# taz.de -- Neue Leitung am Kunsthaus KW in Berlin: Ein Knabe singt von der gro… | |
> Emma Enderby ist die neue Direktorin des Berliner Kunsthauses KW. In | |
> ihrer ersten Ausstellung stellt sie die großen Fragen, teils in drolliger | |
> Form. | |
Bild: Laser-Anime als Operntrilogie: Matt Copson, „Coming of Age“, 2020–2… | |
Der Mythos von der Künstler:innenstadt Berlin entstand womöglich in | |
einer Margarinefabrik. In den neunziger Jahren, in jener schon historischen | |
Nachwendezeit, als fünf Leute – unter anderem der heutige Direktor der | |
Neuen Nationalgalerie, Klaus Biesenbach – in einem solchen baufälligen | |
Ostberliner Fabrikbau eine [1][Institution namens KunstWerke (KW)] | |
gründeten. Kein Museum mit Sammlung, sondern eine Kunsthalle sollte es | |
sein, ausgestellt werden sollten eigens geschaffene Kunstwerke, produziert | |
in den vielen leerstehenden, zu Ateliers umgewandelten Mietskasernen | |
drumherum. KW, das bedeutete Kunst und Stadt. | |
Viele Namen wurden in der Margarinefabrik groß: [2][Monica Bonvicini], | |
Marina Abramović, Carsten Höller. Im Vorstand des Trägervereins für die KW | |
sitzt auch heute noch mit Katharina Grosse eine Berliner Künstlerin, | |
sozusagen als Relikt der Gründungsjahre, wenn auch sie zur Minderheit | |
gehört unter den vielen Unternehmer:innen und Architekt:innen, die | |
die Geschicke des mittlerweile internationalen Kunsthauses bestimmen. | |
Jetzt hat die neue Direktorin der KW, Emma Enderby, ihre erste | |
Ausstellungsreihe eröffnet. Ein Moment, an dem man sich noch mal fragen | |
kann, was da eigentlich noch dran ist an dem Mythos der | |
Künstler:innenstadt Berlin. | |
## Spardiktat sägt an fragilen Konstrukten | |
Er bröckelt offenbar, gibt Enderby im taz-Gespräch zu. Die drastischen | |
Kürzungen im Kulturbereich, auch an den weniger sichtbaren Stellen, etwa | |
bei senatsgeförderten Ateliers, haben an dem fragilen und so erfolgreichen | |
Berliner Konstrukt von High & Low, von Leben, Arbeiten und Kunst gesägt. | |
Nur wenige Tage vor der Eröffnung ihrer Auftaktausstellungen erfuhr | |
Enderby, dass der Senat die Budgetkürzung für die KW um noch ein paar | |
Prozentpunkte mehr anheben wolle. | |
Enderby, Anfang vierzig, hat als Kuratorin in den hoch kompetitiven | |
Kunstmetropolen New York und London gearbeitet, zuletzt war sie in München. | |
Nun, in Berlin, vermittelt sie etwas Post-Jetsetmäßiges, etwas von „Lass | |
uns erst mal hier bleiben“. Vier jüngere Gegenwartskünstler:innen | |
bringt sie jetzt zusammen, alle zwischen 1984 und 1992 geboren, alle leben | |
in Berlin, oder haben zumindest einen Bezug zur Stadt. | |
Inhaltlich steigt Enderby ein mit den ganz großen, fundamentalen Fragen | |
über Sein und Zeit. Dafür wählte sie ein so opulentes Genre wie die Oper. | |
Genauer ist es eine laseranimierte Oper, die der britische Künstler Matt | |
Copson in der Haupthalle der KW inszeniert hat. | |
Nur ein Baby taucht auf Copsons sonst schwarzer Bühne auf. Der Kopf | |
überzeichnet groß, süße Knopfaugen, räsoniert das Kleinkind singend im | |
gläsernen Ton eines tatsächlichen Knabensoprans über die menschliche | |
Existenz, Schaffen und Geschaffensein; „Ich schaffe Großes / Ich bin eine | |
große Schöpfung“ singt das Kind auf Englisch, schwankt auf Copsons | |
zitternden Lichtumrissen in einfachen Farben zwischen der Weisheit und dem | |
Größenwahn kindlicher Unwissenheit hin und her, spielt mit einem | |
Streichholz, brennt alles nieder, weint, pinkelt. Man wird hineingezogen in | |
diesen drolligen Existenzialismus, das Laser-Anime ist Immersion in totaler | |
Reduktion. | |
Reduziert ist auch die Klanginstallation der [3][Computermusikerin Jessica | |
Ekomane]. Einen Sound wie der Knall bei der Entladung von Starkstrom lässt | |
sie aus Lautsprechern tönen und verwebt ihn zu einem Klangmuster, das sich | |
wiederholen, vervielfachen, verschieben kann, wie zum Ton gewordene Op-Art. | |
Zeit wird hier erlebbar. | |
Auch politische Kunst taucht bei Enderby auf, aber eine unideologische, | |
forschende. Der bosnisch-niederländische Künstler Miloš Trakilović etwa | |
bespielt eine Etage mit Soundaufnahmen von Radiosongs aus Jugoslawien, | |
veröffentlicht einige Jahre, bevor dort der Krieg ausbrach. | |
## In die Geschichte hineinhorchen | |
Bahnte sich das Verheerende schon in der Musik an, ist seine Frage, und er | |
schickte die Soundaufnahmen durch eine KI, die eigentlich für die | |
Komposition von Liebesliedern programmiert ist. Doch das Experiment, | |
Maschine und radikale Gefühle zu fusionieren, geht nicht ganz auf, das | |
Klangresultat ist ein wenig überraschendes Wabern. | |
Die [4][Künstlerin Sung Tieu] ist da schon sehr viel präziser, wenn sie in | |
ihrer auf zwei Etagen ausgebreiteten Installation auf die Geschichte und | |
Gegenwart von vietnamesischen Vertragsarbeiter:innen in der DDR | |
eingeht. Ihr Leben in einem Zwischenzustand in Deutschland, legal aber | |
unerwünscht. Unter anderem greift sie auf die fast schon vergessenen | |
Methoden der Institutional Critique zurück, wenn sie für ihre Ausstellung | |
den Vorschlag unterbreitet, in die Institution der KW selbst einzuwirken. | |
Sie wolle eine Person ihrer Wahl in den Trägerverein der KW eintreten | |
lassen, die jährliche Mitgliedsgebühr von 5.000 Euro aufbringen, um die | |
doch recht einheitlichen Gruppe der Entscheidungsträger:innen im | |
Hintergrund der KW sozial etwas diverser zu machen. Wie man in einer | |
ausgestellten Korrespondenz erkennen kann: Emma Enderby, die neue | |
Direktorin, ist einverstanden, auch sozial an den mythischen KW etwas zu | |
rütteln. | |
19 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /30-Jahre-Kunst-Werke-in-Berlin/!5801871 | |
[2] /Neue-Nationalgalerie-und-Kulturpolitik/!5895063 | |
[3] /!5996155&s=Jessica+Ekomane&SuchRahmen=Print/ | |
[4] /Ausstellung-von-Sung-Tieu-in-Siegen/!6020529 | |
## AUTOREN | |
Sophie Jung | |
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