Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Mehr rechte Gewalt in Neukölln: Steinwürfe und Brandanschläge
> Seit Oktober gab es in Berlin-Neukölln 20 Straftaten mit rechtem
> Hintergrund. Polizei setzt Ermittlungsgruppe gegen Rechtsextremismus
> wieder ein.
Bild: Elf Brandstiftungen gab es allein in einer Nacht Mitte Januar in Neuköll…
„Es kann mich jederzeit wieder treffen“, sagt Heinz Ostermann. Der
Buchhändler spricht leise und in knappen Sätzen. „Ich habe das Gefühl,
irgendwo auf einer Liste zu stehen.“
So ganz abwegig ist seine Vermutung nicht. Auf der extrem rechten
Internetseite Politically Incorrect (PI) taucht ein Rundbrief des
Buchhändlers mit der Adresse seines Geschäfts auf. PI ist dafür bekannt,
Menschen, die sich gegen Rassismus und Faschismus engagieren, zur
Zielscheibe von Hetze zu machen.
Den Besitzer der Buchhandlung „Leporello“ in der Krokusstraße in Rudow
griffen Unbekannte gleich zwei Mal an – innerhalb von nur sechs Wochen. In
der Nacht zum vergangenen Montag haben sie sein Auto in Brand gesteckt –
direkt vor seiner Haustür in Britz. Bis auf das Heck ist sein Ford Fokus
abgebrannt. In der Nacht vom elften zum zwölften Dezember warfen sie Steine
auf das Schaufenster seines Geschäfts. Die eingeschlagenen Stellen sind mit
einem Streifen roter Folie überklebt. Einige Tage zuvor fand dort eine
Veranstaltung über die AfD statt. Die Buchhandlung ist Teil der Initiative
„Neuköllner Buchläden gegen Rassismus und Rechtsextremismus“. „Ich gehe…
extrem rechten Tätern aus“, sagt Ostermann.
## Brandsatz gegen Wohnhaus
Vieles spricht dafür, dass er mit seiner Vermutung richtig liegt. In der
Nacht, in der Steine in sein Schaufenster flogen, gab es gleich mehrere
Anschläge. Die angegriffenen Einrichtungen und Personen engagieren sich
alle gegen Rassismus und rechte Gewalt. Ein Brandsatz unter dem Rollladen
des linken Cafés „K-Fetisch“ im Erdgeschoss eines Wohnhauses in der
Wildenbruchstraße hätte vermutlich mehrere Menschenleben gekostet, hätten
Nachbarn das Feuer nicht rechtzeitig gelöscht. Und auch Privatpersonen
verschonten die Täter in jener Nacht nicht. Sie bewarfen drei Wohnungen mit
Steinen und Farbgläsern. Laut Innensenator Andreas Geisel (SPD) gab es seit
Oktober 2016 in Neukölln rund 20 Straftaten mit einem rechtsextremen
Hintergrund.
Der Anschlag auf sein Auto hat für Ostermann eine neue Qualität: „Die Täter
wissen, wo ich wohne.“ Für andere aber ist das nichts Neues. Ende letzten
Jahres schrieben Unbekannte die Namen von acht Personen an Wohnhäuser und
beleidigten sie. Alle, die es traf, leben dort. Auch sie engagieren sich in
der linken Szene. Die Täter schrieben mit der gleichen Schrift – ein
Hinweis darauf, dass es dieselben waren. Der polizeiliche Staatsschutz
ermittelt.
Neu sind rechte Übergriffe und Einschüchterungen in Neukölln nicht. Viele
Engagierte und Betroffene glauben aber, dass die Behörden das nicht ernst
genug nehmen. Matthias Müller von der „Mobilen Beratung gegen
Rechtsextemismus“ kann ihre Sorgen verstehen. „Seit fast zehn Jahren gibt
es die Gewalt der Rechten. Bis auf wenige Ausnahmen wurde niemand gefasst
und verurteilt.“
Warum aber häufen sich die Anschläge gerade jetzt wieder? Mit dieser Frage
hat sich auch die BVV am Mittwoch beschäftigt. Bis auf die CDU und die AfD
stimmten die Bezirksverordneten dafür, eine Ermittlungsgruppe der Polizei
gegen Rechtsextremismus (EG Rex) wiedereinzusetzen. Wie die Polizei der taz
mitteilte, sei es der EG Rex gelungen, bis zu ihrer Auflösung im Juli
letzten Jahres fast acht Jahre lang „Sympathisanten der rechten Szene
nachhaltig zu verunsichern“ und sie „namhaft“ zu machen.
Der Abstimmung vorangegangen waren heftige Debatten. Die AfD wollte die
rechten Anschläge mit linken auf eine Stufe setzen. Die Ermittlungsgruppe
der Polizei solle gegen alle „politisch motivierten Taten“ vorgehen. Die
CDU unterstützte sie dabei. Andere sahen darin eine Leugnung der
eigentlichen Gefahr im Bezirk.
