# taz.de -- Rabbis in der Bundeswehr: Militärgeheimnis jüdische Soldaten | |
> Die Bundeswehr wäre gern divers und weltoffen. Dazu verbreitet das | |
> Verteidigungsministerium offenbar falsche Zahlen über jüdische Soldaten. | |
Bild: Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) mit Zentralratsp… | |
BERLIN taz | Das Verteidigungsministerium möchte die Bundeswehr gern als | |
Spiegelbild der Gesellschaft inszenieren. Da stören Skandale um | |
[1][verschwundene Munition und rechtsextreme Verdachtsfälle]. Ein paar | |
Militärrabbiner und eine hohe Zahl jüdischer Soldaten dagegen kommt ihr | |
gelegen. | |
Anfang des kommenden Jahres sollen deshalb die ersten von zehn | |
Militärrabbinern ihren Dienst bei der Bundeswehr antreten. Dafür wird ein | |
Militärrabbinat – eine eigene religiöse Behörde – errichtet, mit fast 50 | |
Dienstposten in einem 1000 qm großen Büro in Berlin. Knapp viereinhalb | |
Millionen Euro soll das Ganze jährlich kosten, 900.000 Euro kommen im | |
ersten Jahr oben drauf. Die Behörde soll sich primär um die religiöse | |
Bedürfnisse von jüdischen Soldaten kümmern: Dazu gehören etwa die | |
Einhaltung der Tora-Gebote und die Gewährleistung der koscheren | |
Verpflegung. Nur: Wie viele Juden gibt es in der Bundeswehr überhaupt, die | |
diesen Aufwand berechtigen würden? | |
Das Verteidigungsministerium behauptet, dass etwa 300 jüdische Soldaten | |
ihren Dienst tun. Damit gäbe es prozentual mehr Juden in der Bundeswehr als | |
in der Gesamtbevölkerung. Selbst wenn diese Zahl stimmen würde, käme somit | |
ein Rabbiner auf 30 jüdische Soldaten. Laut dem Staatsvertrag mit der | |
evangelischen und der katholischen Kirche soll ein christlicher | |
Militärseelsorger für jeweils 1.500 gläubige Soldaten eingesetzt werden. | |
[2][Recherchen der taz haben aber bereits gezeigt], dass die Zahl von 300 | |
jüdischen Soldaten jedoch weit übertrieben sein dürfte – und, dass jüdisc… | |
Soldaten offenbar nicht gefragt wurden, ob sie religiösem Beistand | |
überhaupt wollen. Der Ehrenvorsitzende des Bunds Jüdischer Soldaten, | |
Michael Fürst, sagte der taz, er kenne nur sechs Juden im aktiven | |
Militärdienst. Und religiös seien die meisten nicht. Nun wird deutlich: | |
Auch das Verteidigungsministerium wusste, dass die Zahl 300 viel zu hoch | |
ist – und verbreitete sie trotzdem. | |
## Auf Nachfrage: Schweigen | |
Doch woher kommt diese Zahl? Gegenüber der taz hatte das | |
Verteidigungsministerium eingeräumt, die Zahl sei eine „Hochrechnung“. | |
Grundlage dafür ist eine Studie des Zentrums für Militärgeschichte und | |
Sozialwissenschaft, ein wissenschaftliches Institut, das zur Bundeswehr | |
gehört. Im Jahr 2013 hatte das Institut 7.744 Soldaten im Intranet der | |
Bundeswehr befragt, unter anderem zum religiösen Bekenntnis. | |
Anruf bei einer der Autorinnen der Studie: Gibt es 300 Juden in der | |
Bundeswehr? „Das kann man daraus nicht ableiten“, sagt sie. „Aus der | |
Perspektive der Sozialwissenschaftlerin kann ich sagen: Wir haben keine | |
validen Zahlen“. | |
Die Wissenschaftlerin betont, dass sie bei der Umfrage bewusst nicht nach | |
Konfession gefragt hätten, sondern danach, welcher Glaubensrichtung sich | |
ein Soldat verbunden fühle. Auf dieser Grundlage die Zahl der Juden in der | |
Bundeswehr zu bestimmen, sei nicht möglich. | |
Auf die Bitte, die Studie der taz zu schicken, sagt die Autorin erst zu. | |
Dann antwortet sie nur noch mit einem Verweis auf die Pressestelle. Kurze | |
Zeit später heißt es aus dem Verteidigungsministerium, die Studie sei ein | |
internes Gutachten. Andere Teile der Studie, etwa zum Thema Innere Führung, | |
sind für die Öffentlichkeit in zahlreichen Bibliotheken zugänglich. | |
## 300 jüdische Soldaten? Oder doch eher 50? | |
Ein Teil der Ergebnisse, die das Ministerium nicht öffentlich machen will, | |
