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# taz.de -- Roman vom Palais-Schaumburg-Bassisten: Ehemalige Koksnase mit Humor
> Der Postpunker Timo Blunck verarbeitet sein Leben als Roman und Album.
> Darin erzählt er, wie gut es sein kann, sein Leben nicht im Griff zu
> haben.
Bild: Intellektueller, zarter Bruder des plumpen Til Schweiger: Timo Blunck
Die gute Nachricht für alle Fans der Oral History „Verschwende Deine
Jugend“: Jürgen Teipel hat Timo Bluncks Autobiografie „Hatten wir nicht mal
Sex in den Achtzigern?“ lektoriert. Die schlechte Nachricht für alle Fans
von „Verschwende Deine Jugend“: Mit seiner Zeitzeugenschaft als [1][Bassist
des Postpunk-Quartetts Palais Schaumburg] und Der Zimmermänner geht Blunck
hier nicht hausieren. Den schönsten Promi-Auftritt in seinem
autobiografischen Roman haben auch nicht Depeche Mode, nicht Arto Lindsay,
Brigitte Nielsen oder Kid Creole – sie alle kommen im Buch vor –, sondern
Günter Grass.
Mit dem leert der Erzähler in den Neunzigern im Londoner Groucho-Club ein
paar Flaschen Rotwein. Und die Freundlichkeit, mit der Blunck den alternden
Schriftsteller beschreibt, obwohl Grass auch noch die Begleiterinnen des
Musikers angräbt, macht klar, dass Blunck den Angeber und den Schwätzer in
sich im Zaum halten kann. Auch wenn diese beiden Attribute nicht komplett
aus der Luft gegriffen sind. Im Buch nennt sich Blunck „T-Bone Schröder“,
und sein Alter Ego spielt Bass in der Band „Villa Hammerschmidt“. Dass sich
Blunck aber am Ende nicht als Zeitzeuge anbiedert, wo sich
Achtziger-Jahre-Popgeschichte verkauft wie Koks aus Kolumbien, spricht sehr
für ihn.
„Erstens finde ich Musikerbiografien langweilig“, sagt Blunck im Interview
mit der taz. „Und zweitens, ich war 19, als das alles passiert ist. Es sind
noch viele andere Sachen passiert, und so, wie ich mein Leben gelebt habe,
war das nicht unbedingt die aufregendste Zeit.“ Die realen Auftritte von
Palais Schaumburg in der New Yorker Danceteria und der Hacienda in
Manchester, beide gehören zu den angesagtesten Locations der Achtziger –,
werden von Blunck nicht in ihrer historischen Dimension beschrieben,
sondern im Zusammenhang seines eigenen Lebens abgehandelt.
Über die Danceteria erfahren wir im Buch etwas mehr, hier war Sex im Spiel.
Über den Auftritt 1982 in Manchester macht sich Blunck vor allem lustig: Im
Buch haben die vier Musiker von „Villa Hammerschmidt“ an jenem Abend mit
ihrer Musik nicht nur New Order zu ihrem Hit „Blue Monday“ inspiriert
sondern auch gleich noch House, Techno und die Madchester-Ravebewegung mit
erfunden. Durch seinen sympathisch-absurden Größenwahn treibt Blunck die
Leser spielend über die mehr als 450 Seiten. Und das auch, weil darin den
meisten Raum die Liebesgeschichte zu einer etwas verrückten Frau einnimmt.
## Ein unglaubliches Hybrid
Das Wissen um den autobiografischen Charakter dieses Kolportageromans, die
unzähligen, so lustig wie lustvoll detailliert geschilderten Sexszenen und
die halsbrecherische Achterbahnfahrt zwischen allerhöchsten Höhepunkten und
absoluten Abstürzen machen die Lektüre kurzweilig. Und, hier schreibt ein
Mann, der, wie man so sagt, über weite Strecken sein Leben nicht im Griff
hat. Als wäre es erstrebenswert, ein Leben im Griff zu haben. „Hatten wir
nicht mal Sex in den 80ern“ erzählt davon, wie gut es sein kann,
loszulassen.
Timo Blunck ist ein Frauentyp, schlank und groß, aus einem Hamburger
Professorenhaushalt kommend, und er hat den Makel, dass er als Musiker in
der Werbebranche gelandet ist. Ausgerechnet in Hamburg, einer Stadt, in der
man entweder als Werber arbeitet oder Werber hasst. Allerdings verkörpert
Blunck dabei ein unglaubliches Hybrid: Er ist Mitglied des Art Directors
Club und der einflussreichen Band Palais Schaumburg. Ehemalige Koksnase und
mit einem unzerstörbaren Humor gesegnet, der sich selbst als Gegenstand
nicht ausnimmt. Wie geht all das zusammen?
Als Blunck zum Interview in der Bar eines Hamburger Hotels sitzt, erinnert
er an einen intellektuellen, zarten Bruder des plumpen Til Schweiger. Seine
Männlichkeit, viel weniger viril und aufdringlich, spricht trotzdem aus
jeder Körperbewegung. Ich bin ein sehr körperlicher Mensch, und ich hatte
tatsächlich unglaublich viel Sex in meinem Leben“, sagt er ähnlich näselnd
und die Vokale dehnend wie Schweiger. Auch äußerlich sind sie sich ähnlich.
