# taz.de -- Nach Affäre um antisemitisches Flugblatt: Aiwanger lässt sich Lev… | |
> Schlagabtausch im Bayerischen Landtag zur Causa Aiwanger: Die Opposition | |
> wollte in einer Sondersitzung Antworten, die Regierung ihre Ruhe. | |
Bild: Es aiwangert im Landtag: Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger (FW) bei… | |
München taz | „Herr Aiwanger, was verstehen Sie unter Reue und Demut?“, | |
beginnt Ludwig Hartmann am Donnerstag seine Rede in der Sondersitzung des | |
Bayerischen Landtags. Eine Rede, die dann fast ausschließlich aus Fragen | |
besteht. Wie Aiwanger das Vertrauen der jüdischen Gemeinden zurückgewinnen | |
wolle, will der Fraktionschef der Grünen von dem stellvertretenden | |
bayerischen Ministerpräsidenten wissen. Oder wie dessen viele | |
Erinnerungslücken in der [1][Flugblattaffäre] mit seiner Behauptung | |
zusammenpassten, die Vorkommnisse in seiner Schulzeit seien ein | |
einschneidendes Erlebnis gewesen, das wichtige gedankliche Prozesse | |
angestoßen habe. | |
Es gab Fragen über Fragen: Warum habe er nicht sofort seinen Bruder als den | |
eigentlichen Verfasser des Flugblatts genannt? Warum habe er zweimal eine | |
Freien-Wähler-Abgeordnete zu dem Lehrer seiner ehemaligen Schule geschickt, | |
der offenbar noch im Besitz des Flugblatts war? | |
Es ist die Sitzung des Zwischenausschusses des Landtags, eines Gremiums von | |
51 Abgeordneten, das nur in Ausnahmefällen kurz vor der Landtagswahl | |
zusammentritt, wenn der Landtag seine Arbeit schon abgeschlossen hat. Der | |
Plenarsaal wird gerade saniert, deshalb findet die Sitzung nebenan im | |
Senatssaal statt. Die Klimaanlage funktioniert nicht, weshalb der | |
Ausschussvorsitzende Thomas Kreuzer gleich zu Beginn ankündigt, es werde | |
heiß werden. Also auch klimatisch gesehen. | |
Auch an [2][Ministerpräsident Markus Söder] hat Hartmann Fragen: Ob er sich | |
wohl mit seiner Entscheidung fühle, ob er Machterhalt über Haltung gestellt | |
habe, ob er Aiwangers Äußerungen in diversen Bierzelten als Reue betrachte? | |
## Beharrliches Schweigen | |
Es sind die Fragen, die nicht nur Hartmann spätestens seit letztem Sonntag | |
beschäftigen, als Söder verkündete, Aiwanger allen Vorwürfen zum Trotz im | |
Amt zu belassen. Fragen, zu denen sich Söder und sein Stellvertreter | |
beharrlich in Schweigen hüllen. | |
Natürlich hätte Aiwanger am Donnerstag noch einmal die Gelegenheit gehabt, | |
das Wort zu ergreifen und die Öffentlichkeit mit einer ausführlichen | |
Stellungnahme zu den Vorwürfen gegen ihn zu überraschen, vielleicht sogar | |
in glaubhaften Worten Reue zu zeigen. Aber er tut es nicht. Stattdessen | |
lehnt die Landtagsmehrheit von CSU und Freien Wählern die Anträge aus der | |
Opposition ab, dass sich Aiwanger wie auch Söder in der Debatte den Fragen | |
des Parlaments stellen sollten. | |
Die Geschäftsführung sehe das aus guten Gründen nicht vor, argumentierte | |
Tobias Reiß, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Fraktion, gegen die | |
„kleine Showeinlage, die hier seitens der Opposition geplant wird“. | |
Schließlich habe nicht der Landtag über die Entlassung von Ministern zu | |
entscheiden, sondern der Ministerpräsident. Söder sei Herr dieses | |
Verfahrens. Sein Amtskollege in der Freien-Wähler-Fraktion, Fabian Mehring, | |
sprach sogar von „einer Art Tribunal“, das die Opposition veranstalten | |
wolle. Die offensichtliche Botschaft der Koalition: Es ist alles gesagt, | |
lasst uns zum politischen Alltag übergehen. | |
Das freilich will die Opposition nicht. SPD-Chef Florian von Brunn | |
bezeichnet Aiwanger als ungeeignet für dieses Amt und wirft ihm vor, seine | |
Entschuldigung selbst relativiert zu haben, indem er sich als Opfer | |
dargestellt habe. „Es geht aber nicht um Sie.“ | |
Der Angesprochene jedoch blickt nicht zum Redner. Während der ganzen | |
Sitzung sitzt er mit durchgedrücktem Rücken da, schaut regungslos nach | |
vorne. Am Ende wird er sich seinen Weg aus dem Saal bahnen, an den | |
Journalisten vorbei, die auch noch Fragen hätten – „kein Statement.“ | |
Indes machen die Freien Wähler draußen im Land schon ganz unverhohlen | |
Wahlkampf mit der [3][vermeintlichen „Schmutzkampagne“] gegen ihren | |
Vorsitzenden. Und den jüngsten Umfragen zufolge sind es zumindest nicht | |
sie, die – an Wählerstimmen gemessen – als Verlierer aus der Affäre gehen | |
dürften. Laut einer aktuellen Civey-Umfrage bleibt die Partei stabil bei 12 | |
Prozent. Die Christsozialen dagegen kommen nur noch auf 36 Prozent und | |
würden damit sogar ihr desaströses Wahlergebnis von 2018 unterbieten. | |
7 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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