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# taz.de -- Wiederauferstehung: Gute alte Säcke, böse alte Säcke
> Früher war ihr Erscheinen ein Krisensymptom, heute retten die Alten die
> Musikindustrie. Wie die neuen Alben der Stooges, Zimmermänner
> Flowerpornoes.
Bild: Faltig aber wieder da
"Wir bevorzugen Medoc, Jahrgang 1986, gerne auch ein Fläschchen 1990er
Pauillac, oder irgendwas mit Hoden drin." Wie viel von welcher Flüssigkeit
die Stooges in sich reinschütten mögen, der Vorrat im Backstagebereich
sollte ausreichend sein, wenn sie live auftreten. Weitere Aufschlüsse über
Trinkverhalten und Livesound liefert ein im Internet veröffentlichter,
äußerst kurzweilig zu lesender Stagerider der Band. "Den Gesang von Iggy am
Mischpult aufdrehen, bis er klingt wie ein boxendes Känguruh", steht da als
Erfahrungswert. Auch der Name William Shakespeare fällt, im Zusammenhang
mit der Fußmaschine von Scott Asheton. Tatsächlich soll Gitarrist Ron
Asheton vom Sammeln von Naziparaphernalien inzwischen zur Katzenzucht
übergegangen sein.
Gute alte Säcke, böse alte Säcke. Wie die Stooges veröffentlichen zurzeit
viele Interpreten aus dem Vorgestern des Pop neue Alben. Von den Stooges
hatte man 33 Jahre nichts Neues gehört. Die Zimmermännern aus Hamburg haben
mit "Fortpflanzungssupermarkt" (Zickzack) nach immerhin 22 Jahren ein neues
Album herausgebracht. Da wirken die fünf Jahre, die seit dem letzten
Lebenszeichen der Duisburger Flowerpornoes vergangen sind wie ein
Achselzucken. Im Pop zählen fünf Jahre wie 500, so die Faustregel. "Wie oft
musst du vor die Wand laufen, bis der Himmel sich auftut?" (V2) ist ihr
neues Album betitelt. Im Gegensatz zu den Stooges und den Zimmermännern
waren die Flowerpornoes und ihr Sänger Tom Liwa nie vom Radar verschwunden,
sie werkelten nur abseits der großen Aufmerksamkeit. Liwa schrieb zuletzt
sogar Songs für junge deutsche Bands wie Klee. Mundpropaganda sei es
gewesen, die ein junges Publikum für seine Musik neu begeistert habe,
erklärt er stolz.
Aufstände von Alten hat es in allen Epochen des Pop gegeben. Sie waren
sicheres Anzeichen für eine Krise der Musikindustrie. Zumindest bis 1999
sanken Umsätze jeweils dann, wenn zu viele bewährte Künstler auf den Markt
drängten. Seitdem ist die Musikindustrie in der Dauerkrise, obwohl sie
massenhaft Nachwuchs veröffentlicht. "Es hat sich ohnehin aufgefächert, was
die Leute in welchem Alter machen. Wir sind jetzt der gängige
Lebensentwurf", erzählt eine Hälfte der Zimmermänner, der 51-jährige Timo
Blunck. Die Alten sichern heute das Überleben der Musikindustrie, nicht nur
weil ihre Fans aus Gewohnheit auf legale Weise Tonträger erwerben. Zwischen
den erhältlichen Altersmodellen gibt es dabei himmelweite Unterschiede.
Längst entscheiden sich nicht mehr nur abgetakelte Superstars für eine
Rückkehr ins Rampenlicht. Denn wo, wenn nicht im Pop, ist Platz für
Außenseiter? Wo, wenn nicht im Pop, ist ein Ort, um verloren gegangene
Geschichten neu aufzurollen? Auch und gerade nach 33 Jahren Absenz.
