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# taz.de -- Multiresistente Keime – ein FAQ: Bakterien sind gut gerüstet
> Die widerständigen Erreger sind nun auch in Gewässern gefunden worden.
> Das zeigt: Der übermäßige Einsatz von Antibiotika gefährdet alle.
Bild: Was bedeutet das fürs Baden?
Was ist passiert?
In niedersächsischen Badeseen, Flüssen, Bächen haben Mitarbeiter [1][des
NDR] zwölf Wasser- und Sedimentproben gezogen und im Labor untersuchen
lassen. Die Wissenschaftler fanden in allen Proben Bakterien, die teilweise
gegen mehrere Antibiotika resistent waren.
Wie gefährlich sind die Funde?
Sie zeigen, so Tim Eckmanns vom Robert-Koch-Institut, dass die resistenten
Erreger „anscheinend in der Umwelt angekommen sind und dies in einem
Ausmaß, das mich überrascht“. Antibiotikaresistente Bakterien werden in der
Umwelt zwar immer wieder nachgewiesen, aber die Ausbreitung verläuft
dramatischer als gedacht.
Würde man überall resistente Keime finden, wenn man genauer hinschaute?
Jedenfalls an vielen Orten. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Hyreka“
werden seit zwei Jahren in verschiedenen Regionen Deutschlands Gewässer,
Uferfiltrate, Grundwasser und andere „Umweltkompartimente“ systematisch
untersucht. Von diesem Projekt erhofft sich die medizinische Wissenschaft
einen Überblick darüber, welche Gewässer und Böden in welchen Regionen
besonders stark belastet sind und wo es Hotspots gibt.
Was sind Hotspots?
Darunter versteht man besonders hohe Konzentrationen von resistenten
Keimen, die in bestimmten Regionen auftreten. Es gibt auch Hotspots bei den
Ausbreitungspfaden. Stellt man nämlich die Frage, wie die vielen
Antibiotikarückstände und resistenten Keime überhaupt in die Umwelt
gelangen, identifiziert man als „heiße Pfade“ das Ausbringen von Gülle,
Dung und Gärresten aus Biogasanlagen auf die Felder. Außerdem scheiden
behandelte Tiere im Freiland über ihren Urin antibiotische Rückstände aus.
Der Regen spült sie in die Gewässer. Auch unsere Kläranlagen sind ein
zentraler Hotspot.
Können diese mit ihrer Technik die Antibiotikarückstände nicht
herausfiltern?
Nein, das gelingt nicht vollständig. Deswegen fordert das Umweltbundesamt
die Nachrüstung der Kläranlagen. Ein Milliardenprojekt. Nicht nur die
Antibiotika, auch andere gesundheitlich relevante Arzneien mit teilweise
hormonellen Wirkungen können im Klärwerk nicht effizient genug
herausgefiltert werden. Eine hundertprozentige Reinigung der Gewässer wird
allerdings auch die teure Nachrüstung nicht bringen.
Sind Antibiotikaresistenzen eigentlich menschengemacht?
Ja und Nein. Die gewaltigen Antibiotikamengen, die in der Humanmedizin und
in der Tiermast verabreicht werden, haben erst zu den alarmierenden
Zuständen geführt. Aber im Prinzip kommen resistente Keime auch in der
Umwelt auf natürliche Weise vor. Bakterien sind gut gerüstet. Sie verfügen
über die Fähigkeit, sich gegen die von anderen Organismen – zum Beispiel
von Pilzen – produzierten Antibiotika zu schützen.
Wie machen die das?
Zum einen durch Mutation: Dabei verändert sich bei der Vermehrung der
Bakterien das Erbgut. Mikroben, die genetisch besser gerüstet sind gegen
eine Antibiotikadusche, überstehen die Behandlung und können sich dann
umso besser vermehren. Zum anderen tauschen Bakterien auch untereinander
Resistenzgene aus. Sie können dabei sogar mehrere Resistenzgene in ihre
DNA einbauen. Die schützen sie gegen mehrere Wirkstoffe gleichzeitig. So
entstehen multiresistente Bakterien, die manchmal drei, vier oder noch
mehr Antibiotika widerstehen.
Und der Patient, der sich diesen Erreger einfängt, ist bald mausetot?
Nein, Multiresistenz heißt nicht, dass die Mikrobe gegen alle Antibiotika
resistent sein muss. Es bedeutet, dass sie sich gegen mehrere Mittel und
Behandlungsmethoden behauptet. In den meisten Fällen gibt es zwar noch ein
Reserveantibiotikum, das den Patienten rettet, aber nicht in allen Fällen.
