Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ex-US-Basketballer über das Hierbleiben: „Und auf einmal war ich…
> Wilbert Olinde kam als Basketballer nach Göttingen. Aus seinem Plan, eine
> Saison zu bleiben, ist nach und nach eine Entscheidung fürs Leben
> geworden.
Bild: Gab 1983 seine US-amerikanische Staatsbürgerschaft auf: Wilbert Olinde
taz: Herr Olinde, was haben Sie heute gefrühstückt?
Wilbert Olinde: Oh, sehr deutsch! Obwohl? Heute hatte ich Müsli, Joghurt
und Obst. Sonst esse ich oft morgens Brot und Käse. So was habe ich früher
nie gegessen.
Früher heißt: Als sie 1977 zum Basketballspielen aus San Diego nach
Göttingen kamen?
Ja, ich bin mit Cereals und Milch aufgewachsen, mit Eiern und Bacon und
Biscuits. Dann kam ich hierher und da waren diese Brötchen. Wenige Tage,
nachdem ich hier angekommen war, kam die Mannschaft zu mir. Ich hatte es
noch nie erlebt, dass Leute unangemeldet zum Frühstück vorbeikamen.
Die ganze Bundesliga-Mannschaft vom SSC Göttingen stand da morgens einfach
bei Ihnen auf der Matte?
Ja genau! Das war in meiner ersten Woche in Göttingen und die haben alles
mitgebracht. Brötchen, Marmelade, [1][Wurst und auch Mett], aber ich konnte
mir nicht vorstellen, rohes Fleisch zu essen. Die meinten zwar, es ist in
Ordnung, aber ich hab das erst Jahre später probiert. Aber das ist nicht so
meins.
Wie war denn der erste Tag hier? Sie waren 22 Jahre alt und wirklich weit
weg von zu Hause.
Auf der Fahrt vom Flughafen haben sie uns erzählt, es war noch ein anderer
Deutsch-Amerikaner dabei, ihr bekommt jetzt eine Wohnung in einem Haus und
dieses Haus soll in zwei Jahren abgerissen werden. Aber es war dann ganz
nett, nur alles anders.
Wie anders?
Anders als ich es kannte. Das fing schon mit dem Badezimmer an, da war ein
Boiler. Man musste das Wasser heiß machen, wenn man es brauchte! Und sie
haben uns ein halbes Hähnchen in einer Plastiktüte in den Kühlschrank
getan, ich weiß noch, dass wir das nach zweieinhalb Wochen weggeschmissen
haben, weil keiner von uns was damit anfangen konnte.
Wie viel Zeit hatten Sie vom Moment, in dem Sie sich entschieden haben,
eine Saison [2][in Göttingen Basketball zu spielen], bis zum Abflug?
So sechs Wochen? Mehr nicht. Und in der Zwischenzeit musste ich noch einige
Dinge in Bewegung bringen. Einen Pass beantragen zum Beispiel.
Sie hatten keinen?
Wofür? Ich hatte noch nie die USA verlassen, ich hatte kaum Kalifornien
verlassen. Und ich wusste, es wird Winter in Deutschland, also habe ich
noch Klamotten gekauft für die kalte Zeit. Das gab es in Südkalifornien
nicht, Jahreszeiten. Ich habe im Winter 1977/78 das erste Mal im Schnee
gesehen.
Sie wurden hier als der US-Star angekündigt, ein Star waren Sie aber gar
nicht, oder?
Sagen wir, noch nicht so ein Topstar. Aber ich habe an der Uni von
Kalifornien, an der UCLA, gespielt und da spielten nur die besten Spieler
der USA. Bei der UCLA zu spielen ist wie für Bayern München zu spielen.
Und da kamen Sie zu dieser doch [3][eher unprofessionellen Mannschaft] nach
Göttingen. Wussten Sie worauf Sie sich einlassen?
Nee, ich kam zum ersten Training und wir haben mit Gummibällen gespielt,
ich glaube, ich hatte zuletzt vor fünf oder sechs Jahren mit Gummibällen
gespielt. Alle spielten mit Lederbällen. In den USA haben wir vor 20.000
Leuten auf Parkett gespielt und hier war dieses Linolium mit Tausenden von
Linien in den kleinen Hallen. Auch die Spieler waren nicht so weit, wie ich
das gewohnt war.
Denkt man da nicht: Verdammt, was mache ich hier?
Ich bin mit der Einstellung gekommen: Ich bleibe ein Jahr und ich betrachte
alles als ein Abenteuer. Ich wollte auch keine neuen USA finden, sondern
sehen, wie Dinge woanders gemacht werden.
Aber warum Göttingen?
