# taz.de -- Nachrichtenagentur und NS-Regime: Deal mit dem Feind | |
> Im Zweiten Weltkrieg tauschte die US-Nachrichtenagentur AP mit | |
> Nazideutschland Fotos aus. Bis heute erkennt die Agentur darin kein | |
> Problem. | |
Bild: Ein Archivfoto der Nachrichtenagentur AP. War es Teil der Kooperation mit… | |
Anfang 1942, im dritten Kriegsjahr: Am Großen Wannsee treffen sich dem | |
Regime eng verbundene Herren, um mit Reinhard Heydrich den Massenmord an | |
den Juden zu organisieren. Zu diesem Zeitpunkt sind schon Hunderttausende | |
Juden von den Einsatzgruppen in der Sowjetunion ermordet worden. In Chelmo | |
beginnen die Nazis damit, ihre Opfer in geschlossenen Lastkraftwagen | |
mittels der Abgase der Motoren umzubringen. Bald darauf gehen die | |
Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, Sobibor, Belzec und Treblinka im | |
besetzten Polen in Betrieb. | |
Trotz der Niederlage vor Moskau ist die Wehrmacht noch lange nicht | |
geschlagen. Ihre Soldaten erobern 1942 weitere Gebiete in der Sowjetunion, | |
sie halten den Kontinent von Nordafrika bis zum Nordmeer im Griff. Seit dem | |
Dezember 1941 stehen auch die USA mit dem „Großdeutschen Reich“ im Krieg. | |
Die US-Botschaft in Berlin ist geschlossen. Ihre Diplomaten sind | |
ausgewiesen worden, die amerikanischen Reporter werden nach wochenlanger | |
Internierung ausgewiesen. | |
Nur wenige Wochen später beginnt eine höchst ungewöhnliche journalistische | |
Kooperation. Die US-Nachrichtenagentur Associated Press (AP) vereinbart mit | |
einem Büro des Reichsaußenministeriums in Berlin einen täglichen Austausch | |
von Fotos. Bilder von AP gelangen per Kurierflugzeug aus dem neutralen | |
Lissabon nach Berlin. Von dort werden Propagandafotos aus dem Nazireich | |
zurückgesendet. Ein profitables Geschäft für beide Seiten. | |
Entdeckt hat diese geheime Kooperation der Stuttgarter Historiker Norman | |
Domeier. Bei Recherchen für seine Habilitationsschrift stieß er auf den | |
umfangreichen Nachlass von Louis Paul Lochner, der bei der State Historical | |
Society of Wisconsin verwahrt wird. Lochner fungierte bis zur erzwungenen | |
Schließung Ende 1941 als Chef des Berliner AP-Büros. „Der Nachlass war | |
bekannt, aber bisher hatte sich offenbar niemand die Mühe gemacht, ihn als | |
Ganzes durchzusehen“, sagt Domeier im Gespräch mit der taz. | |
Was Domeier dort findet, wirft kein günstiges Licht auf die Gebaren der | |
weltberühmten und angesehenen Nachrichtenagentur mit Sitz in New York City | |
im Krieg. Denn die Dokumente vermitteln eine mindestens anrüchige | |
Geschäftsverbindung des unabhängigen Mediums mit Nazideutschland. | |
## Fotos per Diplomatenpost | |
Dort hatte sich Helmut Laux, Leibfotograf von Außenminister Joachim von | |
Ribbentrop und SS-Obersturmbannführer, nach dessen Schließung das Berliner | |
AP-Fotoarchiv angeeignet. Sein „Büro Laux“ unterstand der Presseabteilung | |
des Auswärtigen Amts unter SS-Obersturmbannführer Paul Karl Schmidt, besser | |
bekannt aus Nachkriegsjahren unter seinem Pseudonym Paul Carell. | |
Die Kooperation mit AP eingefädelt hatte offenbar Willy Erwin Brandt. Der | |
Deutsche war bis 1941 Geschäftsführer der deutschen AP GmbH gewesen. Man | |
kannte sich also. Brandt stieß zum „Büro Laux“, wurde Mitglied der | |
Waffen-SS und erhielt eine angenehme Bürostellung jenseits des | |
Fronteinsatzes. Und Brandt war es auch, der 1946 gegenüber Lochner mit den | |
einleitenden Worten „Ich muss Ihnen ein Geständnis machen, Chef“ Details | |
der Vereinbarung zwischen AP und den Nazis beschrieb. | |
Den Angaben zufolge gelangten so ab 1942 Tag für Tag Fotos aus den USA per | |
Diplomatenpost an das „Büro Laux“, von wo aus diese an deutsche Medien nach | |
den Wünschen der Nazis verbreitet wurden. Wenn es politisch opportun war, | |
schreckte das NS-Regime dabei nicht davor zurück, die Bilder der Propaganda | |
entsprechend zu retuschieren. | |
Zu Weihnachten 1942 erschien etwa in der Berliner Illustrierten Zeitung ein | |
Foto, bei dem Großbritanniens und Frankreichs Flaggen ausradiert worden | |