Und genau diese Tür geht langsam zu. Immer mehr Krankenhäuser kämpfen gegen
multiresistente Keime (MRSA) bei lebensbedrohlich erkrankten Patienten. Wir
laufen auf eine „post-antibiotic era“ zu, warnt die
Weltgesundheitsorganisation. Eine große Errungenschaft der Medizin steht
auf dem Spiel.
Wie viele Menschen sterben jedes Jahr wegen Antibiotikaresistenzen?
Die US-amerikanische Überwachungsbehörde CDC schätzt die Zahl für die USA
auf 23.000. Die Europäische Arzneimittelbehörde hat für Europa die Zahl von
25.000 genannt.
Wie hoch ist der aktuelle Antiobiotikaverbrauch?
Nach Angaben des 2016 erschienenen Berichts „Germap – Antibiotika-Resistenz
und -Verbrauch“ werden in Deutschland in der Humanmedizin 700 bis 800
Tonnen im Jahr verbraucht. Das Verordnungsvolumen im ambulanten Sektor, das
sind Haus- und Fachärzte, macht davon 85 Prozent (500 bis 600 Tonnen) aus,
die Krankenhäuser sind für die übrigen 15 Prozent verantwortlich. Ambulant
werden jedes Jahr bei den gesetzlichen Krankenversicherungen zwischen 40
und 50 Millionen Antibiotikarezepte ausgestellt bei 920 Millionen Euro
Umsatz.
Und wie sieht’s bei Schwein, Huhn, Pute und Co. aus?
In der Tiermedizin ist der Antibiotikaeinsatz seit 2011 deutlich
zurückgegangen. Die an die Tiermedizin abgegebene Menge reduzierte sich von
1.700 Tonnen im Jahr 2011 auf 740 Tonnen 2016. Den Schwarzmarkt nicht
eingerechnet.
Ein beachtlicher Rückgang – wie ist das möglich?
Ein gutes Beispiel dafür, was der Druck der Zivilgesellschaft in Bewegung
bringen kann. Antibiotika sind zu Recht in den Mittelpunkt der Kampagne
gegen die industrielle Massentierhaltung gerückt. Dennoch sind sich NGOs,
Umwelt- und Überwachungsbehörden einig: Der Verbrauch sowohl in der Human-
als auch in der Tiermedizin muss weiter zurückgehen. In der Tiermedizin
sieht es bei den Fluorchinolonen unverändert kritisch aus. Das ist eine für
die Humanmedizin besonders wichtige Antibiotikaklasse. Entgegen dem Trend
stieg der Verbrauch dieser Antibiotika von 2011 bis 2016 um 13 Prozent.
Brauchen wir dringend neue Antibiotika?
Das wäre wünschenswert, aber die Entwicklung ist langwierig und für die
Konzerne offenbar nicht prioritär. Mit dem neu entdeckten Antibiotikum
Teixobactin gibt es immerhin einen vielversprechenden Kandidaten. Beim
derzeitigen Antibiotikaboom ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis auch
gegen diesen Wirkstoff Resistenzen auftreten.
Was machen andere Länder gegen diese Bedrohung?
Manche machen es besser. Die Verschreibungswut von Antibiotika ist etwa in
der Schweiz oder in den Niederlanden weniger ausgeprägt. Länder wie
Frankreich, Ungarn und vor allem die USA verschreiben dagegen sehr viel
mehr Antibiotika. In einigen Ländern gibt es sie auch heute noch
rezeptfrei. In den USA werden Antibiotikabeimischungen immer noch als
Wachstumsförderer in der Tiermast eingesetzt.
Okay, meine letzte Frage: Muss ich im Sommer mein Bad im See jetzt also
ausfallen lassen?
Falsche Frage! Es ist typisch, dass die Befunde aus Niedersachsen nun
vorrangig als individuelles Risiko interpretiert werden. Das ist ein
dramatisches gesellschaftliches Problem, weil sich die resistenten Keime
immer besser und schneller anpassen und ausbreiten.
Aber wenn ich beim Baden Wasser schlucke?
Dann landet das Wasser in deinem Magen, wo die Bakterien von dem dort
herrschenden aggressiven Milieu in der Regel gekillt werden. Den Rest
besorgt hoffentlich deine Darmflora.
Und wenn ich eine Hautverletzung habe?
Damit würde ich besser nicht in einem See mit resistenten Keimen baden
gehen.
9 Feb 2018
## LINKS
[1] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Gefaehrliche-Keime-in-Baechen-…
## AUTOREN
Manfred Kriener
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