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# taz.de -- Neuer Militärrabbiner über Bundeswehr: „Antisemitismus isoliere…
> Zsolt Balla wird am Montagnachmittag zum ersten Militärrabbi der
> Bundeswehr. Mit der taz sprach er über Militarismus, Pazifismus und
> rechte Soldaten.
Bild: Zsolt Balla wird erster Militärbundesrabbiner der Bundeswehr
taz: Herr Balla, Sie treten am Montag Ihr Amt als erster
Militärbundesrabbiner der Bundeswehr an. Was reizt Sie an dieser Aufgabe?
Zsolt Balla: Ich denke, dass diese Aufgabe eine große Bereicherung ist –
nicht für mich persönlich, darum geht es hier nicht, sondern für die
jüdische Gemeinschaft, für die Bundeswehr und für die deutsche
Gesellschaft.
Sie sind einer der ersten orthodoxen Rabbiner, der in Deutschland seit 1938
ausgebildet wurde. Warum haben Sie Ihre Heimat Ungarn verlassen, wo es eine
sehr große und aktive jüdische Gemeinde gibt, um nach Deutschland zu
kommen?
Es gibt in Budapest eine große Anzahl von jüdischen Menschen, aber die Zahl
der in der Gemeinde Engagierten ist relativ klein. 2002, mit Anfang
zwanzig, war ich in einer Phase, in der ich meine jüdischen Wurzeln
entdeckte. Dann hatte ich eine verrückt klingende Idee – statt in Stockholm
zu studieren, bin ich nach Berlin an eine Talmudschule gegangen, eine
klassische orthodoxe Yeshiva. Damals hätte ich mir nicht vorstellen können,
dass es hier so ein blühendes jüdisches Leben gibt.
Seit Jahren führen Sie die jüdische Gemeinde in Leipzig. Dort gibt es nur
wenige orthodoxe Juden. Erzählen Sie uns von Ihrer Arbeit!
Ich möchte lieber erzählen, warum ich nach Leipzig kam, ich habe in diese
Gemeinde eingeheiratet. Für mich ist es egal, wer orthodox und wer nicht
ist, es gibt 1.300 jüdische Menschen in Leipzig. Ich bin für jede Person
da, die etwas über das Judentum lernen möchte, die jüdische Ethik und
Tradition kennenlernen will. Und so sehe ich auch meine Rolle in der
Bundeswehr. Entscheidend ist nicht immer die Anzahl, es geht nicht um
Quantität, sondern um Qualität.
Stichwort Quantität: Die Bundeswehr hatte die Einführung jüdischer
Militärseelsorge damit begründet, dass es 300 jüdische Soldaten in der
Bundeswehr gebe. Mittlerweile ist klar, [1][dass diese Zahl viel zu hoch
ist.] Der Bund jüdischer Soldaten hatte in der taz von fünf bis sechs
jüdischen Soldaten gesprochen, die aber nicht alle religiös seien. Haben
Sie da schon einen besseren Überblick, können Sie Zahlen nennen?
Ich kann keine Zahlen nennen, weil ich sie nicht kenne. Aber ich finde Ihre
Frage etwas kurzsichtig. Die entscheidende Frage ist: Wie sollen die
deutsche Gesellschaft und die Bundeswehr in zehn Jahren aussehen? Es gibt
schon jetzt jüdische Soldaten, die Seelsorge brauchen, das ist klar. Die
genaue Anzahl ist für mich irrelevant. Außerdem bin auch für alle anderen
Soldaten da, als Seelsorger. Und, um ihnen das Judentum näherzubringen.
Haben Sie schon mit mehreren jüdischen Soldaten gesprochen, die Seelsorge
brauchen? Im Interview mit der Jüdischen Allgemeinen sprachen Sie von
einem.
Die kurze Antwort ist: ja. Aber Seelsorge ist vertraulich und ich kann
nichts weiter dazu sagen. Ich kenne Soldaten, die koschere Verpflegung
benötigen. Die Bedürfnisse sind sehr individuell, sie sind von der Kaserne
und dem Rang abhängig. Ich habe auch mit einem Soldaten gesprochen, einem
Offizier, der erst später im Leben zurück zum Judentum gekommen ist.
Aber Anrecht auf koschere Verpflegung und die Stationierung in der Nähe
einer jüdischen Gemeinde haben Soldaten schon jetzt, dafür braucht es keine
Rabbiner. Im Staatsvertrag steht explizit, dass Ihre Hauptaufgabe die
Seelsorge für die jüdischen Soldaten und die Einhaltung der jüdischen
Gebote ist. Die Einrichtung des Rabbinats wurde von Anfang an damit
gerechtfertigt.
Die Seelsorge steht in der Tat im Vordergrund. Ich bin auch im Austausch
mit evangelischen und katholischen Seelsorgern. Ein Seelsorger ist allen
Soldaten verpflichtet. Als Rabbiner sage ich allen Soldaten: Ich bin für
euch da. Ich finde es wichtig, dass die Militärseelsorger auch
interreligiöse und interkulturelle Kompetenzen haben.
Was sind Ihre weiteren Pläne? Laut Staatsvertrag sollen zehn Rabbiner
eingestellt werden, dazu kommen bis zu 50 MitarbeiterInnen. Gibt es bald
mehr Rabbiner als jüdische Soldaten?
Es können bis zu zehn Rabbinerinnen und Rabbiner sein. Wir werden
entscheiden, wie viele wir tatsächlich brauchen, dabei werden wir
vernünftig und nicht nepotistisch sein. Wir wollen eine funktionierende
Behörde aufbauen, dafür brauchen wir mehrere Rabbiner. Für
Ausbildungsstätten, für den lebenskundlichen Unterricht, und an mehreren
Standorten wie München oder Hamburg.
