urigen Landgasthof nebenan stehen könnte. | |
Dazwischen Spuren vergangener Jahrzehnte - und ihrer Trends: Das Klo war | |
mit Comic-Seiten tapeziert, ein paar Säulen trugen Zierstuck, und in einem | |
Loch in der Wand hockt noch heute ein Außerirdischer vor einer leuchtenden | |
Kugel: Artefakte, die von der neuen Besitzerin Daniela Mügebeer in Ehren | |
gehalten werden. | |
Als der Dome Anfang 2006 schloss, waren das die letzten Zuckungen einer | |
Ära: Die „progressive Diskotheken“ waren in den 70er-Jahren Keimzelle des | |
Krautrock gewesen - und lange danach noch Heimat für alternative Rockmusik | |
mit psychedelischem Einschlag. Die wurde auch in Städten gespielt, hat sich | |
auf dem Land aber nochmal in besonderer Form ausgebildet, immer einen | |
halben Schritt neben dem Trend. Das ist insbesondere im norddeutschen | |
Flachland passiert, weil die unendlichen Weiten den Geist schweifen lassen, | |
wie manche sagen. Oder auch bloß wegen der relativen Nähe zur holländischen | |
Grenze und den Coffee-Shops dahinter. | |
## Tanztempel in der Krise | |
Man hört es schon an den Ortsnamen: Der „Lindenhof“ stand in Wetschen, der | |
„Circus Musicus“ in Märschendorf, der „Pleasuredome“ eben in Oppenwehe. | |
Selbst wer nur drei Dörfer weiter groß geworden ist, hat beim ersten Mal | |
einen ortskundigen Navigator gebraucht. Und so unterschiedlich sich die | |
einzelnen Läden im Detail auch entwickelt haben mögen: Es waren doch oft | |
dieselben Menschen, die zwischen diesen Diskos umher fuhren. Und noch etwas | |
haben diese Läden gemeinsam: Fast alle schlossen um die Jahrtausendwende. | |
Mügebeer ist eine Geschäftsfrau. Sie hat den Dome schon vor ein paar Jahren | |
gekauft und will ihn nun wieder öffnen. Ihre Partnerin war hier früher | |
selbst noch Gast, auch Mügebeer selbst ist der Szene verbunden: Sie | |
betreibt einen Klamottenladen für die schwarze Szene, das „Heiden-Reich“. | |
Eine Grufti-Disko war der Dome zwar nicht, aber Gothic war doch einer der | |
Eckpfeiler, neben Metal, Crossover und in die Jahre gekommenem Prog-Rock - | |
also allem eigentlich, das sich irgendwie alternativ anfühlte und dessen | |
Publikum mit Großraum-Disko und Schützenfest so gar nichts am Hut hatte. | |
Diese Leute sind dem Laden treu geblieben: Noch Jahre nach der Schließung | |
haben ehemalige Stammgäste auf dem Parkplatz gefeiert. Einmal haben sie | |
sogar einen Kranz im Eingang niedergelegt - einen kleinen, geschmückt mit | |
Papierserviette und einsamem Teelicht. Eine richtige Revival-Bewegung hat | |
sich daraus entwickelt, die heute noch hin und wieder zu Partys einlädt - | |
unter dem Label der Disko, die es schon lange nicht mehr gibt. | |
Die Neueröffnung erfolgt in schweren Zeiten: Es herrscht allgemeine | |
Disko-Krise, nicht nur bei den alternativen. Der Deutsche | |
Diskothekenverband beklagt seit Jahren, dass Lokale schließen und die | |
Umsätze zurückgehen. Erklärungsansätze gibt es reichlich: die Gesellschaft | |
wird älter und zieht in die Städte - mit Euro und Wirtschaftskrise ist auch | |
das Geld vielerorts knapper, zumindest gefühlt. Mancher, der früher einen | |
ganzen Abend lang Bier getrunken hat, wird heute zu Hause mit | |
Hochprozentigem „vorglühen“ - und in der Disko dann nur noch „nachtanken… | |
Das belegen zahllose Studien zum Freizeitverhalten junger Menschen. | |
Auch im Dome war vor Schluss immer weniger los. Dabei haben sie viel | |
versucht: einen Biergarten im Garten, Themenabende, erweitertes Angebot. | |
Irgendwann gab es sogar Cocktails, in einer eigens ins Obergeschoss | |
gezimmerten Bar mit sowas ähnlichem wie lateinamerikanischem Ambiente. Und | |
direkt nebenan ein kleines Kino - in dem wegen der Bässe von unten meist | |
kein Wort vom Leinwandgeschehen zu verstehen war. | |
Geholfen hat das alles nichts: Die Geschäfte liefen immer schlechter und | |
kurz vor Schluss musste die damalige Geschäftsführerin Dörte Tielbürger | |
eingestehen, den Anschluss an den Nachwuchs verpasst zu haben: „Wir sind zu | |
sehr in die Rocksparte abgedriftet“, hat sie mal gesagt. Darum hat es diese | |
alternativen Diskos wohl auch härter getroffen als den Rest: Die Musik kam | |
schon eher altbacken daher. Zwischen den Doors und Birth Control passte | |
zwar auch Neueres der härteren Gangart - nicht aber Rap, Techno und | |
Elektro-Pop. Und die Gäste wollten das auch nicht anders: Während man bei | |
