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# taz.de -- Ausstellung von Sung Tieu in Siegen: Minimalistisch und rätselhaft
> Künstlerin Sung Tieu wird für ihr sprödes Werk gefeiert. Ganz neu mit
> dabei: Die Schau „Without Full Disclosure“ im Museum für Gegenwartskunst.
Bild: Wie Fracking-Gas in die Wohnzimmer gerät: Ausstellungsansicht Sung Tieu …
Wie weist man einen unsichtbaren Angriff nach? Nachdem 2016 mehrere
CIA-Mitarbeiter in Havanna unter verschiedenen Symptomen [1][wie Übelkeit,
Müdigkeit und Gedächtnisverlust litten, wurde für dieses Krankheitsbild der
Name Havanna-Syndrom] gefunden.
Die These ist, dass diese Erkrankungen durch eine Art Klangwaffe verursacht
wurden. Weitere Fälle wurden bekannt, über die Urheber dieser akustischen
Angriffe wird noch immer spekuliert.
Für Sung Tieu ist das diffuse wie politisch aufgeladene Havanna-Syndrom ein
gutes Beispiel dafür, wie fluide Wahrheiten sein können. Die 1987 in
Vietnam geborene und nun in Berlin lebende Künstlerin forscht zu derartigen
Fällen, ihrer Beweisführung und ihrer Instrumentalisierung in Politik und
Medien. Dabei hat sie in den letzten Jahren eine markante, künstlerische
Handschrift entwickelt.
Markant, weil diese so minimal wie raumgreifend, ästhetisch reduziert wie
inhaltsgeladen ist. Häufig tauchen in Tieus Kunst Originalobjekte auf, wie
bei „Offerings“ – einem Altar mit Produkten, die in der DDR unter Mithilfe
vietnamesischer Vertragsarbeiter:innen hergestellt wurden.
## Sitzgelegenheit aus Edelstahl
Oder sie zeigt Gegenstände – digitale Uhren, eine Sitzgelegenheit aus
Edelstahl – die so exakt angefertigt sind wie ein Industrieprodukt. Oft
kommt dann dokumentarisches Material dazu wie Zeitungsausschnitte, der
Übergang vom Dokument zum Kunstwerk ist bei ihr mitunter fließend.
Trotz minimalistischer Formsprache kann Tieu auch groß. Derzeit bespielt
sie die elf Räume im Siegener Museum für Gegenwartskunst. Mehrere Meter
lange Stahlrohre breiten sich dann dort wie eine zerstückelte Pipeline auf
dem Boden aus. Ihre manchmal spröde und kühl wirkende Kunst ist nicht immer
lesbar, die dahinter liegenden Recherchen ohne textliche Fütterung nicht zu
erkennen. Tieu will diese Rätselhaftigkeit auch: „Ich möchte nicht, dass
die Recherche auf allzu lineare Weise in die Ausstellung einfließt,
einfach, weil ich nicht glaube, dass irgendetwas so geradlinig ist“,
kommentierte sie einmal ihre Arbeit.
So lässt sich auch der Titel der Siegener Schau „Ohne Offenlegung“ besser
verstehen: „Mir geht es nicht um richtig oder falsch, sondern darum,
Ambivalenzen in den Raum zu stellen“, sagt sie im taz-Gespräch. Und diese
Ambivalenzen produziert Sung, indem sie Ereignisse wie diejenigen um das
dubiose Havanna-Syndrom auf einer affektiven Ebene nachvollziehbar macht.
## Fiepende Geräusche
Dann setzt sie etwa unangenehme, fiepende Geräusche ein, die Assoziationen
an akustische Gewalt eröffnen. Oder sie nimmt Geschehnisse aus der mulmig
stimmenden Perspektive einer Überwachungskamera auf, wie in ihrer
Videoarbeit „Moving Target Shadow Detection“.
Die Siegener Ausstellung führt mehrere Stränge zusammen, der die Künstlerin
in den letzten Jahren gefolgt ist. Schon 2017 ging es ihr im Video „No
Gods, No Masters“ um [2][akustische Formen der Kriegsführung]. Die US-Armee
hatte derartige psychologische Waffen im Vietnamkrieg gegen die Vietcong
entwickelt.
Kuba und Vietnam waren Bruderländer der DDR. Tieus Vater kam 1989 als
vietnamesischer Vertragsarbeiter in das realsozialistische Land, arbeitete
in einem Stahlwerk im sächsischen Freital. Tieu folgte ihm 1992 in das
wiedervereinigte Deutschland und lebte mehrere Jahre in einer Ostberliner
Vertragsarbeiter:innensiedlung. Es waren die Baseballschlägerjahre, für sie
verbunden mit einem unsicherem Aufenthaltsstatus und rassistischen
Übergriffen.
## Künstlerische Kritik an Fracking
Trotz derart prekärer Bedingungen schaffte es Tieu an Kunsthochschulen in
Hamburg und London. Seit ein paar Jahren lebt sie wieder in Berlin, wo sie
sich auf eine biografische Spurensuche begab. [3][Sie kehrte etwa in den
Ostberliner Plattenbau ihrer Kindheit zurück] und porträtierte das
mittlerweile zum Abriss freigegebene Bauwerk mit historischem und
zeitgenössischem Bildmaterial in einem Video. Das war kürzlich [4][in der
Berliner Ausstellung „Echos der Bruderländer“ im HKW zu sehen].
In Siegen beschäftigt sie sich auch mit Ökologie, nämlich mit den Risiken
des Hydraulic Fracturing (Fracking). Dafür reiste sie in die USA und in
potenzielle Fracking-Gebiete im Münsterland und beim niedersächsischen
Diepholz. „Obwohl das Verfahren in Deutschland verboten ist, wird es immer
wieder ins Spiel gebracht und Studienbohrungen durchgeführt“, sagt Tieu.
Künstlerisch überführt sie ihre Kritik an dieser umweltbelastenden Art der
Gasgewinnung wieder in ihren typischen Minimalismus. Man hört über eine
Soundinstallation tiefe Bodenvibrationen, kriegt ein Gefühl für die Gewalt
dieser Eingriffe in die Erde. Und man sieht an der Wand eine Liste der
vielen Chemikalien, die nötig sind, um das Gas aus der Tiefe zu bergen.
Tieu ist neben dem fünfjährlich verliehenem Rubensförderpreis aus Siegen,
der ihr diese große Ausstellung mit 50 Werken möglich machte, kürzlich auch
mit einem Kunstpreis der Schering-Stiftung ausgezeichnet worden, verbunden
mit einer baldigen Einzelschau im Berliner KW. Sie ist gerade hierzulande
eine der erfolgreichsten Gegenwartskünstlerinnen. Und als solche setzt sie
sich auch [5][für bessere Verhältnisse ihrer prekär arbeitenden
Künstlerkolleg:innen ein]. Denn etwas zieht sie auf vielen Ebenen
durch: von der eigenen Biografie Bezüge zum Politischen herzustellen.
5 Jul 2024
## LINKS
[1] /Klanginstallation-zum-Kalten-Krieg/!5756959
[2] /Festival-Loop/!5350924
[3] /Vietnamesische-Vertragsarbeiter-in-DDR/!6010154
[4] /Postmigrantische-Kunstgeschichte-der-DDR/!6000405
[5] /Kunst-und-Prekariat/!5903435
## AUTOREN
Anna-Lena Wenzel
## TAGS
Ausstellung
Gegenwartskunst
Klang
Kunst
Ausstellung
Schwerpunkt Brexit
Politische Morde
Klanginstallation
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