Über fehlende Solidarität kann sich Heinz Ostermann nicht beklagen –
genauso wenig wie Detlef Fendt aus der Hufeisensiedlung in Britz. Der
langjährige Aktivist der IG Metall und seine Mitstreiter haben sich während
des Wahlkampfs im September immer wieder der NPD in den Weg gestellt. Die
Nazis filmten und fotografierten dabei Fendts Auto. Es ist das zweite, das
Unbekannte in der Nacht zum Montag in Brand steckten. Für kommenden Samstag
haben Gewerkschaften, Parteien und antirassistische Initiativen zu einer
Solidaritätskundgebung für Ostermann und Fendt in der Hufeisensiedlung
aufgerufen.
Bereits am vorletzten Donnerstag rief die Bürgerinitiative „Hufeisern gegen
Rechts“ zu einer Kundgebung auf – damals aus Solidarität mit Mirjam
Blumenthal. Rund 120 Menschen hatten sich versammelt. Unbekannte hatten das
Auto der SPD-Bezirksverordneten und Gruppenleiterin der Neuköllner Falken
vor zwei Wochen direkt vor ihrer Haustür in der Hufeisensiedlung
angezündet.
## Zwei Morddrohungen
In der Vergangenheit hat Blumenthal zwei Anrufe mit Mordrohungen bekommen.
„Die Rechten wollen die demokratische Kinder- und Jugendarbeit von uns
Falken kaputtmachen“, glaubt sie. Seit dem Brandanschlag wache sie in der
Nacht mehrmals auf. Auch in ihrem Fall lässt vieles auf einen Anschlag der
Rechten schließen. Die Neuköllner Falken waren in der Vergangenheit immer
wieder ihr Ziel. Blumenthal setzt sich offensiv gegen die NPD ein. Ihr
Engagement will die 44-Jährige jetzt erst recht nicht aufgeben. „Die
Solidarität der Menschen gibt mir Kraft.“ Zur Kundgebung kam auch
Innensenator Andreas Geisel (SPD). Am Freitag wird er die Neuköllner Falken
besuchen.
Mehrere Betroffene suchten mittlerweile die Mobile Beratung mit dem Wunsch
nach einem gemeinsamen Austausch auf. „Sie fragen sich, warum die Nazis
ausgerechnet sie zur Zielscheibe gemacht haben“, sagt Matthias Müller.
Polizei und Politiker sind seiner Meinung nach nicht mit allen Opfern
gleich solidarisch. „Es darf keine Ungleichbehandlung der
rechtsextremistisch motivierte Taten geben“, sagt Müller.
Für Jürgen Schulte von der Bürgerinitiative „Hufeisern gegen Rechts“ ist
die Botschaft hinter den Anschlägen unmissverständlich. Sie laute: „Wir
können jeden treffen. Die Nazis wollen Angst verbreiten.“ Auch Heinz
Ostermann will nicht aufgeben. Am 17. Februar gibt es in seiner
Buchhandlung eine Lesung mit der Krimiautorin Ria Klug. Die Hälfte des
Erlöses will Ostermann an „Exit Deutschland“ spenden, ein Projekt für
Aussteiger der rechtsradikalen Szene.
26 Jan 2017
## AUTOREN
Hülya Gürler
## TAGS
Rechtsradikalismus
Rechtsextremismus
Stolpersteine
Berlin-Neukölln
Schwerpunkt Neonazis
Rechtsextremismus
Berlin-Neukölln
## ARTIKEL ZUM THEMA
Brandanschlag auf Buchhändler in Berlin: Gute Nerven gegen Nazis
Heinz Ostermann ist ein aufmerksamer Bürger und ein moralischer Mensch.
Deswegen wird er von Rechtsradikalen terrorisiert.
Brandanschläge in Berlin-Neukölln: Flammen gegen Engagierte
Erneut werden in Neukölln Autos angezündet, mutmaßlich von Neonazis. Eines
der Fahrzeuge brennt direkt neben dem Wohnhaus des Opfers.
Gestohlene Stolpersteine: Gedächtnislücken in Neukölln
Wenige Tage vor dem Gedenktag an die Reichspogromnacht werden mindestens 16
Stolpersteine ausgegraben- vermutlich von Rechtsextremen. Vier Geschichten
der Opfer.
Festival gegen Rechts: Neukölln hält zusammen
Beim Festival „Offenes Neukölln“ geht es ab Freitag um Vielfalt und
Zusammenhalt und gegen Ausgrenzung und Rassismus. Der gesamte Bezirk macht
mit.
Demo gegen rechts: Ein Bezirk steht zusammen
Rechte Anschläge in Neukölln sollen die einschüchtern, die sich gegen
Neonazis engagieren. Das Gegenteil passiert: Samstag gibt es eine
Kundgebung.
Rechtsextreme Gewalt gegen Geflüchtete: Raus, du Opfer
Brandenburg will Flüchtlinge, die Opfer rechter Gewalt wurden, nicht
abschieben. Die Bundesregierung ist gegen ein solches Bleiberecht.
Brandanschläge in Neukölln: Linke erneut attackiert
In der Nacht zu Montag wurden in Neukölln erneut Brandanschläge auf zwei
Autos verübt. Sie gehören Menschen, die sich im Bezirk gegen rechts
engagieren.
Rechte Anschlagsserie in Neukölln: Der Staatsschutz ermittelt
Erneut wird Neukölln von einer offenbar rechtsmotivierten Serie von
Angriffen heimgesucht. Auch Privatadressen Linker sind Ziele.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.