| # taz.de -- Neues Album der Berliner Band Diät: Kein deutscher Sound | |
| > Die Postpunk-Band Diät überzeugt mit Gefrierschranksound und hat kürzlich | |
| > ein neues Album veröffentlicht. Ein Treffen mit Drummer Christian | |
| > Iffland. | |
| Bild: Diät mit Drummer Christian „Iffi“ Iffland beim Pop-Kultur-Festival, … | |
| Zwischen einer Eckkneipe mit braunstichigen Fensterscheiben und einem | |
| alteingesessenen Zeitschriftenhändler tut sich im nördlichsten Zipfel | |
| Neuköllns in der Bürknerstraße ein kleiner, unscheinbarer Laden auf. | |
| Schrammelige Sounds kommen aus dem Inneren, kopierte A3-Plakate, auf denen | |
| Punk- und Hardcoreshows angekündigt werden, hängen in der Tür. Im | |
| Schaufenster stehen eine Black-Flag- und eine Neu!-Scheibe, davor in der | |
| Grabbelkiste Westernhagens „Stinker“. | |
| Christian Iffland sitzt am Laptop hinter der Ladentheke. Der 42-Jährige, | |
| der vor vielen Jahren aus Franken an die Spree kam, ist Betreiber von | |
| [1][Static Shock], einem Plattenladen, der sich mit einem feinen Sortiment | |
| in den Segmenten Punk, Postpunk und Experimentellem einen Namen gemacht | |
| hat. Einer von sehr vielen in Berlin – und doch ein besonderer. Denn Static | |
| Shock ist, wenn man so will, zugleich der Nukleus einer feinen und | |
| exquisiten Underground-Szene, die sich in jüngeren Jahren in Berlin | |
| gebildet hat. | |
| So betreibt Iffland zugleich das Label Static Age, auf dem zum Beispiel | |
| Bands wie [2][Life Fucker] und [3][Piss] (die Namen sind da Programm) und | |
| die All-Girl-Postpunk-Combo [4][Aus] ihre Platten veröffentlichen. Zudem | |
| erscheinen Neuauflagen von interessantem alten Zeug auf seinem Label, | |
| zuletzt etwa eine Single der [5][Honkas], der ersten Band von Max Müller | |
| (Mutter). Auch ein Album der alten Kreuzberger Heroen [6][Beton Combo] | |
| („Perfektion ist Sache der Götter“) soll bald wiederveröffentlicht werden. | |
| Und dann ist da halt noch diese Band, in der er selbst spielt. [7][Diät] | |
| heißt sie. Iffland, ein unterhaltsamer Typ in schwarzem Shirt, mit Tattoos | |
| auf Armen und Händen, ist Drummer von Diät. International, vor allem in den | |
| USA, hat es durchaus die Runde gemacht, dass der gefrierschrankmäßige, | |
| finster mäandernde Postpunk-Sound der Band weit vornedran ist. | |
| So waren die ersten drei Vinyl-Pressungen des im Frühjahr erschienenen | |
| zweiten Albums ([8][„Positive Disintegration“]) in den Staaten fix | |
| ausverkauft. Für eine einzige Show flogen Diät kürzlich nach New York, um | |
| es dort vorzustellen. „In den USA haben uns die Leute von Anfang an besser | |
| verstanden als hier“, sagt Iffland. Warum das so ist? „Hier ist halt auch | |
| alles immer sehr deutsch und ich finde unseren Sound… nicht gerade | |
| deutsch“, versucht er sich an einer Erklärung. | |
| ## „Drummer gesucht“ | |
| Begonnen hat die Geschichte von Diät ebenfalls genau hier. Im Laden. Zwei | |
| in Berlin gestrandete australische Punks tauchen im Frühjahr 2011 bei | |
| Static Shock auf, um einen Zettel mit der Aufschrift „Drummer gesucht“ im | |
| Laden auszuhängen. „Lasst mal“, sagt Iffland, der zu der Zeit keine Band | |
| hat, zu ihnen, „nehmt den Zettel mal wieder ab. Ich mach's.“ | |
| Kurz darauf finden sich beide Australier – der spätere Diät-Sänger und | |
| -Bassist Nordberg sowie Gitarrist Josh – und Iffland im Proberaum wieder. | |
| Der Beginn von Diät. Die drei sind bis heute dabei, vervollständigt wird | |
| die Band mittlerweile vom zweiten Gitarristen Tobi. | |
| Von Anfang an beziehen sich Diät deutlich auf Postpunk und (Cold) Wave, | |
| erste Aufnahmen erscheinen noch im gleichen Jahr auf Tape, 2012 folgt die | |
| Debüt-Single. Und als 2015 ihr erstes Album „Positive Energy“ rauskommt, da | |
| scheinen sie die richtige Band zur richtigen Zeit zu sein, zumal der | |
| Postpunk-Sound mit Bands wie [9][Messer], [10][Human Abfall] & Co. wieder | |
| im Kommen ist. | |
| Wie Diät klingen? Mit Nordberg hat die Gruppe einen Sänger, dessen | |
| Grabesstimme hervorsticht, sein Bass knarrt und wummert dem Genre | |
| angemessen vor sich hin. Die Gitarre dreht derweil joydivisonmäßig ihre | |
| Kreise, die flirrenden, fiependen Synthesizer, der mitunter stampfende, | |
| fast motorische Beat schubsen die Musik aber auch immer wieder in andere | |
| Richtungen. Da klingen die frostigen britischen Frühachtziger durch, im | |