Ich wollte Mathematik studieren und hatte gelesen, wenn Du Mathematik
studieren willst, sollst Du Deutsch können, weil die großen Mathematiker
Deutsche waren. Ich habe mit Spanisch aufgehört und in der zehnten, elften
und zwölften Klasse Deutsch gelernt. Nach den vier Jahren Uni wollte ich
ein Jahr nach Europa und dachte, am besten wäre Deutschland, weil ich die
Sprache ja ein bisschen kannte. Dann kam das Angebot aus Göttingen für ein
Jahr.
43 Jahre später sitzen wir in Hamburg auf Ihrem Balkon.
Ich wusste nach zwei Jahren schon, dass ich etwas länger bleiben will als
eine Saison. Dass ich jetzt 43 Jahre später hier in Hamburg sitze, hätte
ich nicht gedacht, ich dachte so fünf, acht, zehn Jahre oder so.
Der Vereinspräsident wollte Sie aber schon nach der ersten Saison
loswerden. „Der Neger muss weg“, sagte er zu Ihrem Trainer, aber der hat
sich für Sie stark gemacht. Wussten Sie damals, wie die Vereinsoberen über
Sie gesprochen haben?
Das habe ich erst viel später erfahren. Mir wurde nur gesagt, du kannst
bleiben, aber für weniger Geld.
500 Mark im Monat weniger.
Das war ein Drittel weniger, aber ich habe gesagt, okay, ich bleibe noch
ein Jahr, um zu zeigen, ich kann das. In der ersten Saison sind wir fast
abgestiegen und ich wollte nicht mit so einem Erlebnis aufhören. Ich wurde
auch besser, das Team wurde besser. In der zweiten Saison waren wir im
Pokalfinale und da dachte ich, ach, wir waren so knapp an der Meisterschaft
vorbei, da kann ich jetzt nicht gehen. Im dritten Jahr waren wir zum ersten
Mal deutscher Meister und dann kam meine Tochter und dann kamen immer
wieder Sachen und auf einmal war ich Deutscher.
1983 haben Sie den deutschen Pass bekommen und den amerikanischen
abgegeben. Warum wollten Sie das?
Es gab verschiedene Gründe. Ich habe hier schon mehrere Jahre gelebt, ich
habe eine Tochter und ich dachte, ich kann dann richtig an dem Deutschsein
teilnehmen. Und ich muss eben nicht mehr als Amerikaner, als Ausländer
spielen, sondern als Deutscher und kann dann auch einen gewissen Druck
abgeben.
Wie gucken Sie heute auf die aktuelle Situation in den USA?
Das macht mich sehr traurig, was da passiert. Die Menschen werden
auseinander dividiert, das kann nicht klappen.
Denken Sie jetzt an US-Präsident Donald Trump?
Nee nee, es haben ihn ja viele Millionen Menschen gewählt. Er ist ja nur
derjenige, der es vorantreibt, Menschen auseinanderzutreiben, um daraus für
sich Erfolge zu ziehen. Ich war hier [4][in Hamburg auf
Black-Lives-Matter-Demos] mit meinen Söhnen und da wurde mir klar, dass es
[5][vor 50 Jahren ganz ähnliche Situationen in den USA] gab. Da kriege ich
gleich eine Gänsehaut. Und ich habe mich gefragt, wie viel hat sich denn
überhaupt verändert?
Und?
Es haben sich Dinge verändert, aber wie lange dauert das noch! Als Dr.
Martin Luther King Junior ermordet wurde, war ich zwölf Jahre alt. Mein
Vater ist in den 1930er-Jahren aufgewachsen und da hat man Schwarze noch
gelyncht und in Bäume gehängt. Da kann man sagen, dass das besser geworden
ist. Aber bei manchen Menschen ist die Einstellung im Kopf nicht viel
anders geworden.
Wie sind Sie denn aufgewachsen?
Ich bin in New Orleans, Louisiana, geboren und in San Diego, Kalifornien,
aufgewachsen, in einer Nachbarschaft mit bis zu 90 Prozent Schwarzen. Meine
Eltern haben das Haus dort 1958 gekauft und wir haben da gelebt bis ich 16
Jahre alt war. Das war eine richtige Community dort. Ich war die ganze Zeit
draußen, hing mit meinen Freunden rum. Sonst bin ich zur Schule gegangen,
war gut in der Schule und schlecht im Sport.
Schlecht im Sport?
Schlecht im Sport, gut in der Schule, ja. Das war in der Nachbarschaft eine
schlechte Kombination, denn die ganze Anerkennung ging über den Sport. Ich
habe Baseball gespielt, war aber schlecht, ich habe da viel geweint und es
hat wenig Spaß gemacht. Aber in der Schule war ich gut.
Waren Sie einsam?
Nee, nicht einsam, ich hatte meine Leute und meine Familie, aber inzwischen
weiß ich, ich war einfach anders. Ich war in meiner eigenen Welt. Wir waren
zum Beispiel jeden Sonntag in der Kirche entweder mit Krawatte oder Fliege
und auch da hatte ich immer die Beobachterrolle, das passt schon zu dem,
was ich heute beruflich mache.