In der Bundeswehr gibt es Tausende muslimische Soldaten, für sie gibt es
keinen Imam. Empfinden Sie das als ungerecht?
Sie haben völlig Recht: [2][Wir brauchen in der Bundeswehr muslimische
Seelsorge.] Aber es gibt dabei ein Problem: Wir Juden sind sehr gut
organisiert und haben einen gemeinsamen Dachverband, den Zentralrat der
Juden. Das ist bei den Muslimen nicht der Fall.
Ich hatte vor kurzem ein langes Gespräch mit einem muslimischen Soldaten.
Ich als Rabbiner verstehe ihn als traditionellen Muslim vielleicht sogar
besser als ein katholischer oder evangelischer Seelsorger, denn wir haben
viele kulturelle Gemeinsamkeiten. Ich hoffe, dass unser Rabbinat auch den
Weg bereitet für muslimische Seelsorge in der Bundeswehr.
Bei der Bundeswehr gibt es immer wieder rechtsextreme Vorfälle, zum
Beispiel in der Spezialeinheit KSK. Verteidigungsministerin
Kramp-Karrenbauer [3][hat sich trotzdem entschieden, die Einheit nicht
aufzulösen.] Haben Sie Angst, als Feigenblatt herhalten zu müssen in einer
Organisation, die ein Problem mit Rechtsextremismus hat?
Nein! Das glaube ich nicht. Ich bin sicher, dass diese Vorfälle auch bei
meiner Amtseinführung angesprochen werden. Antisemitismus ist Teil unserer
Gesellschaft. Ich will mit meiner Arbeit dazu beitragen, ihn zu isolieren.
Ich hoffe, dass ich mit meiner Arbeit Soldaten erreiche, die vielleicht auf
der Kippe stehen. Wenn sie eine persönliche Beziehung zum Judentum in
Deutschland haben, wenn sie einen Rabbiner kennenlernen, dann glauben sie
vielleicht nicht mehr, dass die Juden das Bankensystem der Welt beherrschen
– um ein gängiges Vorurteil zu nennen. Aber komplett eliminieren können wir
Antisemitismus in der Gesellschaft leider nicht.
Anders gefragt: Würden Sie jüdischen Jugendlichen empfehlen, zur Bundeswehr
zu gehen?
In der Seelsorge habe ich gelernt, dass es immer auf den Einzelnen ankommt.
Aber ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der ich jeden jungen
Erwachsenen, der mich um Rat fragt, darin bestärken kann, zur Bundeswehr zu
gehen. Und es muss möglich sein, dass die jungen Leute ihre Religion dann
auch leben können. Aber klar ist auch: Meine Aufgabe ist nicht, zu
rekrutieren.
Zuletzt gab es deutsche Militärrabbiner zu Kriegszeiten, im
deutsch-französischen Krieg und im ersten Weltkrieg, dazwischen und später
nicht. Damals verloren Millionen Soldaten auf beiden Seiten ihr Leben.
Sollte man wirklich an diese Tradition anknüpfen?
Es geht nicht um Militarismus. Mir geht es darum, dass jüdische Menschen
sich für ihre Heimat engagieren können. Im 19. Jahrhundert waren viel mehr
Juden in der deutschen Armee, als es ihrem Anteil in der Gesellschaft
entsprach. Und schauen Sie in andere Länder: In Frankreich gibt es
Militärrabbiner, in den Niederlanden auch.
Aber natürlich wollen wir nicht an den ersten Weltkrieg anknüpfen. Wir
wollen keinen Krieg in der Welt. In diesem Sinne bin ich pazifistisch
eingestellt. Aber ich verstehe, wie wichtig die Arbeit der Soldaten ist:
Ich möchte, dass die Soldaten gewürdigt werden, die sich jeden Tag dafür
einsetzen, dass wir in Ruhe und Frieden leben können. Die Wertschätzung
dafür fehlt mir oft in der Gesellschaft.
Deutschland will florierendes jüdisches Leben, das Militärrabbinat ist auch
ein Ausdruck davon. Aber die Realität in den Gemeinden sieht anders aus.
Die größte Sorge ist Altersarmut, es fehlen Mittel für Schulen und
Altersheime. Ist das Militärrabbinat nicht Symbolpolitik, gojische Naches,
wie man auf jiddisch sagt, also Spaß für Nicht-Juden? Brauchen die Juden
das Militärrabbinat – oder braucht Deutschland es für sein
Selbstverständnis?
Ich finde es falsch, das gegeneinander auszuspielen. Natürlich brauchen wir
beides. Und Symbole sind auch wichtig. Der Zentralrat und viele andere
haben sich über 25 Jahre dafür eingesetzt, damit es Militärrabbiner gibt,
und jetzt kommt es endlich.
Wir haben gehört, Sie können sehr gut Gitarre spielen und singen. Gibt es
ein Lied, das für Ihre Arbeit besonders wichtig ist?
Ja! Ich schicke Ihnen gern ein Video, darin singe ich einen Psalm, auf
Deutsch heißt er: Was kann ich Gott zurückzahlen, all das Gute, was er für
mich getan hat. Ich möchte der Gesellschaft und dem Ewigen etwas
zurückgeben. Darum bin ich heute hier. Und deshalb trete ich dieses Amt an.
21 Jun 2021
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## AUTOREN
Kersten Augustin
Yossi Bartal
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