Den Beinamen „Gainsbourg von St. Georg“, mit dem ihn der Verlag bewirbt,
hat Blunck bestimmt ein Mitarbeiter der PR-Abteilung verpasst.
In Bluncks Kopf wohnt allerdings auch ein kleiner Mann, der mit Schweiger
und mit Serge Gainsbourg verwandt sein könnte, Blunck nennt ihn „Knirpsi“.
Im Roman spielt er eine bedeutende Rolle. „Ich habe schon lange diese Figur
in mir drin kultiviert. Knirpsi Schröder ist mein böser Zwilling, dem man
gerne auch mal die Schuld geben kann für das, was man da wieder angerichtet
hat. Der Arbeitstitel war ‚Knirpsi Schröder, die unautorisierte
Biographie‘. Und so ist das Buch: Es ist meine Autobiografie, aber ich habe
sie nicht autorisiert.“
Vorangestellt ist dem Buch der Satz: „Die folgenden Begebenheiten beruhen
auf einem wahren Song.“ Vordergründig geht es natürlich um Blunck, aber
alles, was er tut, macht er für eine Frau, wie sie eigentlich wirklich nur
einem Song entsprungen sein kann. Eine gewisse Sophia, im echten Leben
trägt sie den Namen Sondra und ist Mutter von Bluncks drei Söhnen. Kennen
gelernt hat er sie 1991, als Darstellerin seines Musikvideos zu „Louisiana
Lonely“ in Baton Rouge im tiefsten Süden der USA. Den Dreharbeiten ist das
beste Kapitel im Buch gewidmet. Nach der Lektüre die eigenen Bilder im Kopf
mit dem Video auf YouTube abzugleichen, ist großartig.
Und spätestens jetzt ist auch an der Zeit, zu erwähnen: Blunck hat nicht
nur eine Autobiografie geschrieben, sondern veröffentlicht nun auch ein
gleichnamiges Album, das zusammen mit dem Buch erscheint. „Der zärtlichste
Psychopath“ und „Ohne dich kann ich mich nicht mehr selbst befriedigen“
heißen die beiden ersten Stücke, die Sophia/Sondra gewidmet sind. Ob
Bluncks Leben so irre verlaufen wäre ohne diese Frau – wohl kaum. Das Buch,
dessen fiktiven Rahmen ja eine Psychotherapie bildet, ist vor allem ein
Abarbeiten an dieser Person, die lustig, schön und leidenschaftlich ist,
aber auch Streit und Chaos erzeugt und immer wieder vor Drogen und anderen
Männern gerettet werden muss.
## Charismatisch, urkomisch
Im Gespräch beschreibt Blunck sie als „Persönlichkeit, die den Raum füllt.
Sie ist charismatisch, wahnsinnig witzig, wirklich ultrakomisch, ihr Humor
ist ätzend. Das kommt daher, weil sie sehr intelligent ist. Aber ansonsten
macht die nicht viel, außer zu leben. Die denkt wirklich nicht über ein
Morgen nach.“ In fast allen Sex- und Drogenexzessen, und davon gibt es wie
gesagt eine Menge in diesem Buch, steht Sophia im Mittelpunkt.
Wenn man schon erstaunt ist, wie oft Blunck in seiner Autobiografie die
Hosen runterlässt (nicht nur bei Frauen), bleibt einem bei der Beschreibung
seiner Ex endgültig der Mund offen stehen: Was ist eigentlich mit
Persönlichkeitsrechten? „Ich hab ihr früh erzählt, was ich da mache. Und
dann hat sie gesagt, ja, finde ich okay, aber du musst mich beteiligen. Und
dann habe ich sie beteiligt. Und wenn mich jemand fragen würde, ob das
alles wahr sei, soll ich sagen: Was für eine Frage. Natürlich ist das wahr,
Motherfucker!“ Bluncks „Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern“ hat dadurch
etwas von einem durchgeknallten Kerouac-Roman: Völlige Hingabe an das
Erleben und Erzählen von Liebe und Rausch, in den besten Momenten ist das
nicht nur unterhaltsam, sondern auch ergreifend, auch wenn es ein paar
Längen gibt.
Das dazugehörige Album, dessen Songs einzelnen Kapiteln zugeordnet sind,
hat nur zwölf Songs und kennt damit dieses Problem nicht. Ansonsten
funktioniert es ähnlich wie das Buch: Die Yacht-Rock-Stücke sind witzig
und unbedingt dichter komponiert als das Buch, aber vor allem hört man
ihnen an, wie viel Spaß sie Blunck gemacht haben. Und sie sind, wie das
Buch, entwaffnend offen.
Blunck lässt den Angeber und Schwätzer ins sich dann doch öfters mal von
der Leine. Seinem fiktionalen Roman tut das gut, und seiner Musik
ebenfalls. Damit befriedigt er das ehrliche Bedürfnis Leserinnen und Hörer
zu unterhalten und ihnen etwas mitzuteilen. Und das lohnt sich am Ende
sehr.
1 Mar 2018
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## AUTOREN
Dirk Schneider
## TAGS
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Postpunk
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