Sie haben als Basketballtrainer gearbeitet und sind heute Mentaltrainer.
Ah nee, nicht Mentaltrainer, das ist, was die anderen über mich schreiben.
Ich möchte Leuten helfen, sich selbst zu inspirieren. Deswegen sage ich:
Inspirationscoach. Meine Aufgabe ist es, zuzuhören, zu beobachten, zu
hören, was die Menschen nicht sagen und dann Fragen zu stellen. Das habe
ich schon als Kind gemacht.
In Ihrem Wohnzimmer sieht es noch nach Geburtstag aus, ein Gabentisch mit
Büchern und eine goldene Luftballon-65 in der Ecke. Herzlichen Glückwunsch
nachträglich!
Ja danke, ich bin übrigens am 5. August genau 23.755 Tage auf der Erde,
hier meine Mathematik-Leidenschaft, und der 23.7.55 ist mein Geburtstag.
Ich weiß nicht, wie viele Leute das behaupten können!
Wie sehen Sie die Zukunft?
Ich habe die Hoffnung, dass sich Dinge weiter verändern und wir immer
wacher werden und dass wir die Menschen weniger danach beurteilen, was wir
von außen sehen.
Was meinen Sie damit?
Im letzten Jahr war ich im [6][Grenzdurchgangslager Friedland] in der Nähe
von Göttingen und habe eine Rede gehalten. Und da hat jemand eine Frage
gestellt, ich weiß gar nicht mehr genau, was er wissen wollte, aber ich
merkte, er hat mich in eine Schublade gesteckt. Ich sagte ihm, was du nicht
sehen kannst ist, dass ich erfolgreich war im Sport, erfolgreich in meinem
Geschäft und ich fühle mich erfolgreich mit meiner Familie, ich habe zwei
Studiengänge abgeschlossen, ich habe Menschen geholfen, die sich das Leben
nehmen wollten. Ich sagte ihm, ich verdiene nicht, dass Du mich anguckst
und sagst: Ok, das ist ein Zwei-Meter-und-Zwei-Zentimeter-großer schwarzer
Basketballer. Ich habe irgendwann mal aufgehört zu sagen, ich bin ein
Basketballer, ich habe gesagt, ich spiele Basketball.
Das ist ein Unterschied.
Ja, seit April ernähre ich mich vegetarisch und die Leute sagen: Du bist
Vegetarier. Und ich sage, Nein, ich ernähre mich vegetarisch. Die Leute
sollen erkennen, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem, was wir tun
und dem, wer wie sind. Das ist mein Traum.
31 Aug 2020
## LINKS
[1] /Baeckereien-und-Metzgereien-schliessen/!5587788
[2] /Basketball-Bundesliga/!5169234
[3] https://www.goettinger-tageblatt.de/Die-Region/Goettingen/Legendaere-Basket…
[4] http://Hamburgs%20Jugend%20gegen%20Rassismus
[5] /50-Jahre-nach-Martin-Luther-King/!5493334/
[6] /Museum-im-Grenzdurchgangslager-eroeffnet/!5285403/
## AUTOREN
Ilka Kreutzträger
## TAGS
Basketball
Auswandern
USA
Black Lives Matter
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Rassismus
Henning Harnisch
Schwerpunkt Rassismus
Fußball-Bundesliga
## ARTIKEL ZUM THEMA
Hamburger Boxerin über ihr WM-Ziel: „Ich mache mir nicht gerne Sorgen“
Bintou Schmill hatte das Boxen schon aufgegeben. Ein Gespräch übers
Wiederaufstehen, Frauen im Boxsport und rassistische Klischees.
Muslimische Soldatin über ihren Beruf: „Deutschland sieht so aus wie ich“
Nariman Hammouti ist als Kind marokkanischer Eltern in Hannover
aufgewachsen und wurde Soldatin. Ein Gespräch über Einsätze, Seelsorge und
Rassismus.
Kolumne Henningway: Das Alter und der Dunking
Älter gewordene Basketballspieler kann man am langsamen Gang erkennen. Aber
manchmal gelingt auch mit 50 noch ein letzter Dunk.
Kolumne Kulturbeutel: Für eine Handvoll D-Mark
Das romanhafte, beispiellose und doch so normale Leben des
Basketball-Migranten Wilbert Olinde jr., den es 1977 nach Göttingen
verschlug.
Wilbert Olinde über Sport-Gastarbeit: „Basketball ist eine Randerscheinung“
Wilbert Olinde wurde mit dem SSC Göttingen dreimal deutscher
Basketballmeister. Eigentlich wollte er nur für eine Saison aus den USA
kommen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.