# taz.de -- Soziologin über Rassismus: „Ich will Stereotype abbauen“ | |
> Seit Corona werden als asiatisch eingeordnete Menschen angefeindet. Die | |
> Soziologin Ruirui Zhou über ihre Familie in Wuhan und ihre Idee von | |
> Herkunft. | |
Bild: Kommt aus Wuhan, lebt in Hamburg und versteht sich als Weltbürgerin: Rui… | |
taz: Frau Zhou, hat die Corona-Pandemie den Blick auf die chinesische | |
Community verengt? | |
Ruirui Zhou: Ja und nein. Es gibt ja gar keinen allgemeinen Blick auf die | |
chinesische Community. Doch seit vermutet wurde, dass sich die Epidemie | |
auch in Europa verbreiten könnte, kamen erste öffentliche Äußerungen auf, | |
wie die Bezeichnung von Sars-CoV-2 als „China Virus“. | |
Menschen, die asiatisch gelesen werden, wehren sich unter anderem unter | |
#IchbinkeinVirus gegen diese Art von Rassismus. Sind Sie auch schon derart | |
abgewertet worden? | |
Ich persönlich nicht. Ich muss aber sagen, dass es mit meinem Lebens- und | |
Arbeitskreis zu tun hat. Diese Umgebung von gut ausgebildeten Leuten – und | |
dazu wohl noch ein bisschen Glück – hat mir Anfeindung erspart. Aus meinen | |
Bekanntenkreis habe ich jedoch gehört, dass Kindern mit asiatischem | |
Aussehen „Coronavirus“ ins Gesicht geschrien wurde oder dass Menschen mit | |
asiatischem Aussehen von Kliniken bei Terminvergaben ohne Begründung | |
abgelehnt worden sind. Ich habe bloß ein paar unangenehme Erfahrungen | |
gemacht. | |
Welche? | |
Beispielsweise werde ich im Flur gefragt, wann genau ich „die Chinesen“ | |
treffe und mit wem ich Silvester gefeiert habe. Ich kann aber | |
nachvollziehen, dass einige Menschen sich einfach Sorgen machen. | |
Wie gehen Sie damit um? | |
Ich erkläre ruhig, dass ich die ganze Zeit keinen direkten Kontakt mit | |
Menschen aus der betroffenen Stadt Wuhan hatte. Und ich erkläre auch, dass | |
die Chinesen, die ich kenne, verantwortungsvolle Menschen sind. Die | |
Entscheidung, Wuhan ab dem Vorabend des chinesischen Neujahrs unter | |
Quarantäne zu stellen, war eine notwendige Maßnahme, die von den Menschen | |
große Opfer verlangte, aber sie hielten sich daran. | |
Sie sind in Wuhan geboren. Sorgen Sie sich um Ihre Familie und | |
Freund*innen? | |
Ja. Ich habe mir große Sorge um meine Angehörigen und meine Freund*innen | |
gemacht. Meine Mutter ist Professorin für englischsprachige Literatur- und | |
Sprachwissenschaft an der Wuhan-Universität. Mein Vater war medizinischer | |
Experte im Gesundheitswesen und hat im Jahr 2003 die Bekämpfung gegen SARS | |
in Wuhan geleitet. Die Nachrichten aus der Stadt haben mich jetzt sehr | |
berührt und ich habe ein paar Spendenaktionen organisiert. Dabei wird man | |
mit vielen Nöten konfrontiert. Da muss man teilweise seine Emotionen | |
ausschalten, um weitermachen zu können. | |
Sie sind seit 2009 in Hamburg. Waren die Ressentiments, denen Sie hier als | |
Chinesin begegnet sind, vor der Pandemie andere als jetzt? | |
Die Hetze gegen Chines*innen war auch vor der Pandemie nicht so negativ | |
behaftet, wie sie sich gegen andere ethnische Minderheiten äußert. | |
Nahmen die Anfeindungen mit dem Verlauf der Pandemie ab und zu? | |
Ich habe drei Phasen erlebt. Anfangs war in der Presse schnell die Rede vom | |
„China-Virus“ oder vom „Virus Made in China“, das hat mit zu starken | |
Anfeindungen geführt. Nach dem Aufruf durch Bernhard Franke, dem Leiter der | |
Antidiskriminierungsstelle des Bundes, im Februar ging das aber zurück. | |
Franke hatte berichtet, dass sich verstärkt Menschen asiatischer Herkunft | |
an die Antidiskriminierungsstelle gewandt hatten und gesagt, dass Angst vor | |
Ansteckung zwar verständlich sei, aber niemals rassistische Diskriminierung | |
rechtfertige. | |
Genau, das hat auch kurz geholfen. Aber seit der Verschärfung der Situation | |
in Deutschland im März gibt es wieder einen Anstieg. | |
Vor China und den Chines*innen als die „Gelbe Gefahr“ wurde ja schon im 18. | |
Jahrhundert“ gewarnt. Schwingen in den zurzeit grassierenden Anfeindungen | |
aus Ihrer Sicht alte Vorurteile wieder neu mit? | |
Stereotype, egal ob positiv oder negativ, werden in sozialen Kontexten | |
erfunden und konstruiert. Als ein Resultat aus der Absprache von | |
institutionellen und kulturellen Machtstrukturen werden sie weitergegeben, | |
wobei Veränderungen nicht auszuschließen sind. Meines Erachtens beruhen die | |
Diskriminierungen von Chines*innen heute auf Stigmatisierung aus | |
rassistischen Gründen. | |
Wann haben Sie zuletzt gehört, dass Sie aber gut Deutsch sprechen oder sind | |
gefragt worden, wo Sie denn herkommen? | |
Dass habe ich hier wenig gehört. Nur ab und zu werde ich auf der Straße aus | |
Neugier angesprochen. Lange wollte ich die Frage nach meiner Herkunft nicht | |
