# taz.de -- NS-Morde an Sinti und Roma: Ein Platz zur Erinnerung | |
> Sinti und Roma wurden ab 1940 vom Bremer Schlachthof aus in Lager | |
> deportiert. Der Beirat Findorff will den Ort nun nach einer Opfer-Familie | |
> benennen. | |
Bild: Anni Schwarz überlebte den Porajmos. Ihre neun Geschwister und ihre Elte… | |
Bremen taz | Rund 50 Leute sind zum Kulturzentrum Schlachthof gekommen, sie | |
tragen Masken, halten Abstand, hören den Redner*innen zu und klatschen | |
manchmal. Sie sind Teilnehmer*innen der Gedenkveranstaltung an die | |
Ermordung der Sinti und Roma durch die Nazis. Auch Bürgermeister | |
Bovenschulte (SPD) ist gekommen an diesem 8. März und mahnt die | |
Bürger*innen mit Blick auf rechtsextreme Anschläge, gegen Rassismus zu | |
kämpfen: „Viele fühlen sich auch heute nicht sicher und das darf nicht | |
sein. Es ist wichtig, dass wir gegen Rassismus aufstehen.“ | |
Die Gedenkveranstaltung wird jährlich vom Arbeitskreis „Erinnern an den | |
März 1943“ organisiert. Im Arbeitskreis sind unter anderem auch die | |
Verbände der Sinti und Roma vertreten. Dieses Jahr möchten sie aber nicht | |
nur der Opfer gedenken, sondern auch den bislang namenlosen Skaterplatz | |
vorm Schlachthof nach einer der Sinti-Familien benennen, die von dort | |
deportiert wurde. | |
Die Verfolgung der Sinti und Roma wurde in Nordwestdeutschland über die | |
„Dienststelle für Zigeunerfragen“ in Bremen organisiert. Schon ab 1939 | |
durften Sinti und Roma im NS-Staat nicht mehr ihren Wohnort verlassen. Im | |
Mai 1940 wurden in Bremen die ersten 100 Sinti und Roma vom Schlachthof | |
deportiert. Schließlich gab der Reichsführer SS Heinrich Himmler am 16. | |
Dezember den Befehl, die Sinti und Roma zu vernichten. Im März 1943 wurden | |
dann im Schlachthof etwa 300 Sinti und Roma zusammengetrieben und nach | |
Auschwitz-Birkenau ins „Zigeunerfamilienlager“ deportiert. Eine Gedenktafel | |
aus dem Jahre 1995 erinnert heute daran. Insgesamt fielen über 500.000 | |
Sinti und Roma dem Rassenwahn der Nazis zum Opfer. | |
Um an das schreckliche Leiden der Sinti und Roma in Bremen zu erinnern, hat | |
der Arbeitskreis nun den Namen „Familie-Schwarz-Platz“ vorgeschlagen. Im | |
Findorffer Beirat wurde der Vorschlag vom zuständigen Fachausschuss | |
„Wirtschaft, Kultur, Inneres und Sport“ einstimmig angenommen. Damit die | |
Benennung Wirklichkeit wird, muss der Beirat noch mit dem Ortsamt und dem | |
Amt für Straßen und Verkehr(ASV) sprechen. „Wir gehen davon aus, dass wir | |
in zwei Monaten alle Formalitäten geklärt haben“, sagt Beatrix Eißen | |
(Grüne), die Sprecherin des Fachausschusses. | |
## Ausgeräumte Wohnung | |
„Wir versuchen, auf unsere Geschichte aufmerksam zumachen. Antiziganismus | |
ist ja auch heutzutage ein großes Problem“, sagt Dardo Balke. Er ist der | |
Geschäftsführer des Bremer Landesverbandes deutscher Sinti und Roma und | |
außerdem Mitglied des Arbeitskreises. „Wir wollten eine Familie nehmen, die | |
unmittelbar neben dem Schlachthof wohnte und lebte“, sagt Balke, „aber | |
jedes Opfer wäre es wert gewesen, dass man den Platz nach ihnen benennt.“ | |
Vor dem Verbrechen durch die Nazis lebte die zwölfköpfige Familie Schwarz | |
direkt neben dem Schlachthof. Vater Wilhelm war Musiker und heiratete 1931 | |
Anna Marquardt in Bremen. Aus der Ehe gingen zehn Kinder hervor. Ab 1939 | |
wohnten sie in der Findorffstraße 99. Die schulpflichtigen Kinder gingen in | |
die Schule an der Gothaer Straße, eine Schwester arbeitete bei Karstadt und | |