Eigen waren die Stooges ja immer, und im Alter nimmt das Sonderliche am
Wesen bekanntlich zu - dem tragen die Stooges mit dem Albumtitel "The
Weirdness" Rechnung. Angefangen hat "die Seltsamkeit" bereits Ende der
60er, als die Band aus Ann Arbor, Michigan mit Songs wie "No Fun" und "I
Wanna Be Your Dog" Punkrock vorwegnahm. Drei Akkorde E-Gitarre, das
Wahwah-Pedal durchgetreten, ein keulenschwingender Schlagzeuggroove und
Iggys steinkalten Unterwerfungsverse. Der schmucklose Stil der Stooges fiel
aus dem Rahmen, weil alle anderen in jenen Jahren ausladend progressiv
waren. Richtig ausgeschlachtet werden konnte ihre Musik darum erst von der
englischen 76er-Punkfraktion, die Stooges selbst waren schon 1972 ins
Abseits getrudelt. Ihre Karriere endete im Chaos, drei Viertel der Band
hing an der Nadel, das Equipment lag verpfändet im Leihhaus, und Iggy Pop
irrte durch Los Angeles. Was dann kam, inklusive Rettungsversuchen durch
David Bowie, Mietmuckern und noch mehr Drogen, tat nichts zur Sache.
Mit "The Weirdness" (EMI/Virgin) den mythenumrankten Faden jetzt wieder
aufzunehmen, ist erst mal das klassisch aussichtslose Unterfangen. Zumal
der 60-jährige Iggy Pop auf dem Coverfoto beängstigend vital aussieht und
die Brüder Ron und Scott Asheton wie ihre eigenen durchtrainierten Roadies.
Eine Farce also? Dem entgegen wirkt schon Mike Watt, der über alle
künstlerischen Zweifel erhabene Bassist. Wie ein Korrektiv aus einem
anderen amerikanischen Punk-Jahrzehnt - Watt spielte seit den frühen 80ern
bei der kalifornischen Band Minutemen - hat er die Stelle des verstorbenen
Bassisten Dave Alexander eingenommen. Der Auftakt von "The Weirdness"
gebührt allerdings Iggy Pop, der sich mit einem boshaften "Huh!" meldet.
Dann bricht der altbekannte schmucklose, ohrenbetäubende Lärm los, der die
folgenden 40 Minuten anhält. Weder klingen die 12 neuen Stücke besonders
sleazy, noch fallen sie unangenehm durch Überhärte auf. Klassen besser als
die abgewichsten Soloalben von Iggy Pop, machen die Stooges anno 2007 das,
was sie können: renitent-primitivistische Garagenmusik, in "My Idea of Fun"
und "Free & Freaky" gelingen sogar Hooklines.
Die Kritik hat das neue Werk überwiegend verrissen. Es fehle der Krawall,
Iggy gebe kein Opfer mehr ab. Absurderweise wurde auch die fehlende
musikalische Virtuosität moniert. Jede skandinavische Retroband gibt mehr
Gas als die Stooges, jede Funsportart verströmt heute mehr
Selbstzerstörungspotenzial. Die Stooges tun darum das einzig Richtige und
ignorieren das Menetekel der eigenen Geschichte. Iggy Pop war nie ein
großer Textdichter, was er dagegen immer gut konnte, war das salbadernde
Ausdehnen einzelner Refrainzeilen in die Länge. In Begleitung seiner stur
bollernden Band war und ist dies die Quintessenz des Stooges-Sounds. Möge
ihnen der Hodenwein munden.
"Alle Menschen sind Brüder / Reicht euch die Hand / Reißt die Mauern nieder
/ Tretet ein die Wand" (aus dem Song "Levitenlesen in A-Dur"). Wie die
Stooges standen die Zimmermänner in der ersten Phase ihres Bestehens
1980-85 am Rand der Musikindustrie. Nur war das bei ihnen, die sich nach
"Aktenzeichen XY" Moderator Eduard Zimmermann benannt hatten, kein
Anzeichen von Rebellion, sie wussten es einfach nicht besser. Die Hamburger
Band veröffentlichte damals bei den unabhängigen Labels Atatak und Zickzack
zwei Alben und eine Handvoll Singles mit thinking mans pop. Mit
Fistelstimmen vorgetragene Texte über den bürgerlichen Kulturbegriff
wechselten sich ab mit surrealen Schneewalzern ("Ich werde in der Sonne
immer dicker") und atemlos sägenden Gitarrenpop. "Komische Traumwelten
waren nie unser Thema, Osnabrück und Ottobrunn dagegen schon", erklärt
Detlef Diederichsen den Spaß an der Darstellung realistischen Provinzmiefs.