so gern beantworten, da ich mich als eine Weltbürgerin verstehe und ich | |
denke nicht, dass man durch seine Herkunft zu definieren ist. Jetzt bin ich | |
entspannter, weil ich für mich eingesehen habe, das die Frage hier in | |
Deutschland auch aus netter Neugier kommt. | |
Fühlen Sie sich mit China stark verbunden? | |
Dass China und Chines*innen Kulturbegriffe sind, ist ein | |
Kerncharakteristikum der chinesischen Kultur. Meine Sprache ist mein | |
Heimatland, so sagte es sinngemäß auch der portugiesische Dichter Fernando | |
Pessoa und so halte ich es auch. Und ich schließe mich an den von Hegel und | |
Fichte ausgehenden Begriff des „Kulturstaats“ an, in dem jeder Einzelne | |
auch durch die Kultur befähigt werden soll. | |
Welche Intention hat denn der Verein „Chinesische Gemeinde in Deutschland“, | |
den Sie gerade gemeinsam mit anderen in Hamburg gründen? | |
Der Vorstand unseres Vereins setzt sich aus Manager*innen, Akademiker*innen | |
und Jurist*innen zusammen. Unser Ziel ist die Integration der Chines*innen | |
in Deutschland. Wir sehen unsere Aufgabe vor allem in der Aufklärung. Dabei | |
ist Antidiskriminierung ein wichtiger Aufgabenbereich, nicht nur weil sie | |
im Interesse der in Deutschland lebenden Menschen mit chinesischem | |
Hintergrund liegt, sondern auch, weil sie einer der wichtigsten Grundwerte | |
der europäischen Gesellschaft ist. Deswegen wollen wir Menschen, die ihnen | |
zugeschriebenen Rollen und ungeschriebenen Regeln erklären. | |
Wen wollen Sie damit ansprechen? | |
Wir denken, dass viele Menschen die Gesellschaft nicht kennen und sich in | |
sozial, wirtschaftlich oder kulturell unterprivilegierten Ständen befinden. | |
Daraus entstehen Unzufriedenheit und Reibungen. Dass man einen Job hat und | |
Steuern bezahlt, heißt ja nicht, dass man Teil der Gemeinschaft ist. | |
Parallelgesellschaften sind sowohl für die betroffenen Gruppen als auch für | |
die ganze Gesellschaft nicht gut. | |
Sie arbeiten auch als Kolumnistin unter anderem für die New Beijing Post. | |
Welche Themen greifen Sie da auf? | |
Ich schreibe Artikel für mehrere Zeitschriften in und außerhalb Chinas, | |
etwa für Phönix Weekly in Hongkong oder United Morning Paper in Singapur. | |
Mein Anliegen ist es, dem chinesischen Publikum ein unverfälschtes Bild vom | |
gegenwärtigen Deutschland zu zeigen. Immer noch sind die Vorstellungen über | |
Deutschland unter Chines*innen von den Vorstellungen über die USA nicht zu | |
unterscheiden. Da will ich auch Stereotype abbauen. | |
Ähnlich dürfte es sich mit den Vorstellungen der Deutschen von China | |
verhalten, da gibt es ja auch Aufklärungsbedarf. In China werden zum | |
Beispiel immer noch viele Mittel zur Veränderung der Hautfarbe beworben. Je | |
weißer, um so schöner? Was steckt dahinter? | |
„Je heller, desto schöner“ ist eine Ästhetik, die eine lange Geschichte b… | |
hin zum chinesischen Kaiserreich hat. Dafür sind eine Reihe von | |
Beschreibungen in der altchinesischen Hochliteratur verantwortlich, die die | |
helle und geschmeidige Haut einer schönen Frau loben, also beispielsweise | |
„geschmeidig wie Lammfett, hell wie Jade“. Daher ist diese Ästhetik | |
ursprünglich eher von einer klassenbewussten als von einer rassistischen | |
Ausdifferenzierung geprägt. | |
Sind in China Schönheitsoperationen für ein eher europäisches Aussehen | |
weiter en vogue? | |
Viele lassen es sich machen. Aber es ist nicht en vogue, wird also nicht | |
von allen begrüßt. Langsam ist eine Pluralisierung der Ästhetik zu | |
beobachten. | |
Bei deutsch-chinesischen Paaren, die in Deutschland leben, kann man aber | |
von Oma und Opa mit chinesischem Hintergrund schon mal hören, dass das | |
Enkelkind ja erfreulicherweise eher weiß sei. | |
Gelegentlich. | |
Ist das Selbsthass oder Selbstschutz? | |
Ich vermute, in solchen Fällen handelt es eher um eine Strategie aus | |
pragmatischen Gründen. | |
Wie gehen Sie denn selbst mit den vermeintlich netten Zuschreibungen um, | |
wie: Chinesen lächeln immer und sind arbeitsam? | |
Das sind Klischees, die zu mir nicht passen. Ich bin keine typische | |
Chinesin. Ich bin keine, die immer lächelt und ich gehe stark davon aus, | |
dass ich nicht fleißig bin. Viele meiner biodeutschen Kolleg*innen und | |
Freund*innen sagen, dass sie mich nicht wie eine Ausländerin wahrnehmen. | |
Und dass ich immer versuche, Menschen möglichst freundlich zu begegnen, | |
führe ich auf die Erziehung meiner Eltern zurück. Beim Umgang mit den | |
anderen Menschen verhalte ich mich einfach als Mensch. | |
6 Apr 2020 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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