der Vater als Kraftfahrer für eine Drogerie, da er zu diesem Zeitpunkt | |
bereits seinen Beruf nicht mehr ausüben durfte. | |
Die Eltern sowie die Kinder Gertrud, Albara, Friedrich, Gisela, Wilhelm, | |
Ilse, Heinrich, Adolf und Ehrenfried wurden in Auschwitz ermordet, | |
teilweise nach Menschenversuchen von Lagerarzt Josef Mengele. Die einzige | |
Überlebende der Familie, Anni Schwarz, hat während ihres | |
Wiedergutmachungsverfahrens von der Deportation der Familie berichtet: „Am | |
8. 3. 1943 wurde ich durch die Polizei verhaftet. Grund meiner Verhaftung | |
war meine zigeunerische Abstammung. Nach meiner Verhaftung wurde ich nach | |
einem Sammelplatz Bremen-Schlachthof gebracht.“ | |
Anni Schwarz ist nach dem Krieg nur kurz nach Bremen zurückgekommen, um | |
nach Spuren ihrer Familie zu suchen. Allerdings hatte nur sie überlebt und | |
auch die gemeinsame Wohnung der Familie war ausgeräumt worden. Daher | |
verließ sie die Stadt wieder. Sie heiratete zweimal. Als Anni Grimm starb | |
sie am 25. März 2007 in Wolfsburg. 2027 droht das Grab eingeebnet zu | |
werden. Der Arbeitskreis setzt sich dafür ein, dass dies nicht passieren | |
wird. | |
Das Verbrechen des Porajmos, so heißt der Völkermord an den Sinti und Roma, | |
ist bis heute nur unzureichend erforscht. Noch bis in die 1980er-Jahre | |
hinein mussten die überlebenden Opfer der NS-Verfolgung um Anerkennung und | |
Entschädigung kämpfen. Geleugnet wurde die systematische Verfolgung und | |
Vernichtung der Sinti und Roma. Die Mittäter bei der Bremer Kriminalpolizei | |
blieben bis weit in die 60er-Jahre hinein in Amt und Würden. Erst am 18. | |
März 1982 wurde der Völkermord an den Sinti und Roma durch den damaligen | |
Bundeskanzler Helmut Schmidt anerkannt. Seit dem 15. April 2015 gibt es | |
einen europäischen Gedenktag an die Opfer des Porajmos. Der Gedenktag ist | |
am 2. August und soll an die Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 erinnern, | |
in der etwa 4.300 Sinti und Roma im „Zigeunerfamilienlager“ im KZ | |
Auschwitz-Birkenau ermordet wurden. Also in dem Lager, in das auch die | |
Familie Schwarz deportiert wurde. | |
Das Gedenken an Familien stellvertretend für das Schicksal einer ganzen | |
Gruppe ist auch in Oldenburg bekannt. Die „Familie Mechau-Straße“ wurde | |
nach einer Familie benannt, die 1943 ebenfalls zum Schlachthof gebracht und | |
dann deportiert worden wurde. Ansonsten gibt es noch in Berlin, Köln, | |
Hannover, Ulm, Wien und Greven jeweils eine Straße, die nach einem Sinto | |
oder Rom benannt ist. Nicht viel in Anbetracht der großen Zahl der Opfer | |
und der fast vollständigen Vernichtung. | |
Nachdem die rund 150 bekannten Opfernamen auf der Gedenkveranstaltung | |
vorgelesen worden sind, setzen sich die Menschen mit zwei Blumenkränzen in | |
Bewegung. Die Kränze werden vor der Gedenktafel auf dem Platz abgelegt, der | |
bald den Namen der Familie Schwarz tragen soll. Die Leute machen Fotos von | |
den Kränzen, vom Bürgermeister, den Vertretern der Sinti und Roma. Am Rand, | |
in der zweiten Reihe stehen die Jugendlichen mit ihren Skateboards und | |
Bierflaschen. Sie haben den Trauernden die plötzlich auf ihrer Skateranlage | |
aufgetaucht sind, Platz gemacht und schweigen, so wie der Rest der | |
Menschen. Als der Bürgermeister noch ein paar abschließende Worte sagt, | |
klatschen auch einige der Jugendlichen. | |
10 Mar 2021 | |
## AUTOREN | |
Lukas Scharfenberger | |
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