waren, wohl um die alliierte Waffenbrüderschaft gegenüber dem deutschen | |
Publikum unkenntlich zu machen. | |
Die Bilder aus Amerika stießen zugleich auf höchstes Interesse der | |
Staatsspitze. Außenminister Ribbentrop, Adolf Hitler, Reichsführer SS | |
Heinrich Himmler, Luftfahrt-Chef Hermann Göring und Propagandaminister | |
Joseph Goebbels ließen sich die Fotos regelmäßig vorlegen, schreibt Brandt | |
in seiner Enthüllung gegenüber seinem früheren Chef. | |
## Von der US-Regierung genehmigt | |
Zwecks Beschleunigung des Fotoaustauschs gingen die Kuriermaschinen ab 1944 | |
nicht mehr von Lissabon, sondern vom näheren Stockholm in die | |
Reichshauptstadt. Das Ganze funktionierte bis in die letzten Kriegsmonate. | |
Ein Foto mit dem Stempel „Büro Laux“ zeigt amerikanische Panzer bei der | |
Eroberung von Köln Anfang März 1945. Umgekehrt erhielt AP exklusiven Zugang | |
zu Fotos aus dem nationalsozialistischen Europa und konnte sich damit einen | |
Wettbewerbsvorteil sichern. Wo diese Fotos überall verbreitet worden sind, | |
harrt freilich noch der Recherche. | |
AP-Sprecherin Lauren Easton bestätigt gegenüber der taz den extensiven | |
Bilderaustausch, will darin aber kein Problem erkennen. Denn das Geschäft | |
sei von der US-Regierung Anfang 1942 genehmigt worden. Die für das | |
Naziregime bestimmten Fotos, so Easton, seien zuvor von der | |
US-Militärzensur freigegeben und erst dann an das „Büro Laux“ versendet | |
worden. | |
Die deutschen Bilder hätten den umgekehrten Weg gemacht; zudem habe man | |
gegenüber den AP-Geschäftskunden deutlich gemacht, dass es sich um | |
deutsches Material gehandelt habe. „AP hatte keinen direkten Kontakt und | |
hat nicht mit dem Nazi-Regime kollaboriert“, erklärt die Sprecherin der | |
Agentur. | |
AP hatte also, wenig verwunderlich, die Rückendeckung der USA. An der | |
Aussage, es habe niemals direkt Kontakte mit dem NS-Regime gegeben hat, | |
sind allerdings Zweifel angebracht. Denn Brandt schreibt in seinem Bericht | |
von 1946, er sei 1944 gleich zweimal persönlich nach Stockholm gereist, um | |
sich dort mit dem AP-Korrespondenten Eddie Shanke zu treffen, den er noch | |
aus vergangenen gemeinsamen Tagen im Berliner AP-Büro kannte. | |
## Rücksichtsvoll gegenüber dem NS-Regime | |
Nun ist es keine Seltenheit, dass große Fotoagenturen Geschäfte auf | |
Gegenseitigkeit auch mit unappetitlichen Partnern schließen, etwa um an | |
Fotos vom jüngsten Parteikongress in Nordkorea zu kommen. | |
Beim Bildertausch mit Nazideutschland ist die Angelegenheit allerdings | |
etwas anders gelagert. Schließlich befanden sich die USA im Krieg mit dem | |
„Großdeutschen Reich“. Spätestens Ende 1942 war in Washington bekannt, da… | |
die Nazis die europäischen Juden jenseits des Geschehens an den Fronten in | |
großer Zahl ermordeten. Konnte es da ethisch vertretbar sein, zugleich | |
Fotos mit dem Feind auszutauschen, die dieser für seine Hetzpropaganda zu | |
nutzen wusste? | |
Diese Frage passt auch deswegen ins Bild, weil AP in Deutschland schon vor | |
diesem Geschäft dem NS-Regime bemerkenswert rücksichtsvoll entgegengekommen | |
war. Die Bildabteilung war die einzige ausländische Agentur, die sich 1935 | |
dem Reichsschriftleitergesetz unterwarf – alle anderen Kollegen verließen | |
das Land. | |
Fortan durften weder Juden noch mit Juden verheiratete „Arier“ dort tätig | |
werden. Schon damals belieferte AP das Propagandaministerium in Berlin | |
umgekehrt mit Fotos aus den USA – und diese fanden dann etwa in der | |
Nazibroschüre „Die Juden in den USA“ Verwendung. Das hat die Historikerin | |
Harriet Scharnberg im letzten Jahr enthüllt. | |
Und: Nach dem Krieg entwickelten AP-Mitarbeiter eine bemerkenswerte | |
Fürsorge gegenüber dem Nazikollegen Willy Brandt aus dem „Büro Laux“. Na… | |
seiner – allerdings mühsamen – Entnazifizierung wurde Brandt bald wieder | |
Fotochef von AP in Deutschland. | |
9 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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