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# taz.de -- Offene Briefe zum Krieg in der Ukraine: Reden ist Gold
> Angesichts des Ukrainekriegs üben sich deutsche Intellektuelle im
> Verfassen offener Briefe. Schlecht ist das nicht, im Gegenteil.
Bild: Eine Leistung: Alice Schwarzer hält mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg
Her mit den offenen Briefen! Offene Briefe sind toll, [1][offene Briefe
sind wichtig], [2][offene Briefe können wir aktuell gut brauchen].
Ich meine das vollkommen ernst. Auch Sie haben dieser Tage bestimmt ein
paar hämische Bemerkungen gehört oder gelesen, wonach sich irgendwelche
Hanselinnen und Hanseln für keine Unterschrift unter ein hingerotztes
Pamphlet zu schade seien. Fix-fix hätten sie sich beim Überfliegen der
[3][Briefe zum Angriff Russlands auf die Ukraine] eine Meinung gebildet und
sich namentlich druntersetzen lassen. Zur Belohnung dürften sie fortan in
Talkshows über Panzer, Atombomben und Embargos mitreden. Aber mit welcher
Qualifikation eigentlich?
Es qualifiziert sie eben dies: dass sie ihren Namen unter ein Papier
gesetzt haben. Doch, das reicht. Mit ihrer Unterschrift haben sie sich für
eine Diskussion beworben. Wenn eine Bundesregierung angesichts eines Kriegs
in Europa erklärt, wir seien „in einer anderen Welt aufgewacht“ und nun
müssten alle bei allem umdenken, dann ist es wirklich sinnvoll, darüber
auch mit Leuten ohne Expertise-Hintergrund in Panzer-, Atombomben- oder
Embargo-Dingen zu diskutieren.
Mag sein, dass einem Schauspieler dann argumentativ schnell die Puste
ausgeht. Oder dass ein Professor so mies rüberkommt, dass er niemanden
überzeugt. Doch diese Öffentlichkeit, von der wir hier reden, ist ein
reizbares und wankelmütiges Ding, vielen macht sie Angst. Es ist nicht
selbstverständlich, als Gast eine Talkshow souverän zu überstehen. Die
wenigsten Menschen werden geboren, um adrett frisiert und ohne sichtbaren
Schweißausbruch die eigenen Argumente fehlerfrei, korrekt artikuliert und
pointiert auf einer Strecke von 60 oder 90 Minuten vorzubringen. Womit die
Liste der Voraussetzungen für einen erfolgreichen Auftritt noch nicht
einmal komplett wäre.
## Deutungsmuster aus Kenntnisgebieten
Wenn sich nun aber Leute – nennen wir sie „Intellektuelle“ – finden, de…
Selbstbewusstsein und Zeit ausreichen, sich den Talkshows und
Radiointerviews, Podien und Streitgesprächen für Qualitätszeitungen zur
Verfügung zu stellen, dann ist das gut. Neben den natürlich sowieso
notwendigen ExpertInnen für Panzer et cetera haben sie die Funktion,
Deutungsmuster aus ihren je eigenen Kenntnisgebieten beizutragen, um das
noch Unverstandene verstehbarer zu machen.
Denn dies ist ja die Leistung, die wir von Intellektuellen erwarten: dass
sie Ideen, Bilder und Metaphern liefern, um schwierige Gegenstände auf eine
politische Gesprächsebene zu hieven. Ein Krieg mit wirklich gar nicht
berechenbaren Folgen bietet sich hierfür übrigens wesentlich mehr an als,
sagen wir, ein Virus, das zwar ebenfalls überwältigend wirkt – dies aber
immerhin nach naturwissenschaftlichen, also berechenbaren Gesetzen.
Es ist noch nicht so lange her, da bestand ein Gutteil der Feuilletons
daraus zu beklagen, dass es keine hör- und sichtbaren Intellektuellen mehr
gebe. Die Zeit fragte gefühlt alle acht Wochen, wo denn bitte der nächste
„J’accuse“-Rufer sei – der politisch anprangernde Schriftsteller, der es
versteht, dramatische Entwicklungen so zu schildern, dass sie das große
Publikum auch bewegen. Jetzt haben wir einen ganzen Schwung solcher Leute,
die etwas riskieren – und zwar in einer wesentlich unnachsichtigeren
Öffentlichkeit als zuvor. Ist doch super.
16 May 2022
## LINKS
[1] https://www.change.org/p/offener-brief-an-bundeskanzler-scholz
[2] https://www.change.org/p/die-sache-der-ukraine-ist-auch-unsere-sache?utm_so…
[3] /Offener-Brief-gegen-Waffenlieferungen/!5847494
## AUTOREN
Ulrike Winkelmann
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