| # taz.de -- Muslimische Soldatin über ihren Beruf: „Deutschland sieht so aus… | |
| > Nariman Hammouti ist als Kind marokkanischer Eltern in Hannover | |
| > aufgewachsen und wurde Soldatin. Ein Gespräch über Einsätze, Seelsorge | |
| > und Rassismus. | |
| Bild: Kennt sich aus mit Auslandseinsätzen und Inlandsrassismus: Nariman Hammo… | |
| taz: Frau Hammouti, welche Rolle spielt Disziplin in Ihrem Leben? | |
| Nariman Hammouti: Ich habe bei der Bundeswehr gelernt, diszipliniert zu | |
| planen. Pünktlichkeit und Verlässlichkeit haben für mich etwas mit | |
| Disziplin zu tun. Privat bleibt mir auch keine andere Wahl, weil ich viel | |
| unterwegs bin, viel fremdgesteuert. Wenn ich mal zu Hause bin, und zum | |
| Beispiel zum Essen einlade, ist es blöd, wenn jemand eine Stunde zu spät | |
| kommt. | |
| Wieso sind Sie Soldatin geworden? | |
| Die Idee kam mir 2001 durch den Film „Pearl Harbour“. Der wird oft als | |
| Schmachtfetzen und als reine Darstellung von amerikanischem Nationalismus | |
| bezeichnet. Für mich hat der Film Kameradschaft, den Stolz auf sein Land | |
| und die Werte seines Landes gut transportiert. Tatsächlich war das bei der | |
| Bundeswehr noch viel stärker: Man hilft sich gegenseitig, ans Ziel zu | |
| kommen. Ich habe davor in einem Callcenter gearbeitet und Reisen verkauft. | |
| Da hat jeder auf die eigenen Verkaufszahlen geguckt, schließlich wurde man | |
| dementsprechend beurteilt. Diese Ellbogenarbeit gab es während meiner | |
| Anfangszeit in der Bundeswehr überhaupt nicht. | |
| Hierarchien und Vorgesetzte zum Beeindrucken gibt es doch auch bei der | |
| Bundeswehr … | |
| Das stimmt, meistens kämpft man sich aber zusammen durch. Vieles | |
| funktioniert ohne die anderen nicht. Wer versucht, besser dazustehen, kommt | |
| im Kameradenkreis nicht gut weg, und das bekommt auch der Vorgesetzte mit. | |
| Wie haben sich Ihre Beziehungen durch die Zeit bei der Bundeswehr | |
| verändert? | |
| Den Großteil meiner Freunde habe ich noch von früher, aus Hannover. Aber | |
| ich habe auch neue Freunde dazugewonnen. | |
| Bei der Bundeswehr? | |
| Ja – größtenteils Kameraden, mit denen ich im Einsatz war. Das sind | |
| eigentlich fremde Menschen, man kennt deren Umfeld nicht und weiß nicht, | |
| wie sie in zivil aussehen. Die Uniform lässt Grenzen verschwimmen. | |
| Natürlich sind auch im Einsatz Menschen dabei, mit denen ich nur bei der | |
| Arbeit gut funktionieren muss. Aber mit anderen Kameraden spricht man | |
| darüber, was einen gerade belastet. Als ich zum Beispiel Stress mit meinem | |
| damaligen Freund hatte, hatte ich Menschen, die mir den Rücken gestärkt | |
| haben. Mich in Afghanistan hinzusetzen und stundenlang mit einer Freundin | |
| zu telefonieren, ging nicht. | |
| Haben Sie viel Kontakt nach Hause, wenn sie unterwegs sind? | |
| Ich versuche es, aber meistens habe ich nichts zu erzählen. Wir planen dann | |
| eher, was wir machen, wenn wir uns wiedersehen. Ich gehe nächstes Jahr als | |
| Militärbeobachterin für die Vereinten Nationen in den Südsudan. Letztens | |
| habe ich abends mit Freunden zusammengesessen, und wir haben überlegt, was | |
| wir machen, wenn ich den Einsatz überlebt habe. | |
| Ist das oft Thema mit Ihren Freunden? | |
| Mit meinen Freundinnen kann ich das ganz gut besprechen, bevor ich in den | |
| Einsatz gehe. Mit meiner Familie ist es schwieriger, und meinen Eltern kann | |
| ich so lange vor einem Einsatz noch nicht davon erzählen. Sonst würden die | |
| sich schon viel früher Sorgen machen. | |
| Wie haben Ihre Eltern reagiert, als Sie zur Bundeswehr gingen? | |
| Meine Mutter wollte lieber, dass ich etwas Normales mache, also studiere | |
| oder heirate und Kinder kriege. Mein Vater hat davon geträumt, dass meine | |
| beiden Brüder zur Bundeswehr gehen. Mich hat er ausgelacht und gesagt, das | |
