# taz.de -- Boxprofi über Olympiavorbereitung: „Man ist schnell austauschbar… | |
> Boxerin Christina Hammer über ihren olympiabedingten Wechsel von den | |
> Profis zu den Amateuren und die damit verbundenen Schwierigkeiten. | |
Bild: „Ich bin stolz als Frau“: Christina Hammer möchte nach Tokio zu den … | |
taz: Frau Hammer, Sie sind Profiweltmeisterin und wollen Olympiagold. In | |
dieser Reihenfolge hat es das noch nie gegeben. Wollen Sie Sportgeschichte | |
schreiben? | |
Christina Hammer: Sportgeschichte ist ein großer Begriff. Aber Gold ist das | |
oberste Ziel bei meiner ersten Teilnahme an den Olympischen Spielen. Wenn | |
das dann [1][die Sportgeschichte der Zukunft] wird, bin ich stolz als Frau | |
und Boxerin, diese Geschichte mitgeschrieben zu haben. | |
Wie sehr müssen Sie sich denn dafür boxerisch umstellen? | |
Profis haben einfach mehr Rundenzeiten. Die Kämpfe gehen oft über zehn bis | |
zwölf Runden à zwei Minuten. Bei den Amateuren habe ich drei Runden à drei | |
Minuten, da muss ich direkt durchstarten. Genauer heißt das, ich muss mit | |
einer viel höheren Schlagfrequenz und somit auch Intensität boxen. | |
Auf K. o. gehen? | |
Nein, gerade diese Taktik nicht. Das Warten auf den entscheidenden Schlag | |
kann ich mir da nicht erlauben, da die Zeit zum Taktieren durch weniger | |
Runden fehlen wird. Da heißt es dann eher punkten und gut verteidigen. | |
Weil Sie bis zu diesem Punch nach Punkten zurückliegen würden? | |
Es kann sein, dass man sich als Boxerin dafür entscheidet, auf einen K. o. | |
zu setzen, gerade wenn man nicht viel punktet und hinten liegt. Häufig ist | |
der K. o. dann auch die letzte Möglichkeit, das Blatt zu wenden. Das trifft | |
aber nicht auf meinen Boxstil zu. Mein Ziel ist es, von Runde eins an immer | |
in Führung zu gehen, aber wenn ich Fehler meiner Gegnerin nutzen kann, dann | |
will ich auch einen K. o. Ist doch klar! | |
Welche Rolle hat Corona bei Ihrer Entscheidung gespielt, sich auf Olympia | |
zu konzentrieren? | |
Corona ist allgemein für den Sport der absolute Killer. Im Profi- und | |
Berufsboxen gibt es immer weniger Veranstaltungen und somit auch kaum eine | |
Möglichkeit, die eigene Leistung zu zeigen und sich auch finanziell | |
abzusichern. Ich war total froh, als ich das Angebot vom DBV erstmals | |
erhielt und mir somit die Chance gegeben wurde, mich für die Olympischen | |
Spiele zu qualifizieren. | |
Wie sicher sind Sie, dass die Spiele im Sommer in Tokio stattfinden? | |
Man darf sich nicht andauernd diese Frage stellen, ob etwas stattfindet | |
oder nicht. Das verunsichert nur und bringt nichts. Sagen wir es so: Ich | |
gehe aktuell davon aus, dass es kein erneutes Verschieben oder sogar eine | |
Absage der größten Sportspiele der Welt geben wird. Ich bereite mich weiter | |
vor. Punkt! | |
Nehmen wir an, alles klappt: Sie qualifizieren sich für Olympia, Sie boxen | |
sich bis ins Finale, Sie gewinnen Gold – wie geht es dann weiter? | |
Dann will ich [2][zurück ins Profigeschäft]. Ich hoffe, dass ich dann auch | |
durch diesen enormen internationalen Erfolg mehr Aufsehen für den Boxsport | |
in Deutschland und mich als Profiboxerin gewinnen kann. Der Boxsport | |
braucht ein anderes Gesicht und ich möchte zeigen, dass es nicht nur Frauen | |
sind, die sich mit Boxen fit halten, sondern dass es Boxerinnen gibt, die | |
professionell und exzellent kämpfen können – genauso wie die männlichen | |
Sportkollegen. | |
Ich habe von Ihnen den Satz gelesen: „Im Profigeschäft sind nicht nur | |
seriöse Partner unterwegs.“ Welche Erfahrungen haben Sie gemacht, welche | |
wollen Sie künftig vermeiden? | |
Es ist schade, dass das Boxen immer noch bei vielen Menschen ein negatives | |
Image bekommt. Natürlich laufen bei den Profis hinter den Kulissen viele | |
komische Gestalten rum. Gerade jetzt, wo ich neue sportliche Perspektiven | |
habe, bekomme ich wieder viele Anrufe von Menschen, die nach meiner | |
Niederlage in den USA nichts mehr von mir wissen wollten. Man ist in diesem | |
Geschäft sehr schnell austauschbar und bekommt das auch so zu spüren. Sehr | |
schade für den Sport und die aktiven Akteure. | |
Noch ein Zitat von Ihnen: „Wenn ich gewinne, bin ich Deutsche. Wenn ich | |
verliere, Kasachin.“ Begegnet Ihnen das immer noch? | |
