# taz.de -- Hamburger Boxerin über ihr WM-Ziel: „Ich mache mir nicht gerne S… | |
> Bintou Schmill hatte das Boxen schon aufgegeben. Ein Gespräch übers | |
> Wiederaufstehen, Frauen im Boxsport und rassistische Klischees. | |
Bild: War auf dem Weg zum WM-Titel, schmiss entnervt hin und will nun nochmal a… | |
taz: Frau Schmill, wie sehr brauchen Sie das Risiko? | |
Bintou Schmill: Mir geht es beim Boxen nie ums Risiko. Die | |
Auseinandersetzung im Ring macht mir Spaß. Zum einen weckt es meine | |
Spiellust, zum anderen ist es eine Herausforderung. Ich will mein | |
Bestmögliches geben und der anderen zeigen, dass ich ihr überlegen bin. | |
Deshalb liebe ich das Boxen. Das Risiko dabei ist doch überschaubar. | |
Höchstens in der Hinsicht, dass man im Kampfverlauf bis zum letzten Moment | |
brilliert und plötzlich passiert das Unerwartete. | |
Ein Lucky Punch. | |
Genauso ist es. You’ll never know, wie man im [1][Boxsport] sagt. Aber | |
daran denke ich absolut nicht. | |
Eigentlich bezog sich die Frage darauf: Sie haben Ihren sicheren Job als | |
Lehrerin hingeschmissen, um mit 36 Jahren Boxweltmeisterin zu werden. | |
Es ist wohl eher eine Fortsetzung meiner Sportkarriere, die seit 2011 | |
läuft. Ich habe darüber lange nachgedacht und mit vielen mir wichtigen | |
Personen gesprochen. Natürlich haben diese mich gefragt, was zum Kuckuck | |
ich mir in den Kopf gesetzt habe und warum. Ich habe stets geantwortet: | |
Weil ich es kann. Es ist meine Leidenschaft. | |
Jetzt hat die Coronapandemie Ihren Plan durchkreuzt. Haben Sie Angst, dass | |
die Zeit langsam knapp wird? | |
Ja, tatsächlich mache ich mir Gedanken darüber. Ich konnte zu Beginn der | |
Pandemie nicht wie gewohnt trainieren. Auch jetzt sind die Sorgen wieder | |
präsenter. Dabei mache ich mir nicht gerne Sorgen. Ich glaube an die Kraft | |
der Welt, die Kraft Gottes. Es wird am Ende immer alles gut, wenn wir nicht | |
verzweifeln und aufgeben: Kurz aufraffen, den Kurs korrigieren und nochmal | |
ran. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. | |
Wenn Sie im Ring doch mal einen Schlag kassieren, scheinen Sie meist | |
relativ cool zu bleiben. Andere werden bei Gegenwind schnell hektisch. | |
Versuchen Sie auch sonst, entspannt mit Problemen umzugehen? | |
Vielleicht waren die Schläge nicht hart genug. (lacht) Aber ja: Das ist auf | |
jeden Fall meine Lebenseinstellung. Ich habe in meinem Leben von Klein auf | |
lernen müssen, mit Problemen umzugehen – wobei ich lieber den Begriff | |
Herausforderung bevorzuge. Wenn ich etwas kassiere und am Boden liege, mag | |
es sein, dass ich vielleicht eine gewisse Zeit brauche, aber dann stehe ich | |
wieder auf. Es heißt „Trouble don’t last always“. Das Leben ist zyklisch. | |
Ist das Boxen für Sie eine Sportart wie jede andere? | |
Ein klares Ja. Ich habe schon eine Menge Sportarten machen dürfen, nachdem | |
ich nach Deutschland kam. Ich habe mit Judo angefangen – das kannte ich gar | |
nicht – habe Basketball gespielt, Karate und Tennis gemacht, bin gar | |
geschwommen. Das ist für mich nichts anderes. Meine Mutter versteht nicht, | |
„warum sich zwei Menschen auf die Birne hauen“. Nun, das Boxen ist weit | |
mehr als das. Ich verstehe das schon. | |
Sie haben mal gesagt: „Boxen vereint alles, was ich gut kann“ – was gehö… | |
dazu? | |
