# taz.de -- Mobilmachung in Russland: Wenn der Krieg sprachlos macht | |
> Mit der Teilmobilmachung erreicht Putins Feldzug gegen die Ukraine jede | |
> russische Familie. Journalisten merken, dass sie anders schreiben müssen. | |
Bild: Protest in Moskau: Ein Mann hatte sich im Dezember 2021 vor dem obersten … | |
Neun Monate nachdem russischen Truppen in die Ukraine einmarschiert sind, | |
können wir sagen, dass die russischen Medien keine ethischen Richtlinien | |
für Texte gefunden haben, um über die Katastrophe und die ganzen Folgen | |
dieses militärischen Konflikts für die Russen zu sprechen. Immer wieder | |
höre ich: „Ich lasse die Nachrichten nicht mehr an mich heran.“„Ich will | |
das nicht lesen.“ „Ich bin müde von diesen Nachrichten über den Krieg.“… | |
alles ist verständlich. | |
Seit Ende Februar [1][hat eine aggressive Informationswelle alle | |
Kommunikationskanäle erfasst]: Am häufigsten geht es um Bewegungen der | |
Frontlinien und Kriegsverbrechen, die während des Konflikts begangen | |
werden. Dies ist sicherlich eines der wichtigsten Themen, aber viele | |
humanitäre Fragen und kriegsbedingte Zerstörungen und Verheerungen bleiben | |
im Dunkeln. Darunter sind auch Texte von Russen über sich selbst. Ich habe | |
mit Leuten gesprochen, die Medien auf Russisch für Russen machen, und | |
erfahren, dass sie auch viel darüber nachdenken, wie sie mit ihrem | |
russischsprachigen Publikum innerhalb und außerhalb Russlands sprechen | |
können. | |
„[2][Vor der Ankündigung der Mobilmachung] waren die Lage an der Front und | |
Geschichten über Kriegsverbrechen die wichtigsten Informationen. Für den | |
durchschnittlichen Russen blieben sie jedoch abstrakt. Jetzt ist der Krieg | |
jedoch in jeder Familie angekommen. Man kann sagen, dass die Inhalte | |
mittlerweile zielgerichteter geworden sind. | |
Es gibt mehr Geschichten über die Rechte der Menschen, und persönliche | |
Erzählungen treten in den Vordergrund: Geschichten über den Verlust von | |
Angehörigen im Krieg. Unsere Aufgabe als Journalisten ist es, nach einer | |
Sprache zu suchen, die es uns ermöglicht, durch Empathie einen Dialog mit | |
dem Publikum aufzubauen und menschliche Tragödien zu zeigen“, sagt Sweta | |
Dyndykina von dem unabhängigen Videoprojekt ROMB. | |
Es geht um Geschichten von gewöhnlichen Russen und Versuche zu verstehen, | |
wie sie leben, warum sie in den Krieg ziehen und wie ihre Familien nach dem | |
Verlust ihrer Verwandten im Krieg leben. Viele sind auf der Suche nach | |
einem Spiegelbild ihrer Ängste und wollen ihre Emotionen mit | |
Gleichgesinnten teilen – auch um sich selbst zu verstehen. | |
Nur wenige Menschen in Russland sind in der Lage, sich unter den | |
gegenwärtigen Umständen objektiv mit Soziologie auseinandersetzen. Viele | |
Journalisten leugnen sogar die Bedeutung von Soziologen: Sie sind der | |
Meinung, dass die Russen in der gegenwärtigen Situation nicht ehrlich | |
antworten werden. | |
Es gibt Gruppen von Soziologen, die Umfragen durchführen und dafür unter | |
großen Mühen Geld sammeln, aber man bekommt einen Eindruck von den Gedanken | |
und der Stimmungslage der Russen. So haben Soziologen des Projektes | |
„Chroniken“ nach der Analyse ihrer Umfragedaten festgestellt, dass seit | |
Anfang Juli ein Wendepunkt in der Einstellung der Russen zum Krieg | |
erkennbar ist. | |
Die Unterstützung für den Krieg fällt stetig (von 54 auf 51 Prozent). Das | |
gilt auch für die Werte derjenigen, die die Mobilmachung gutheißen. Laut | |
einer Umfrage vom 29./30. September ist der Wert von Unterstützern der | |
Mobilmachung um weitere 5 Prozentpunkte gefallen. Es ist ziemlich | |
schwierig, über diese Daten zu sprechen. In den russischen Medien ist das | |
Interesse an Daten und der Arbeit von Soziologen minimal. Es ist | |
buchstäblich so: Die Bewohner einer russischen Region wissen möglicherweise | |
nicht, was in der benachbarten Region passiert. | |
Aus dem Russischen Barbara Oertel | |
14 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Xenia Babich | |
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