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# taz.de -- Geschichte des Frauenboxens: Gut getroffen
> Im Mai 1995 kippte in Deutschland das Verbot des Amateurboxens für
> Frauen. Ein Kampfabend im November 1994 hatte alles auf den Weg gebracht.
Bild: Im richtigen Moment zugeschlagen: Ulrike Heitmüller im Training, Oktober…
## 1. Runde: Erste Schläge werden ausgeteilt
Ulrike Heitmüller kam Anfang 1994 offensiv aus ihrer Ecke. Sie ging in eine
Trash-Talkshow des Deutschen SportFernsehens, trainierte regelmäßig beim SV
Tübingen 03 in der Boxabteilung, gab Interviews, ließ sich bereitwillig
porträtieren, und sie stellte einen offiziellen Antrag beim Deutschen
Amateur-Boxverband, „dass auch Frauen öffentlich im Ring an offiziellen
Wettkämpfen des DABV unter den jetzt gültigen Wettkampfbedingungen
teilnehmen dürfen“.
Heitmüller war damals 27 Jahre alt, und besonders, dass sie evangelische
Religion studierte, bescherte ihr Aufmerksamkeit. „Das hat mir geholfen“,
sagt Heitmüller heute. „Theologiestudium bedeutete, dass ich nicht so ein
Brutalo-Image habe.“ Und es half, die Gegner des Frauenboxens ein wenig
lächerlicher erscheinen zu lassen. „Als Theologin wissen Sie sicher besser
als ich“, warf sich ein Funktionär damals in Pose, „dass sich unser
Herrgott etwas dabei gedacht hat, als er verschiedene Geschlechter schuf.“
Heitmüllers Initiative passte in die Zeit. In den USA hatte im Mai 1993 die
erst 16-jährige Dallas Malloy gerichtlich ihr Recht auf Boxen durchgesetzt
und im Oktober 1993 den ersten Kampf gewonnen. Im November 1994
legalisierte der Weltverband AIBA international das Frauenboxen der
Amateure.
„Ich habe über 200 Interviews gegeben, über 200 Briefe geschrieben“
berichtet Heitmüller, „eine richtige Leserbriefaktion hatte ich gestartet.“
Auch an die taz sandte sie im Juni 1994 einen [1][Leserbrief], in dem ihr
Postfach in Tübingen angegeben war, Stichwort „Frauenboxen“. Sie bekam
etliche Antworten, kam mit vielen boxinteressierten Frauen in Kontakt.
Heitmüller durfte ein Referat bei der Tagung des DABV-Hauptausschusses im
Mai 1994 halten, wo sie begründete, dass ihr Antrag „das Boxen auch für die
Männer in den Boxvereinen attraktiver macht“. Es gab Beifall, der
Verbandspräsident gratulierte ihr sogar mit einer Karte zum Geburtstag,
aber an einen Beschluss trauten sich die Funktionäre nicht heran: Erst der
Verbandstag im Mai 1995 sollte entscheiden.
## 2. Runde: Der Kampf geht in die heiße Phase
Heitmüller setzte nach. Als sie im Herbst 1994 die Anfrage bekam, ob sie
nicht beim „1. Hamburger Frauensporttag“ einen Workshop leiten wolle,
fragte sie, warum es nicht gleich einen Boxkampf gebe. Eingeladen hatten
der AStA und der Verein zur Förderung feministischer Sport- und
Bewegungskultur. „Das passte gut“, sagt Heitmüller. Gegen Marion Einsiedel
wollte sie in den Ring, eine Fitnesstrainerin aus Hamburg, die sich an
Heitmüllers Postfach gewandt hatte.