Das habe ich gesagt? Nein, so spiegelte mich die Presse in einigen | |
Berichten wider. Zumindest kamen die Messages bei mir an. So krass würde | |
ich das selber nicht sagen. Ich bin Deutsche und auch in Deutschland | |
aufgewachsen, zur Schule gegangen und habe hier meine ersten großen | |
Boxerfolge feiern können. Ich fühle mich in Deutschland verwurzelt, aber | |
Fakt ist auch, dass ich in Kasachstan geboren bin. | |
Trotzdem liest man manchmal: „die Kasachin“. | |
Ja, das wundert und ärgert mich. Ich fände es gut, Christina Hammer genannt | |
zu werden. Denn das bin ich! | |
Auf Ihrem Weg nach Tokio haben Sie auch viel mit dem Deutschen Boxverband | |
zu tun. Wie ist man da der „Lady Hammer“ von den Profis begegnet? | |
Man hat mich sehr nett und freundlich aufgenommen. Tatsächlich war ich es | |
aber nicht gewohnt, mich in einem System wie dem Verband einzuordnen. Als | |
Profi bin ich selbstständig, habe mein eigenes Team zusammengestellt, | |
entscheide alles selbst für mich. Das ist bei den Amateuren etwas anders. | |
Am Anfang hatte ich beim DBV auch mal gesagt: Das müssen wir so und so | |
machen – ich konnte meine Gewohnheiten nicht ganz ablegen. | |
Sie müssen jetzt auch mit den Bundestrainern zusammenarbeiten? | |
Na klar, das gehört dazu. In Köln hatten wir kürzlich einen Lehrgang. Dort | |
konnte ich eine für mich ganz neue Trainings- und Sportwelt entdecken. | |
Solche Erfahrungen sind sehr interessant, und ich kann für mich einige | |
Dinge mitnehmen. Zum Beispiel habe ich Sparringsmöglichkeiten mit | |
ehemaligen Olympiateilnehmerinnen aus Brasilien nutzen können und wurde in | |
dieser Zeit sehr gut vom Chefbundestrainer betreut. | |
Um zu Olympia zu kommen, müssen Sie sich ja noch gegen die Amateurboxerin | |
Sarah Scheurich durchsetzen. Gibt es Ressentiments, dass plötzlich die | |
Profiweltmeisterin den Amateuren Olympiatickets wegnimmt? | |
Ganz ehrlich: Ein bisschen war das der Fall. Ich kann das aber auch aus | |
sportlicher Sicht nachvollziehen. Ich wäre als Amateurin auch erst mal | |
irritiert gewesen, wenn da eine Profiboxerin ankommt und eine | |
Olympiaqualifikation boxen möchte. Aber das ist halt möglich, und ich freue | |
mich darüber! Mit Sarah gab es anfangs eine normale angespanntere | |
Konkurrenzsituation, aber wir haben miteinander gesprochen. Ich sagte ihr, | |
dass wir beide Sportlerinnen sind und alles im Ring austragen – und abseits | |
der Ringseile auch unkompliziert miteinander reden und umgehen können. Nun | |
herrscht eine gute sportliche Konkurrenz zwischen uns. So sollte es auch | |
sein im Sport. | |
9 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://olympiaboxen.wordpress.com/frauenboxen/ | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=sUZrvSGziFw | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
## TAGS | |
Olympische Spiele | |
Emanzipation | |
Boxen | |
Boxen | |
Boxen | |
Boxen | |
Boxen | |
Schwerpunkt Sport trotz Corona | |
Boxen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kampf um die Zukunft des Frauenboxens: Schwerwiegende Leichtgewichte | |
Im New Yorker Madison Square Garden kämpfen Katie Taylor aus Irland und | |
Amanda Serrano aus Puerto Rico um den WM-Titel im Leichtgewicht. | |
Mögliche Ausgrenzung einer Boxerin: Schlag auf Schlag | |
Sarah Scheurich soll nicht mehr für Deutschland boxen. Sie sagt: weil sie | |
kritisch ist. Der Verband entgegnet, Grund sei die stagnierende Leistung. | |
Zum Tod des Boxers Marvin Hagler: Einer der wirklich Großen | |
Der US-amerikanische Mittelgewichtler Marvin Hagler war von 1980 bis 1987 | |
unangefochtener Weltmeister. Er entwickelte einen unvergesslichen Boxstil. | |
Regina Halmich über ihre Boxkarriere: „Ich wusste: Das wird ein Volltreffer�… | |
Vor 12 Jahren boxte Regina Halmich ihren Abschiedskampf. Im Interview | |
spricht die Weltmeisterin über Erfolg, Stefan Raabs Nase und männliche | |
Arroganz. | |
Geschichte des Frauenboxens: Gut getroffen | |
Im Mai 1995 kippte in Deutschland das Verbot des Amateurboxens für Frauen. | |
Ein Kampfabend im November 1994 hatte alles auf den Weg gebracht. | |
Sexuelle Übergriffe im Sport: Boxerinnen schlagen zurück | |
Unter #CoachDontTouchMe formiert sich eine Kampagne gegen sexuelle Gewalt | |
im Frauenboxen. Anlass ist die Ignoranz des Verbands in einem Fall. |