# taz.de -- Netflix-Serie „Bridgerton“: Dramen ohne Tote | |
> Die neue Netflix-Serie „Bridgerton“ handelt von der britischen | |
> Upperclass im 19. Jahrhundert. Zum Glück nimmt sie sich viele | |
> historische Freiheiten. | |
Bild: Der Heiratsmarkt kann kompliziert sein: Daphne und der Duke of Hastings | |
Nach zwei Folgen ist noch immer keiner gestorben: Kein Flugzeugabsturz, | |
kein heimtückischer Mord und auch keine Naturkatastrophe ist in Sicht. | |
Stattdessen sehen wir in „Bridgerton“, wie Frauen sich in Korsetts schnüren | |
lassen, Männer sich mit ihren Affären vergnügen und die britische | |
Upperclass auf pompösen Bällen feiert. Ungewöhnlich für eine | |
Shondaland-Produktion. Denn die [1][Serienmacherin Shonda Rhimes] („Grey’s | |
Anatomy“, „Scandal“, „How To Get Away With Murder“) ist bekannt für | |
Dramaserien, in denen sie ihre Protagonist:innen von der einen Katastrophe | |
in die nächste führt – ohne Rücksicht auf Verluste. | |
„Bridgerton“ ist die erste fiktionale Shondaland-Produktion für Netflix: Im | |
Jahr 2017 hatte Rhimes einen 150-Millionen-Dollar-Deal mit dem | |
Streaminganbieter geschlossen, um künftig exklusiv für ihn zu | |
produzieren. Was für den US-amerikanischen Sender ABC ein herber Verlust | |
ist, freut internationale Serienlieberhaber:innen, die nun nicht mehr | |
Monate warten müssen, bis Rhimes’ Serien auch in ihrem Land verfügbar sind. | |
Obwohl Rhimes nur als Produzentin an „Bridgerton“ mitgearbeitet hat (Chris | |
van Dusen, der auch schon an „Grey’s Anatomy“ und „Scandal“ mitgewirk… | |
ist der Serienschöpfer), ist ihre Handschrift eindeutig zu erkennen. Denn | |
auch ohne Todesfälle bleiben die Dramen nicht aus. | |
Im Fokus der achtteiligen Serie steht die Teenagerin Daphne (Phoebe | |
Dynevor), älteste Tochter der Bridgerton-Familie, die auf der Suche nach | |
einem Ehemann ist. Was sich zunächst als gar nicht so einfach herausstellt. | |
Von der Königin als großer Fang der Saison erklärt, schreitet Daphne im | |
perlenbestickten Haute-Couture-Kleid an der Seite ihres Bruders durch den | |
Ballsaal – dem halb-offiziellen Heiratsmarkt. Mit Aussagen, wie „Er ist | |
hinter deiner Mitgift her, nicht dir“, „Er ist nur Zweitgeborener“ oder | |
„Ein Poet kommt nicht infrage“, bügelt ihr Bruder jedoch einen potenziellen | |
Verehrer nach dem anderen ab. | |
Die Geschichte basiert auf der gleichnamigen Bestseller-Romanreihe von | |
Julia Quinn und ist 1813 in London angesiedelt. In der Zeit der britischen | |
Regency noch vor dem viktorianischen Zeitalter. Dementsprechend erwarten | |
duellierende Männer, Ausflüge mit der Kutsche und Liebesszenen bei | |
Kerzenschein die Zuschauer:innen. Eine historische Abhandlung ist die Serie | |
jedoch in keinem Fall, lediglich für Königin Charlotte (Golda Rosheuvel) | |
und ihren Ehemann King George III gibt es eine reale Vorlage – alle anderen | |
Figuren sind frei erfunden. | |
## Billie Eilishs Song beim Ball | |
Nicht nur bei ihren Protagonist:innen, auch in Fragen der Ästhetik, der | |
Geschichte und der Besetzung bricht die Serie immer wieder mit der Realität | |
und wird mit modernen Elementen ausgeschmückt. So spielt das | |
Streichorchester bei einem Ball [2][Billie Eilishs Song „Bad Guy“] im | |
Hintergrund, die Königin wird von einer Woman of Color gespielt– und | |
Daphnes jüngere Schwester ist derartig frech und feministisch, wie es in | |
einer aristokratischen Gesellschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts | |
vermutlich nur in seltensten Fällen vorgekommen ist. | |
Dass die Serie nicht historisch akkurat arbeitet, tut dem Storytelling gut | |
und es schwingt, wie man es von Rhimes kennt, immer wieder eine politische | |
Botschaft mit. So zeigt sich etwa, wenn es um Fragen von Mutterschaft und | |
heteronormative Liebesbeziehungen geht, dass sich das 19. Jahrhundert | |
manchmal gar nicht so stark vom 21. unterscheidet. | |
## Wenig neue Narrative, aber Opulenz | |
Daphne selbst findet in dem Duke of Hastings (Regé-Jean Page) recht schnell | |
ihren künftigen Ehemann. Doch ist der Partner erst einmal gefunden, | |
bedeutet das noch lange nicht das Ende aller Probleme. Dafür sorgen schon | |
ihre weiblichen Konkurrentinnen auf dem Heiratsmarkt, die Königin oder die | |
gefürchtete wie geliebte Lady Whistledown. Mit ihren | |
Tratsch-und-Klatschmagazinen mischt sie regelmäßig die Aristokratenwelt | |
auf; ohne dass irgendjemand weiß, wer sich hinter ihrem Pseudonym | |
versteckt. [3][Gossip-Girl-Fans] dürfte das bekannt vorkommen. Auch | |
unabhängig davon bietet „Bridgerton“ nicht viele neue Narrative. | |
Dranbleiben lohnt sich trotzdem, und sei es nur wegen der aufwendigen | |
Kostüme. | |
24 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Archiv-Suche/!5519823&s=shonda+rhimes&SuchRahmen=Print/ | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=DyDfgMOUjCI | |
[3] /Kolumne-Die-Couchreporter/!5448015 | |
## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
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