| # taz.de -- Dokumentarfilm über Sinti-Deportationen: „Wir sind Deutsche ohne… | |
| > Zwei Filmemacher begeben sich zusammen mit 30 Sinti aus Friesland auf die | |
| > Spuren von deren Vorfahren – und landen immer wieder in der Gegenwart. | |
| Bild: Omid Mohadjeri und zwei Angehörige der Familie Schwarz vor der KZ-Gedenk… | |
| Bremen taz | Die junge Frau blickt ernst in die Kamera. Das Sprechen kostet | |
| sie Überwindung, aber sie tut es voller Überzeugung. „Erst dachte ich, wir | |
| machen einen Ausflug“, sagt sie. „Aber als wir durch das Tor gingen, habe | |
| ich gemerkt: Wir besuchen unsere Verwandten auf dem Friedhof.“ Sie hat mit | |
| knapp 30 anderen Familienmitgliedern an diesem Herbsttag 2019 die | |
| steinernen Reste des sogenannten „Zigeunerfamilienlagers“ im ehemaligen | |
| Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau besucht. 27 ihrer Vorfahren, zuvor | |
| ansässig in Friesland, waren hier inhaftiert. Sie gehörten zu den [1][275 | |
| Sinti und Roma aus dem Nordwesten, die im März 1943 über den Bremer | |
| Schlachthof dorthin deportiert] wurden. Nur zehn dieser Menschen | |
| überlebten, darunter ihre Urgroßmutter Margot Schwarz. | |
| Während des Interviews sitzt die junge Frau perfekt ausgeleuchtet auf einem | |
| grauen Sofa. Nichts deutet auf die Bedingungen hin, unter denen der Film | |
| „Auf Spurensuche von Jever nach Sachsenhausen“ entstanden ist. Nichts | |
| deutet darauf hin, dass das Sofa in einem Abstellraum steht, in einem | |
| Hotel nicht weit weg von der KZ-Gedenkstätte Auschwitz. Nichts darauf, dass | |
| das Filmteam praktisch unbezahlt arbeitet: Ganze 17.000 Euro – | |
| hauptsächlich aufgebracht vom Landkreis Friesland sowie den Städten Jever | |
| und Oldenburg –, ist der deutschen Kulturförderung ein Projekt wert, in dem | |
| sich Sinti auf die Spuren ihrer Geschichte begeben. Mit professioneller | |
| Unterstützung von Nicht-Sinti zwar, aber als Initiatoren, Auftraggeber und | |
| Protagonisten. Alle großen Stiftungen beispielsweise haben abgesagt. | |
| „Das kleine Budget macht ja das Thema nicht unwichtiger“, sagt Filmemacher | |
| Michael Telkmann in einem Schnittstudio in der Oldenburger Innenstadt. „Die | |
| Zeitzeugen werden nicht jünger, deshalb haben wir gesagt: Wir machen das | |
| trotzdem.“ Ursprünglich geplant war eine große, gemeinsame Reise der | |
| Nachkommen an die Stationen der Verfolgung und des Mordes. Realisiert | |
| wurden schließlich zwei kürzere, mehrtägige Reisen: eine von Jever über die | |
| KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen und Oranienburg bis zur Gedenkstätte | |
| Todesmarsch im Belower Wald – und eine nach Auschwitz-Birkenau. | |
| Initiator und verbindendes Element des Films ist Christel Schwarz, 71, der | |
| Vorsitzende des Freundeskreises der Sinti und Roma in Oldenburg. Insgesamt | |
| 45 seiner Angehörigen wurden in verschiedene Lager deportiert, nur ganz | |
| wenige kamen zurück. Sein Vater Friedrich Schwarz war von 1938 bis 1945 im | |
| KZ Sachsenhausen, seine Mutter Margot Franz durchlitt Auschwitz-Birkenau, | |
| Flossenbürg und Buchenwald. | |
| „Ich möchte die zum Nachdenken bringen, die mit dem Thema sonst nichts zu | |
| tun haben wollen“, sagt Schwarz beim Gespräch im Oldenburger Kulturzentrum | |
| „Maro Kher“; das heißt „Unser Haus“. In der Begegnungsstätte des | |
| Freundeskreises feiert jeweils am Samstag auch die Christliche Gemeinde der | |
| Sinti Gottesdienst. „Der Film soll eine Warnung sein“, sagt Schwarz, „dass | |