Einsiedel, damals 28, hatte schon eine Weile geboxt. Ihr damaliger Freund
war Trainer und hatte sie einmal eingeladen. „Das waren teils auch
öffentliche Sparrings“, erinnert sich Einsiedel heute an ihre ersten
Versuche im Ring. „Da habe ich halt immer gegen die Mädels geboxt, die auch
gerne boxten.“ Einmal, erinnert sie sich, stand sie sogar im Rahmen eines
Bundesligakampftags für ein öffentliches Sparring im Ring.
Ihr Trainer Frank Rieth und dessen Kollege Christian Görisch förderten
schon früh Frauen und Mädchen aus Hamburg, die gerne boxen wollten. „Frank
hat ja danach auch Susianna Kentikian trainiert, die spätere
Profiweltmeisterin“, erinnert sich Einsiedel an die Erfolge, die sich
einstellten, als das Frauenboxen schon etwas etablierter war.
Aber an diesem 19. November 1994 war gar nichts etabliert. Rieth stand in
Einsiedels, Görisch in Heitmüllers Ecke, es ging über drei Runden à drei
Minuten. „Es waren Fernsehteams da, viele Zuschauerinnen sind gekommen, ich
war sehr aufgeregt“, erinnert sich Heitmüller. Einsiedel ging es ähnlich:
„Das Medieninteresse habe ich an diesem Abend gar nicht mitbekommen, man
ist da nicht so richtig bei sich. Ich laufe durch einen Film und wundere
mich: Was machst du da?“
Der Kampf selbst war „nicht schlecht, sportlich“, sagt Einsiedel. Das
Hamburger Abendblatt schrieb: „Der Gong ertönt, durchbricht die Spannung.
Zaghaft gehen die Frauen aufeinander zu, ducken sich hinter ihre Fäuste.“
Nach einem Treffer Heitmüllers „tönt ein anerkennendes Pfeifen aus dem
Publikum. Die Hemmungen fallen.“
„Wir haben gezeigt, dass wir boxen konnten, dass wir eine Gerade abfeuern
können, Haken schlagen, decken“, sagt Einsiedel. Aber, lacht sie, „sehr
ungerecht“ war der Kampf doch wohl auch. „Ulrike war ja schwerer und hatte
eine größere Reichweite. Darüber möchte ich mich jetzt mal in aller Form
beschweren!“ Eine Punktwertung gab es nicht; ganz im Sinne der historischen
Bedeutung wurde im Anschluss ins Mikrofon gerufen: „Sieger nach Punkten –
das Frauenboxen.“
Beide Frauen blieben dem Boxen erhalten. „Ich habe noch etwa zwölf Kämpfe
bestritten“, erinnert sich Einsiedel. Sogar Hamburger Meisterin wurde sie,
und gegen die damalige Schweizer Meisterin lieferte sie sich einen harten
Kampf. „Ich hatte eigentlich eine gute Schlaghand, da ist die mir immer
reingelaufen, aber die hat das einfach abgeschüttelt – unglaubliche
Nehmerqualitäten“, erinnert sich Einsiedel. Noch bis vor etwa zehn Jahren
war sie als Boxtrainerin im Hamburger Sport unterwegs.
Ulrike Heitmüller war weiterhin gefragt. „Mir wurde damals von Roland Eitel
sehr geholfen, dem Berater von Jürgen Klinsmann“, erzählt sie. „Er
vermittelte mir, ohne dass er selbst Geld wollte, auch einen
Sponsoringvertrag mit Reusch.“ Das Geld von der Sportartikelfirma konnte
sie gut gebrauchen. „Ich hatte ja nur Bafög, und die Briefe und alles, das
kostete ja.“
Im Mai 1995 tagte der DABV. 337 Ja- und 269 Nein-Stimmen machten die Sache
knapp, aber letztlich stand der Beschluss: Frauen durften endlich boxen.
„Mitentscheidend für die ‚Reform von Duisburg‘“, teilte das Fachblatt
Boxsport damals mit, war dass die Verbandsärzte „keine gravierenden
Bedenken mehr haben“.