Das Auseinandersetzen mit allerlei unterschiedlichsten Situationen und | |
Menschen, mal mehr, mal weniger berechenbar. Und das Wachsen über sich | |
selbst hinaus, on Top die Schnelligkeit und Explosivität. Das fasziniert | |
mich. Genauso wie das Messen mit anderen: Man kann einen Moment lang Kind | |
sein. Kinder spielen auch gerne und messen sich aneinander. Und mir wird | |
immer gesagt, dass ich ein Auge für Details habe. Und das ist beim Boxen | |
ganz wichtig. | |
Und was liegt Ihnen nicht so gut? | |
Bis in alle Ewigkeit nur auf eine Sache fixiert zu sein, das widerstrebt | |
mir. Es gibt so viel Schönes und Interessantes im Leben, so viele | |
Herausforderungen. Ich tue mich schwer mit der Vorstellung, den Rest meines | |
Lebens Vollzeit einem Beruf nachzugehen, der keine Vielfalt und soziale | |
Interaktion bietet.Ein „geradliniges Leben“ zu führen, ist bestimmt schön, | |
aber ich glaube nicht, dass es besser für mich ist. Es entspricht nicht | |
meinem Wesen und würde mich auf lange Sicht unglücklich machen. Mir würde | |
die Diversität fehlen. Die finde ich wiederum beim Boxen. | |
Warum haben Sie 2016 – da waren Sie schon zweifache Europameisterin – die | |
Handschuhe in die Ecke geworfen? | |
Einerseits war mir wichtig, dass ich außerhalb des Boxens eine Ausbildung | |
habe und meinem Lehrerberuf nachkommen kann. Andererseits stagnierte meine | |
Boxkarriere, ich musste immer nur warten auf Kampfgelegenheiten und auf | |
Chancen, um einen WM-Titel zu boxen. Die Zuständigen hielten mich hin, es | |
gab immer irgendwelche Ausreden, warum es gerade nicht klappen würde. Ich | |
habe am Ende vier Jahre gewartet. Das Boxen ist ein großes Business, in dem | |
du es [2][als Frau besonders schwer] hast und oben drauf auch noch | |
finanziell extrem benachteiligt wirst. Ich war komplett entnervt und habe | |
über ein Jahr lang nach weiterführenden Wegen gesucht. Aber irgendwann ging | |
es nicht mehr. | |
Und dann haben Sie angefangen, als Lehrerin zu arbeiten? | |
Ich hatte damals bereits als Lehrerin gearbeitet und konzentrierte mich | |
lieber auf mein Referendariat an einer Stadtteilschule. | |
Mussten Sie schon mal eine Schulhofprügelei unterbinden? | |
Einmal. So ein kleiner, süßer Bubu prügelte plötzlich herum. Ich hielt ihn | |
fest und übergab ihn den Sozialpädagogen. | |
Wussten Ihre Schüler*innen, dass eine Box-Europameisterin vor ihnen an der | |
Tafel steht? | |
Die meisten haben das irgendwann durch Kollegen mitbekommen, aber das war | |
ganz entspannt. | |
Und wussten die auch, dass ihre Lehrerin schon für das Penthouse gemodelt | |
hat? | |
Eine Schülerin hatte mich mal darauf angesprochen, ihr Vater hätte ihr das | |
erzählt. Ich meinte dann im Scherz: „Nee, das ist meine | |
Zwillingsschwester“, und zwinkerte ihr zu. | |
Und wann kam der Moment, in dem Sie beschlossen hatten, in den Ring | |
zurückzukehren? | |
Das Boxen hat mich nicht in Ruhe gelassen, ich habe Alpträume davon gehabt. | |
Wenn es eine tiefsitzende Leidenschaft ist, wie die erste große Liebe, dann | |
lässt es einen nicht los. Es ging nicht mehr. Da habe ich beschlossen: Ich | |
mache das jetzt, ich kämpfe weiter. Ich habe mich vorher gefragt, was mich | |
ausmacht. Neben der Familie war das Boxen ganz oben auf der Liste. | |
Sie sind mit 13 Jahren aus Togo zu Ihrer Oma nach Hamburg gekommen. Wie | |
haben Sie diese Zeit in Erinnerung? | |