| Berlin der mittleren Zehnerjahre. | |
| ## Gewachsene D.I.Y.-Strukturen | |
| Warum also sind Diät bis heute ein Randphänomen geblieben, wieso nahm es | |
| kaum jemand zu Kenntnis, als kürzlich das zweite Album erschien? „Ich | |
| glaube, wir sind deshalb nicht größer und bekannter, weil wir das selbst | |
| nicht unbedingt wollen“, sagt Iffland. „Dazu müssten wir ja auch viel | |
| präsenter sein und mehr touren. Das passt gerade gar nicht in unsere | |
| Lebenssituationen.“ | |
| Er selbst ist zweifacher Vater, und er sagt, ab einem gewissen Alter stecke | |
| man das Tourleben auch nicht mehr so einfach weg: „Das viele Trinken, der | |
| wenige Schlaf, die sich dahinschleppenden Stunden im Tourbus …“ | |
| Dabei hatten auch größere Labels Diät auf dem Zettel, aber von so etwas wie | |
| einem Karriereplan ist die Band ungefähr so weit entfernt wie ihre Musik | |
| von Stadionrock. Sie nutzen eher die gewachsenen D.I.Y.-Strukturen, um | |
| Platten zu veröffentlichen und zu touren, so erscheint ihr Album sowohl in | |
| den USA als auch in Europa bei befreundeten Labels (Iron Lung bzw. Blackest | |
| Ever Black). | |
| Noch ein Punkt, warum Diät eher ein Geheimtipp bleiben: Sie haben nur | |
| bedingt Lust, sich ständig in sozialen Medien zu präsentieren. „Ich find' | |
| das eher peinlich, wenn Bands die ganze Zeit Selfies posten. Das ist so | |
| abtörnend, das ist wie Bier ohne Alkohol: man will es nicht haben.“. | |
| Auch das neue Album ist keines für den Markt, dafür eines, das Musiclover | |
| umso mehr schätzen dürften. In den acht Songs auf „Positive Disintegration�… | |
| zeigt sich ein enorm entwickeltes Gespür fürs Songwriting und für | |
| Arrangements, die Stücke gehören zum Besten, was zuletzt im Bereich | |
| Wave/Postpunk veröffentlicht wurde. Immer noch lassen Bands wie Bauhaus, | |
| The Human League und die frühen Sisters Of Mercy grüßen, aber vor allem | |
| dank der Synthesizer, auch dank eingestreuter Songs mit anderer Klangfarbe | |
| klingen Diät zu keinem Zeitpunkt epigonal. | |
| Die Texte sind weit besser und bedeutungsoffener als das, was hierzulande | |
| im Punk sonst oft angeboten wird. Da überzeugt zunächst das Eröffnungsstück | |
| „We“ mit seinem zweifelnden, suchenden Text und seinen abschließenden | |
| Zeilen („Have we all become a parody?/ Clutching to an ideology/ Bound | |
| together/ Bound and gagged“), „Disintegrate“ kommt mit gerade mal vier | |
| Versen aus: „Precreate/ Assimilate/ Disintegrate/ Isn’t it time..?“. | |
| Nur die Texte, die dann doch nach einfachen Antworten suchen, fallen etwas | |
| ab, “What’s it got to do with me?“ stimmt zum Beispiel etwas zu billig ein | |
| in den Abgesang auf die westliche Demokratie. | |
| Es lohnt übrigens unbedingt, auch die anderen Projekte der Diätler | |
| auszuchecken. Der musikalisch Aktivste von ihnen ist Gitarrist Josh, der | |
| ein krautig-verspult-psychedelisches Synthie-Soloprojekt namens Itchy | |
| Bugger betreibt. Daneben spielt er noch bei der Band Heavy Metal, die | |
| allerdings keinen Metal, sondern weirden Garagepunk spielt. Verbandelt ist | |
| man auch mit der Punkband Idiota Civilizzato. | |
| Ursprünglich ein Projekt des Diät-Urtrios mit Sänger Matteo Chiesara, | |
| spielen heute noch Josh und Tobi bei dieser Hardcoreband, die ihre Alben | |
| auch bei Static Age veröffentlicht. All das bleibt in kleinem Kreise, in | |
| familiärem Rahmen, und Iffland findet das auch in Ordnung so: „Wenn eine | |
| Band meines Labels auf Tour geht, kommt sie vorher hier vorbei und holt ein | |
| paar Platten ab, man ist in persönlichem Kontakt.“ | |
| So wird diese Szene wohl auch zukünftig weit unter dem Radar laufen. Und | |
| vielleicht hat Iffland ja auch recht, wenn er sagt: „Das ist schon alles | |
| gut so.“ | |
| 8 Jul 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.staticshockmusik.com/ | |
| [2] https://lifefucker.bandcamp.com/ | |
| [3] https://wearepiss.bandcamp.com/ | |
| [4] https://ausbln.bandcamp.com/releases | |
| [5] https://www.indiepedia.de/index.php?title=Honkas | |
| [6] https://de.wikipedia.org/wiki/Beton_Combo | |
| [7] https://habitualnourishment.bandcamp.com/ | |
| [8] https://habitualnourishment.bandcamp.com/album/positive-disintegration | |
| [9] https://gruppemesser.blogspot.com/p/konzerte.html | |
| [10] https://humanabfall.bandcamp.com/ | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
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