den ersten Takten der lokalen Hits die Tanzfläche stürmte, verlängerte sich | |
bei Unbekanntem doch eher die Schlange am Bistro. | |
Und natürlich kamen viele Besucher auch deshalb, weil auf dem Dorf einfach | |
nichts anderes los war. Heute schießen dagegen allerorten die Events aus | |
dem Boden, Public Viewings zu jedem noch so banalen Anlass - und natürlich | |
all die Festivals, von denen jährlich neue den Kalender befüllen. | |
## Zurück in alte Zeiten | |
Mügebeers Angebot lebt von dem Versprechen, die alten Zeiten | |
wiederzubeleben. Natürlich wird grundlegend renoviert, neue Wände mussten | |
rein und es soll, sagt die Betreiberin, „Überraschungen in jedem Raum“ | |
geben. Details will sie nicht verraten, auch von | |
Mittelalter-Veranstaltungen im Garten ist die Rede. Vielleicht ist das eine | |
Chance, den heute vielbeschworenen Event-Charakter in die Disko zu bekommen | |
- mit einem eigenen Dreh? Denn auf Karaffen-Alarm und Schaumpartys zu | |
setzen, wie es die Mainstream-Diskos tun, das wäre nichts für den Dome. | |
Dessen besonderer Charme lag vielleicht auch gerade an der | |
Ereignislosigkeit: In der Teestube am Eingang wurde tatsächlich meist Tee | |
getrunken und Backgammon gespielt. Man hat sich hier eben am Wochenende | |
getroffen, an der Tanzfläche gestanden oder auf den Boxen in der Ecke | |
gesessen. Und das in Ruhe: Frauen konnten an die Theke gehen, ohne sich dem | |
Fleischmarkt auszusetzen, aggressiv angebaggert und abgeschleppt wurde hier | |
niemand. Auch sonst waren Übergriffe die absoluten Ausnahme. Die Türsteher | |
am Eingang haben Stempel kontrolliert, Flaschen einkassiert und hatten | |
sonst im Grunde nichts zu tun - und wenn es doch mal Stress gab, dann hat | |
das wochenlang für Gesprächsstoff im Laden gesorgt. | |
## Surfen und Feiern | |
Nicht alle glauben daran, dass sowas heute noch funktioniert. Mit großer | |
Häme wurde Mügebeers erstes Straucheln im Internet kommentiert: Eigentlich | |
hatte es schon Ende 2012 losgehen sollen. Da kursierten bereits Einladungen | |
zur Eröffnung, die dann wegen fehlender Genehmigungen und besorgten | |
Nachbarn verschoben wurde. Denn manche in Oppenwehe hatten sich ganz gut in | |
der Ruhe ohne Partygäste und zugeparkte Dorfstraßen eingerichtet. | |
„Das wird nichts mehr“, kommentierte da nicht nur ein User auf Mügebeers | |
Facebook-Seite. Und dann war da auch noch ein ominöser Hackerangriff auf | |
die Internetseite der Disko: „We do not open“, stand da eines Morgens. Ein | |
Anschlag aufs Geschäft war das wohl eher nicht - eher wütende Enttäuschung, | |
weil es immer noch nicht losgegangen war. Inzwischen aber klingt das | |
anders: Die Hürden sind genommen, Genehmigungen liegen vor. | |
Das Internet aber ist für die Dorfdisko nicht nur eine Plattform für | |
Glückwünsche und Unkenrufe: Als der Dome 2006 schloss, startete das soziale | |
Netzwerk StudiVZ gerade richtig - und heute ist annähernd jeder bei | |
Facebook. Darunter hat der Disko-Alltag gelitten, denn einmalige Events wie | |
Festivals sind heute leichter zu organisieren und zu bewerben. Wie damals | |
jeden Samstag selbstverständlich in seinen jeweiligen Stammladen zu fahren, | |
ist nicht mehr nötig - die Konkurrenz auf dem Markt enorm gewachsen. | |
Paradoxerweise sind aber auch Revival-Bewegung und die Legendenbildung ohne | |
das Netz nicht denkbar: Internetforen sind Sammelstätten für alte Fotos und | |
Geschichten. Und Ehemaligen-Treffen, wie sie früher höchstens | |
Abschlussjahrgänge mit ihren Adressenlisten auf die Beine stellen konnten, | |
macht heute jeder. Statt zum Abi-Jubiläum trifft man sich eben mit anderen | |
Stammgästen - netter als in der Schule war es in der Diskothek schließlich | |
schon immer. Es sind auch wirklich stets die gleichen Gesichter auf diesen | |
gut besuchten Partys, auch wenn sie heute etwas älter aussehen. | |
Ein Bedürfnis ist da, keine Frage. Das aber zu einer regelmäßig laufenden | |
Disko - und damit eben auch in eine Geschäftsgrundlage - zu verwandeln: Das | |
dürfte eine große Herausforderung sein für Daniela Mügebeer und ihr Team.↓ | |
Lesen Sie mehr über unseren Schwerpunkt Dorfdiskos in der taz.amWochenende | |
Seite 40, 41 oder [1][hier] | |
6 Jun 2015 | |
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## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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