Als Kind habe ich das nicht so wahrgenommen, aber das war ein großer | |
Schnitt in meinem Leben. Es war schon ein paar Jahre vorher klar, dass ich | |
vielleicht eines Tages zu meiner Oma ziehe. Sie lebte schon vor meiner | |
Geburt hier. Das ist vielleicht in westlichen Ländern nicht mehr so üblich, | |
aber in anderen Teilen der Welt ist es normal, dass die Kinder mal bei der | |
Tante oder bei der Oma leben. Es gibt dafür einen ganz passenden Spruch: | |
„Wenn dein Kind einmal auf der Welt ist, ist es nicht mehr allein dein | |
Kind.“ Das war aber gar nicht so einfach. Drei Jahre lang hatten mein Opa | |
und meine Oma dafür gekämpft, dass ich überhaupt hier hinkommen kann. Die | |
wollten mich adoptieren. Das war aber mit den Behörden nicht so leicht. | |
Irgendwann hat es dann geklappt. | |
Und wie war das für Sie, in Hamburg anzukommen? | |
Ich habe mich umgeschaut, wie sauber das hier ist. Und unfassbar kalt – es | |
war Winter. Aber ich konnte mich gut anpassen, war offen. Ob die anderen | |
anders aussehen oder eine andere Hautfarbe haben – das war mir nicht | |
wichtig. | |
Aber war das anderen wichtig, sprich: Haben Sie Rassismuserfahrungen machen | |
müssen? | |
In der Schule überhaupt nicht – eher auf dem Schulweg, wenn im Bus komische | |
Blicke oder Sprüche fielen. Das erste Mal, als ich diese Art der | |
Ausgrenzung erlebt hatte, war ich sehr schockiert. Ich kam nach Hause und | |
ging direkt auf mein Zimmer. Mein Opa merkte, dass mit mir etwas nicht | |
stimmte, hat mich in den Arm genommen und ich habe erst einmal total | |
geheult. Später habe ich sie unglaublicherweise im beruflichen, also im | |
schulischen Rahmen, wieder erlebt. Seitdem sage ich mir immer: Scheiß | |
drauf! Ich versuche immer, das gar nicht an mich ranzulassen. Ich bin gerne | |
hier, das ist mein Zuhause, ich gehe nirgendwo hin. | |
Im Zweifel könnten Sie als Boxerin die Leute ja verprügeln. | |
Könnte ich, ja. Aber in der Regel neigt doch eher der „Normalo“ zu | |
Aggressivität als der Kampfsportler. Aus der Wut heraus zu reagieren, ist | |
nicht gut. Kontrollverlust mag ich nicht. Ich gehe dann lieber weg, bevor | |
ich sauer werde. | |
Und wie sieht es mit Rassismus in der Boxwelt aus? | |
Es gibt da manchmal unterschwellig zu hören: Als „Afrikaner“ müsste ich ja | |
besser boxen müssen. Genauso, wie oft gedacht wird, „Schwarze“ seien alle | |
Entertainer oder zumindest begnadete Tänzer. Es liege im Blut. Wie bitte? | |
Auch das ist Rassismus. Es ist schade, wenn man auf bestimmte Attribute | |
reduziert wird und deswegen falsch- oder eben überschätzt wird. Ich | |
wünschte mir doch auch, entsprechend gut beim Boxen aufgebaut zu werden. | |
Sie haben auch erst mit 22 Jahren mit dem Boxen angefangen. | |
Ich habe immer gern diverse Interessen gehabt und verfolgt. Ich sehe darin | |
keinen Konflikt. Das wird oft leider als Defizit statt als Trumpf | |
angesehen, wenn ich unkonventionell boxe. Das hat leider etwas sehr | |
Deutsches. Aber ich finde im Leben wie im Boxen so wichtig, breitgefächert | |
zu sein. Ich habe auch lange im Gospelchor und in der Band gesungen, auch | |
das war eine schöne Herausforderung und bot mir Ausgleich. | |
29 Nov 2020 | |
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André Zuschlag | |
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