"Deutsch als Popsprache lag damals überhaupt brach." Zimmermänner-Musik war
die Antithese zum New-Wave-Sound jener Tage. Stets freundlich kam die Band
daher, man hatte es sich in der modernen Welt behaglich gemacht und gab
mithin die erste zündende Antwort auf den Popsommer 1982. "Wir fühlten uns
da in tune mit Ereignissen, die woanders passierten, in England, Schottland
oder den USA", sagt Diederichsen rückblickend. Auch der Titel des neuen
Werks "Fortpflanzungssupermarkt" geisterte schon damals herum. Dann aber
wurden die Musikerrollen gegen Väterrollen vertauscht, ergriffen die
Beteiligten andere Karrieren, ohne die Musikleidenschaft ganz aufzugeben.
"Inzwischen haben sich die Produktionsbedingungen von Musik zum Positiven
verändert", findet Diederichsen, "deshalb können wir unsere Ideen mit wenig
Aufwand schnell zu Songs verarbeiten." Während das Songwriting der
Zimmermänner im amtlichen Homerecordingsounddesign perfekter und
schlagzeuglastiger als früher klingt, hat das Duo seinen skurrilen,
harmoniesprengenden Humor unbeschadet ins digitale Zeitalter gerettet. "Im
Bett mit Uschi Glas / Und Sting spielt dazu Bass", näselt Timo Blunck in
dem Song "Christiane Paul". Er sei ein Popkulturjunkie erklärt Blunck und
der Austausch über Mode, TV-Serien und Musik sei Teil der gemeinsamen
Bandkultur. "Mama, Baby, Joe", ein aus der Feder von Diederichsen
stammender Song, verhandelt dagegen den Alltag einer Patchworkfamilie in
Zeiten von Hartz IV. "Mama feiert fünf Jahre arbeitslos in meiner Wohnung /
Ich darf die Getränke bezahlen, quasi als Belohnung", murrt er im Stile
eines krisenerprobten Countrysängers. "Das in dem Text vermittelte Gefühl
außen vor zu sein, passt auch zu uns als Band."
Tom Liwa fühlt sich auf der Bühne sichtlich wohl. Vor seinem Hamburger
Konzert blickt er das Publikum minutenlang aus seinen mit Tränensäcken
umrandeten Augen an, bevor er zur Gitarre greift. Dann verzeiht man ihm
auch die meditativen Anwandlungen. "Ich spiele seit 30 Jahren Gitarre",
verkündet der 46-jährige Familienvater. "Sie ist zu einer Möglichkeit
geworden, meinen Körper und meine Seele zu verlängern." Musiker zu sein
interpretiert Liwa als Heilberuf. Bevor er 1986 mit den Flowerpornoes
anfing, Singer-Songwritern wie Tim Hardin nachzueifern, kam aber der Bruch
mit seiner Hippievergangenheit. Punk forcierte "eine harte Abkehr vom
Selbstbild", sagt er heute. Später dann habe er die Hippieelemente als Teil
seiner Persönlichkeit wieder akzeptieren gelernt. Hippie, das sei für ihn
vor allem sein Lieblingsdichter Richard Brautigan gewesen, "ein Freak und
Sonderling vor dem Herrn", von dem Liwa die präzise Beobachtungsgabe
gelernt hat.
Mit dem neuen Album erinnert sich Liwa an alte Arbeitsweisen. Darin ähnelt
es auch dem neuen Zimmermänner-Album. Manche der Flowerpornoes-Songs sind
schon vor 20 Jahren entstanden. Andere nehmen Bezug auf die Zeit, in der
die Band im Ruhrgebiet angefangen hat. "Wir waren nie Lokalhelden", so
Liwa. "Wir hatten es schwer in der eigenen Stadt." Man könne auch in
Deutschland ganz gut unterwegs sein, antwortet er auf die Frage, ob die
literarische Figur des Tramps überhaupt seine Entsprechung als Deutsch
singender Songwriter finden kann. In einem der schönsten Songs des neuen
Albums antwortet Liwa auf den Umstand, dass die Internetadresse
flowerpornoes.de von einem schlauen Geschäftsmann reserviert wurde. Liwa
singt: "Ich kam aus Österreich / kam über Deutschland / was für ein
unbeschreiblich interessanter Markt." Der Song heißt "Österreich", die
Band-Homepage endet jetzt auf das österreichische Internetkürzel "at".
Nicht nur technisch haben die alten Säcke aufgeholt.
19 Mar 2007
## AUTOREN
Julian Weber
Julian Weber
## TAGS
Lesestück Meinung und Analyse
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