| so etwas nie wieder passieren darf“. | |
| Am Ziegelhof in Oldenburg, wo die Sinti aus dem Nordwesten im März 1943 | |
| zunächst gesammelt wurden, trafen sich die Überlebenden dann nach der | |
| Befreiung wieder. So hatten sie es bei der Deportation verabredet. „Aber | |
| dann wurden sie aus der Stadt gejagt“, erzählt Schwarz, dessen kranke und | |
| geschwächte Eltern sich daraufhin zunächst in Wilhelmshaven niederließen. | |
| Als Landarbeiter zogen Friedrich und Margot Schwarz dann mit ihren Kindern | |
| in Ostfriesland von Hof zu Hof – so wie schon der Großvater, vor dem Krieg. | |
| In jedem neuen Ort gingen sie zur Schule. „Aber nur einen Tag, dann | |
| kriegten wir Prügel von den Bauernjungs und blieben weg.“ | |
| Eine Erfahrung, die sich in unterschiedlichen Schattierungen bis heute | |
| wiederholt, die auch den Film durchzieht: Konsterniert berichtet etwa der | |
| Vater eines kleinen Jungen, wie sich beim Besuch im ehemaligen | |
| „Zigeunerfamilienlager“ seine Gedanken an die ermordeten Verwandten | |
| mischten: mit der Erinnerung an die Beleidigungen, die er selbst als | |
| Jugendlicher zu hören bekam. Und heute werde eben sein Sohn als „Zigeuner“ | |
| beschimpft. „Wir sind“, sagt er verbittert, „Deutsche ohne Land“. | |
| „Es geht im Film viel mehr um die Gegenwart, als wir am Anfang gedacht | |
| haben“, sagt Regisseur Telkmann. „Jeder einzelne Gesprächspartner berichtet | |
| von massiven Diskriminierungen.“ Zweimal bekamen die Filmemacher das ganz | |
| aus der Nähe mit: Auf dem Weg nach Oranienburg kündigte ein | |
| Campingplatzbesitzer plötzlich den gebuchten Stellplatz – er habe ja nicht | |
| gewusst, dass es sich um „Zigeuner“ handele. Und auf einem Platz in Jever | |
| drohten zwei junge Männer, abends „mit Verstärkung“ wiederzukommen – und | |
| sorgten für Angst und Panik. „Es ist kaum jemandem bewusst“, so Telkmann, | |
| „wie sehr die Erfahrungen der NS-Zeit bis heute in der jungen Generation | |
| nachwirken.“ | |
| „Ich habe etwas über Schmerz gelernt, über Trauer und Wut“, sagt Omid | |
| Mohadjeri, 23, der mit Telkmann schon „Wer ist Oldenburg?“ realisiert hat. | |
| Zu seinem filmischen Ansatz sagt er: „Ich möchte mit dem Film ohne Umwege | |
| das Herz treffen. Damit die Zuschauer über das Gefühl verstehen, wie | |
| wichtig das Thema ist. Und sich so als Teil der Familie, der Gruppe | |
| fühlen.“ Die beiden Filmemacher staunen immer noch darüber, mit welcher | |
| Offenheit die Angehörigen ihnen begegnet sind: „Diese Offenheit anderen | |
| Menschen gegenüber habe ich aus diesem Projekt mitgenommen“, sagt Telkmann. | |
| Man merkt dem Film die vertrauensvolle Atmosphäre an; dass Begegnungen und | |
| Gespräche auch weitergingen, als die Kameras ausgeschaltet waren. Die | |
| Aussagen dieser kleinen Reisegruppe erreichen tiefere Schichten des | |
| Verständnisses für die Auswirkungen des Völkermordes in der Gegenwart – mit | |
| denen so gut wie jede Sinti- oder Roma-Familie in Europa zu tun hat –, als | |
| das die meisten TV-Dokus hinbekommen. Die gemeinsame Reise hat die | |
| Nachkommen verändert, auch die Filmemacher – und der Film hat das Zeug, | |
| dies auch beim Zuschauer zu bewirken. „Ich werde diese Reise immer in | |
| Erinnerung behalten“ sagt die junge Frau auf dem grauen Sofa. „Ich bin | |
| stolz darauf, dass ich sie gemacht habe.“ | |
| 13 Dec 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ralf Lorenzen | |
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