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# taz.de -- Neuer offener Brief zu Russlands Krieg: Gutes Zureden reicht nicht
> Intellektuelle versuchen erneut, die Debatte um Russlands Krieg gegen die
> Ukraine zu bereichern. Impulse sind nötig. Doch der Brief liefert sie
> nicht.
Bild: Geschützte Statue eines Heiligen in der Region Donezk
Juli Zeh, Harald Welzer und Co hatten eigentlich Gelegenheit, ihre
Argumente zu schärfen. Nachdem 26 Intellektuelle und anderweitig Prominente
im April einen [1][offenen Brief in der Emma] veröffentlicht hatten,
nachdem sie den Bundeskanzler darin aufforderten, den Krieg in der Ukraine
durch die Einstellung deutscher Waffenlieferungen zu beenden, absolvierten
sie einen [2][Marathon von Interviews] und Talkshow-Auftritten.
Die Fragen waren überwiegend kritisch, die Leerstellen in der Argumentation
wurden offenbar: Die Briefschreiber*innen forderten einen „Kompromiss,
den beiden Seiten akzeptieren können“ – konnten selbst aber nicht mal
ansatzweise benennen, wie so ein Kompromiss oder zumindest der Weg dorthin
denn aussehen könnten.
Genau zwei Monate später veröffentlichten Zeh, Welzer und 19 andere
Autor*innen jetzt den nächsten Text – in etwas anderer Zusammensetzung,
in der Zeit statt in der Emma und offensichtlich mit mehr Mühe redigiert.
Der Appell („Waffenstillstand jetzt!“) beschränkt sich nicht auf reines
Recycling, wie es in Social-Media-Reaktionen gewohnt hämisch heißt. Ein
paar neue Gedanken sind in den neun Wochen zwischen beiden
Veröffentlichungen durchaus dazugekommen. Da wäre zum Beispiel die
Forderung, der Westen müsse Bereitschaft zeigen, „die Bedingungen einer
Waffenruhe sowie die Ergebnisse von Friedensverhandlungen international
abzusichern“.
Der Satz bleibt im Ungefähren stehen, konsequent zu Ende gedacht könnte er
aber auf westliche Truppen als Sicherheitsgarantie für die Ukraine
hinauslaufen; so wie es offenbar die G7 gerade erst in Elmau besprochen
haben (Genaueres dazu wollte Olaf Scholz öffentlich bekanntlich nicht
sagen, obgleich er es hätte können). Damit robben sich die Autor*innen
endlich an eine der zentralen Fragen heran, die ein überzeugender Vorschlag
zu einer Verhandlungslösung beantworten müsste. Neben Territorialfragen
geht es schließlich darum, wie die Ukraine langfristig ihre Souveränität
und Verteidigungsfähigkeit bewahren könnte.
## Weniger Aufmerksamkeit für realistischeres Gutachten
Vor der Frage, wie ein Kompromiss abgesichert wird, steht aber immer noch
die Frage, wie man ihn erreicht, und da überzeugt auch der neue Appell
nicht. „Einen Diktatfrieden Putins darf es nicht geben“, schreiben die
Autor*innen zwar, setzen aber rein auf eine „diplomatische
Großoffensive“, um stattdessen zu einer Verhandlungslösung zu kommen – als
ob gutes Zureden plötzlich reichen würde, um eine Verhaltensänderung des
Kreml zu erwirken.
Realistischer denken da die Autor*innen des vergangene Woche
veröffentlichten Friedensgutachtens 2022. Die großen deutschen Institute
der Friedens- und Konfliktforschung beschäftigen sich darin ebenfalls mit
der Frage, wie der Krieg enden könnte. Ausufernden Waffenlieferungen
gegenüber sind auch sie kritisch. Auf eine „militärische Niederlage
Russlands“ setzen sie nicht, eine Verhandlungslösung fordern sie ebenfalls.
Allerdings heißt es in dem Gutachten auch: „Zu substantiellen Verhandlungen
wird Putin erst dann bereit sein, wenn er einsieht, dass er durch
Diplomatie mehr erreichen kann als durch Krieg.“ Daher müsse der Westen die
Kosten des Krieges für Russland weiter hochtreiben, auch durch weitere
Sanktionen und Waffen.
Eine ähnliche Aufmerksamkeit wie die wiederholten offenen Briefe erhielt
das Friedensgutachten nicht. Schade eigentlich: Die Diskussion darüber, wie
der Krieg enden könnte und was das strategische Ziel der westlichen
Unterstützung ist, könnte ja tatsächlich neue Impulse vertragen. Das neue
Stückwerk in der Zeit hat dazu aber wenig beizutragen. Vielleicht klappt es
ja in zwei Monaten besser. Dann folgt sicherlich der nächste Versuch.
30 Jun 2022
## LINKS
[1] /Harald-Welzer-zum-Offenen-Emma-Brief/!5847657
[2] /Offene-Briefe-zum-Krieg-in-der-Ukraine/!5851981
## AUTOREN
Tobias Schulze
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