Seriöse Bedenken hatte es ohnehin nie gegeben. „Ich hatte das damals schon
nicht ernst genommen“, sagt Marion Einsiedel, und Ulrike Heitmüller
erinnert sich, dass gleich zu Beginn der Debatte eine Verbandsärztin gesagt
hatte, dass alle Gerüchte etwa über Brustkrebs durch Schläge auf den Busen
Unsinn waren. „Solche Behauptungen kamen dann zwar immer wieder, aber nur
von älteren Männern.“ Und die hatten die Abstimmung verloren.
## 3. Runde. Der Ring ist frei
1995 waren bereits über 8.000 Frauen im DABV Mitglied, wenn auch nur eine
Handvoll von ihnen boxte. Eine Statistik aus dem Jahr 1997 zeigt, dass es
114 lizenzierte Amateurboxerinnen gab: 49 unter 18 Jahre alt, 65 erwachsen.
Doch es wurden immer mehr. „Es sind erstaunlich viele Frauen mit
akademischem Hintergrund, die boxen“, berichtet Heitmüller. Das helfe der
skandalumwitterten Sportart, ein gutes Renommee zu behalten.
„Frauenboxen ist tatsächlich sehr intellektuell.“ Gleich vier Namen von
Boxerinnen fallen ihr ein, die promoviert sind, darunter die frühere
Profiweltmeisterin [2][Heidi Hartmann], die über ihren Sport eine
soziologische Dissertation vorgelegt hat. Oder die aktuelle deutsche
Olympiahoffnung Nadine Apetz, die an einer medizinischen Doktorarbeit über
Gehirnerkrankungen sitzt. „Ich will damit aber nicht sagen, dass es ein
Studium braucht, um eine gute Boxerin zu werden“, schränkt Heitmüller ihren
Gedanken gleich ein und erinnert an Regina Halmich, gelernte
Anwaltsgehilfin. Auch Einsiedel lobt: „Regina zum Beispiel hat ja wirklich
alles richtig gemacht. Sie hat sehr, sehr viel geleistet.“
1994, also noch vor der Legalisierung für Amateurinnen, wurde die damals
18-jährige Karlsruherin [3][Regina Halmich] die erste deutsche Profiboxerin
mit offizieller Lizenz. Sie trat für den Hamburger Boxstall Universum des
Unternehmers Klaus-Peter Kohl an. Genau der wurde auch auf Ulrike
Heitmüller aufmerksam. „Ein Mitarbeiter von Kohl machte mir ein
Profiangebot, und ich habe auch darüber nachgedacht“, erinnert sie sich.
„Aber ich wollte nicht. Ich war ja schon fast 30, also zu alt. Außerdem
wollte ich das Frauenboxen als Breitensport verstehen. Da hätte ich mich
unglaubwürdig gemacht.“ Ein Profivertrag war auch für Marion Einsiedel
keine Option. „Nein, dafür war mir meine Gesundheit immer zu wichtig. Bei
den Profis sind es ja mehr Runden, die Handschuhe sind leichter, nein, das
wäre nichts für mich gewesen.“
Sportrechtlich war der Kampf im November 1994 noch ein Schaukampf gewesen –
ohne Lizenz und ohne Versicherungsschutz durch den Verband. Offiziell wurde
in Deutschland erst nach dem Mai 1995 geboxt. Der entscheidende Kampf, der
das Ende des Verbots bewirkte, fand im November 1994 statt. „In den
Nachschlagewerken des Sports werden die Theologiestudentin aus Tübingen und
die Fitnesstrainerin aus Hamburg als Personen der Zeitgeschichte
festgehalten werden“, schrieb die Frankfurter Allgemeine damals. „Da kriege
ich ja einen roten Kopf“, sagt Marion Einsiedel heute. „Ich sehe mich doch
ganz anders. Als eine, die gerne geboxt hat.“
17 May 2020
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## AUTOREN
Martin Krauss
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