liegt der taz nun vor. Die statistische Hochrechnung auf die gesamte | |
Bundeswehr ergab demnach jedoch nicht 300 Soldaten, sondern einen Wert | |
zwischen 51 und 294. Das ist etwas niedriger als die mögliche Zahl von | |
Anhängern heidnisch-germanischer Religionen oder des Buddhismus. | |
Am 5. April 2013 stellten die AutorInnen die Ergebnisse im | |
Verteidigungsministerium vor. Dass die Zahl der Soldaten, die sich dem | |
Judentum verbunden fühlen, genauso gut nur 50 sein könnte, dass gar nicht | |
nach Religiosität oder Zugehörigkeit zu einer Gemeinde gefragt wurde, all | |
das war der Bundeswehr also bekannt – und wurde offenbar ignoriert, um eine | |
deutlich zu hohe Zahl verbreiten zu können. | |
Dabei müsste die Bundeswehr gar nicht auf irgendwelche Studien und | |
zweifelhafte Hochrechnungen zurückgreifen, um die Zahl der jüdischen | |
Soldaten zu erfassen. Anders als muslimische Gemeinden sind jüdische | |
Gemeinden rechtlich den beiden großen Kirchen gleichgestellt. Für sie | |
treibt der Staat in der Regel die Kirchensteuer bzw. Kultussteuer ein. | |
Dadurch müsste der Staat auch wissen, wie viele seiner Soldaten jüdischen | |
Gemeinden angehören. | |
So konnte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion aus | |
diesem Jahr genau sagen, wie viele evangelische (53.451) und wie viele | |
katholische Soldaten (40.889) aktuell im Dienst sind. | |
## Falsche Angaben auch gegenüber Abgeordneten? | |
Auf taz-Anfrage weigert sich das Verteidigungsministerium aber, die Zahl | |
der kultussteuerpflichtigen Juden in der Bundeswehr zu nennen. Es verweist | |
auf das Bundesverwaltungsamt, eine Behörde des Innenministeriums, und an | |
das Bundeszentralamt für Steuern. Beide Behörden antworten der taz, dass | |
diese Daten nicht bei ihnen, sondern nur der Personalverwaltung der | |
Bundeswehr vorliegen. | |
Ein letzter Versuch, diesmal beim Bundesamt für Personalmanagement der | |
Bundeswehr. Dort heißt es zunächst, dass man der taz die Zahl gern zur | |
Verfügung stelle, aufgeschlüsselt nach Geschlecht und Dienstgrad. Ein | |
Offizier ist redselig: Er glaube, es gebe überhaupt keine Juden in der | |
Bundeswehr, oder nur sehr wenige. Einen Tag später heißt es, die Zahlen | |
würden zwar vorliegen, seien aber „nicht valide“ und könnten deshalb nicht | |
herausgegeben werden: „Das ist nicht das richtige Ergebnis“, sagt eine | |
Sprecherin. Nur: Wer entscheidet das? | |
Laut Auskunft der Personalverwaltung existiert in der Datenbank der | |
Bundeswehr neben dem Vermerk zur Kultussteuer noch eine weitere, | |
freiwillige Angabe zur Religionszugehörigkeit. Auch diese will die | |
Sprecherin der taz nicht nennen. | |
Der Verdacht, dass die Abgeordneten des Bundestags falsch über die zahl der | |
jüdischen Soldaten informiert wurden, wiegt schwer: Als das Gesetz zur | |
jüdischen Militärseelsorge im Mai im Bundestag debattiert wurde, hatten | |
Abgeordnete der SPD, CDU, AfD und FDP die Zahl von 300 jüdischen Soldaten | |
wiederholt. Der Gesetzentwurf wurde von allen Fraktionen [3][einstimmig | |
angenommen]. Das passiert äußerst selten. | |
Mehrere Abgeordnete aus dem Verteidigungsausschuss bestätigen der taz, dass | |
die Zahl 300 immer wieder zur Begründung genannt wurde. „Wäre das in der | |
Form bekannt gewesen, dass es möglicherweise kaum mehr jüdische Soldaten | |
gibt als die zehn geplanten Militärrabbiner, hätte das Gesetz keine | |
Mehrheit gefunden,“ sagte ein Mitglied des Verteidigungsausschusses der | |
taz. | |
30 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Hannibals-Schattennetzwerk/!t5549502 | |
[2] /Militaerrabbiner-bei-der-Bundeswehr/!5719845 | |
[3] /Militaerrabbiner-fuer-die-Bundeswehr/!5689165 | |
## AUTOREN | |
Kersten Augustin | |
Yossi Bartal | |
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