| würde ich nicht länger als drei Wochen durchhalten. Ich war damals eine | |
| ziemliche Diva – habe mich nie ungeschminkt aus dem Haus getraut, hatte | |
| immer künstliche Nägel, und habe ständig Absätze getragen. Dass mein Vater | |
| mir das nicht zugetraut hat, hat mich nur noch mehr motiviert. | |
| Ihre Eltern sind aus Marokko nach Hannover gekommen. Wie war Ihre Familie | |
| hier integriert? | |
| Ich bin in Hannover-Linden aufgewachsen, wo wir viel Kontakt zu Menschen | |
| mit und ohne Migrationshintergrund hatten. Ich hatte auch eine „Oma Hilde“, | |
| eine Bekannte meiner Eltern, die in der Nähe von einem Bauernhof gewohnt | |
| hat, zu der sind wir oft gefahren. Da durfte ich immer Pferde striegeln und | |
| Hühner füttern. Mein Highlight war immer Oma Hildes Weihnachtsbaum. | |
| Was bedeutet Integration für Sie? | |
| Ich habe Integration für mich nie versucht – bin hier geboren und | |
| aufgewachsen, ich bin Deutsche. Aber meine Mutter hat immer, wenn wir im | |
| Sommer nach Marokko gefahren sind, alles Europäische, alles Deutsche, an | |
| der marokkanischen Grenze abgelegt. In Marokko hat sie marokkanische | |
| Klamotten getragen, und in Deutschland deutsche. | |
| Hat Ihre Familie in Deutschland schlechte Erfahrungen gemacht? | |
| Meine Eltern hatten mit ihrem Namen Probleme bei der Wohnungssuche, meine | |
| kleine Schwester hat Kopftuch getragen und ewig nach einer Ausbildung | |
| gesucht, mir ist die Nase gebrochen worden. Jemand meinte zu mir: Geh’ | |
| dahin, wo du herkommst! Als ich meinte, ich wohne hier, habe ich eine | |
| reinbekommen. Eine gebrochene Nase, mit 15 – da bin ich gar nicht mehr | |
| rausgegangen. | |
| Haben Sie in solchen Situationen Trost im Glauben gefunden? | |
| Ich war noch nie die Frommste. Aber ich bin jetzt als Soldatin anders | |
| religiös, ich setze mich anders mit Tod und Gefahren auseinander, und auch | |
| normale Lebenskrisen sind für mich anders. Meine Scheidung war zum Beispiel | |
| um einiges anstrengender, als wenn ich zu Hause gewesen wäre: Ich konnte | |
| nicht abends mit einer Freundin zusammensitzen und auf meinen Ex-Mann | |
| schimpfen. Ich bin froh, Muslima zu sein, sonst hätte ich meine | |
| Verzweiflung in vielen Situationen vielleicht schon in Alkohol ertränkt. | |
| Vor Ihrem ersten Afghanistan-Einsatz haben Sie ein Leichentuch gekauft und | |
| Ihrem Chef eine Anleitung überreicht, für den Fall, dass Sie sterben. Wie | |
| hat sich das angefühlt? | |
| Ich musste mich mehr mit meinem Tod beschäftigen als ein christlicher | |
| Soldat, für den das alles geregelt wird. Wenn man sich so mit dem eigenen | |
| Tod auseinandersetzt, sich ein Leichentuch besorgt, wird das noch echter | |
| und es macht Angst. | |
| Wie gehen Sie damit um? | |
| Das wird besser, wenn man vor Ort ist und seine Aufgabe kennt. Vor meinem | |
| ersten Auslandseinsatz habe ich das alles vorbereitet und dann kamen immer | |
| mehr Eindrücke dazu: die Luftwaffenmaschine, in der statt Stewardessen | |
| Soldaten standen, die Transall-Maschine mit mehr Kriegsflair, die Landung, | |
| bei der mir richtig schlecht wurde. Und plötzlich ist man in Afghanistan | |
| und sieht den Hindukusch. Irgendwann werden diese Ängste zur Routine. Wenn | |
| man weiß, wie sich Krieg anfühlt, wie man reagiert, wenn es keine Übung | |
| mehr ist, wird man ruhiger. Aber auch vor meinem nächsten Einsatz habe ich | |
| richtig Angst. | |
| Wie war die Rückkehr nach Deutschland? | |
| Ich war total überfordert. Anfangs hatte ich eine Überempfindlichkeit – | |
| einen Supermarkt kannst du nicht ganz überblicken, du weißt nie, wer hinter | |
| einem Regal steht. Ich kam nur klar, wenn ich wusste, was in welchem Regal | |
| steht, und wenn mehr als drei Leute an der Kasse standen, bin ich nicht | |
| reingegangen. Im Einsatz habe ich mich total darauf gefreut, in Deutschland | |
| zum Friseur, zur Pediküre und zur Maniküre zu gehen. Als ich dann in der | |
| Stadt war, um mein Beautyprogramm zu machen, war ich total fertig. Nach dem | |
| ersten Afghanistan-Einsatz habe ich sechs Monate gebraucht, um wieder | |
| einigermaßen zu funktionieren. Nach dem zweiten Einsatz, bei dem wir viele | |
| Todesfälle hatten, habe ich ein ganzes Jahr gebraucht. | |
| Sie wollen, dass es bei der Bundeswehr muslimische Seelsorge gibt. Wann | |
| hätten Sie einen Seelsorger gebraucht? | |
| Direkt nach dem ersten Beschuss – da war ich gerade drei Tage in | |
| Afghanistan. Da hätte ich gerne jemanden zum Reden gehabt, der mir | |
| vielleicht ein Gebet mit auf den Weg gegeben hätte. Für die über 3.000 | |
| Soldatinnen und Soldaten muslimischen Glaubens müsste es möglich sein, | |
| endlich muslimische Seelsorger einzustellen. | |
| Wieso engagieren Sie sich im Verein Deutscher Soldat? | |
| Ich bin dem Verein 2012 aufgrund der Vision beigetreten. „Ein Deutschland, | |
| in dem Leistungsbereitschaft mehr zählt als äußerliche Unterschiede.“ Als | |
| meine Schwester mir erzählte, sie sei schwanger, wurde es für mich noch | |
| wichtiger mich zu engagieren. Meine Nichten und Neffen sollen nicht | |
| Erfahrungen machen wie ich – mit Nasebrechen oder Diskriminierung auf Grund | |
| des Aussehens oder Namens. Rassisten und Relativierer meiner | |
| Diskriminierung können mich nicht abhalten, auf die Probleme in der | |
| deutschen Gesellschaft aufmerksam zu machen. | |
| Wieso dann der Verein und keine Partei? | |
| Eine Partei, hinter der ich 100 Prozent stehe, gibt es gerade nicht. Und | |
| unser Verein ist auch keine Interessenvertretung für Soldaten. Wir setzen | |
| uns auf dem politischen Weg gegen Diskriminierung und Rassismus ein. Ich | |
| sitze für den Verein in der Kommission für Migration und Teilhabe im | |
| Niedersächsischen Landtag. Wir machen Integrationsarbeit mit sozial | |
| benachteiligten Kindern und halten Vorträge. So kann ich eine | |
| Gesellschaftsschicht ansprechen, die ich sonst niemals erreichen würde. | |
| Wieso haben Sie das Buch „Ich diene Deutschland“ geschrieben? | |
| Ich wollte zeigen, dass Deutschland aussieht wie ich. Dass Deutschland | |
| nicht blond, blauäugig und weiß ist, und dass Einigkeit und Recht und | |
| Freiheit nicht nur in der Nationalhymne verankert sind, sondern Werte sind, | |
| die wir alle leben müssen. Eine Hoffnung ist, dass sich damit dieses „Woher | |
| kommen Sie denn?“ klärt. Mir geht es darum, zu sagen, dass ich Deutsche | |
| bin. | |
| Aber Sie sind eher zu einer Art Vorzeigeausländerin geworden, oder? | |
| Ich werde jetzt so herumgereicht und lebe damit. Selbst die Bundeskanzlerin | |
| hat mich mal als Vorzeigemigrantin vorgestellt. Aber vielleicht müssen | |
| meine Nichten und Neffen keine Vorzeigeausländer mehr sein. | |
| Möchten Sie, dass Ihre Nichten und Neffen zur Bundeswehr gehen? | |
| Wenn sie es wollen, wieso nicht? Ich würde aber keine Truppenwerbung | |
| innerhalb der Familie veranstalten. | |
| Können Sie sich eine Welt ohne Militär vorstellen? | |
| Nein, dafür habe ich zu viel gesehen. Und man muss auch von dem | |
| Blickwinkel, das Militär sei nur da, um Kriege zu führen, weg. | |
| Anti-Terror-Einsätze, Schutz für Wiederaufbau und Entwicklungshelfer: Das | |
| ist etwas ganz anderes als im Feld zu kämpfen und zu töten. | |
| Wollen Sie im Einsatz sterben? | |
| Auf keinen Fall. Lieber im Schlaf, zu Hause, nach einer schönen | |
| Veranstaltung. Vielleicht wenn ich auf der Hochzeit meines Neffen getanzt | |
| habe oder nach einem schönen Abend mit Freundinnen. | |
| 7 Sep 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Carlotta Hartmann | |
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