# taz.de -- Medien in Russland unter Druck: Im russischen Vakuum | |
> Facebook, Twitter und Instagram sind gesperrt. Unabhängige | |
> Journalist*innen fliehen. Wie können sich die Menschen in Russland | |
> noch informieren? | |
Bild: Noch im Dezember erhielt Dmitri Muratow von der „Nowaja Gaseta“ den F… | |
MOSKAU taz | Der Bildschirm bleibt weiß. Wer in Russland die Apps von | |
Instagram, Facebook, Twitter öffnet, wer im Browser auch nur die | |
Buchstaben von unabhängigen Medien wie Meduza, tayga.info oder Doschd (TV | |
Rain) eingibt, sieht nichts als Leere. Seit russische Panzer auf Befehl des | |
russischen Präsidenten Wladimir Putin unter dem beschönigenden Begriff der | |
[1][„militärischen Spezialoperation“] die Grenze zur Ukraine überschritten | |
haben, lässt der Kreml sein Volk im Unklaren darüber, was im Nachbarland | |
passiert. Stattdessen lässt er im Staatsfernsehen Siegesgeschichten über | |
die russischen Armee verbreiten und über die angebliche Zerstörungswut der | |
ukrainischen „Nazis“ – wie in der Sprache der Propaganda letztlich alle | |
Ukrainer*innen heißen. | |
Jede Kritik daran, jede Nachricht, die sich nicht an der offiziellen | |
Verlautbarung des russischen Verteidigungsministeriums orientiert, wird als | |
Falschinformation gebrandmarkt. Ihren Verbreiter*innen drohen bis zu 15 | |
Jahre Haft. So steht es im schwammig formulierten [2][Fake-News-Gesetz], | |
das das russische Parlament Anfang März in aller Eile durchpeitschte. Am | |
Wochenende wurde das Gesetz noch erweitert. Nun darf auch die Tätigkeit | |
gewisser russischer Organe (Botschaften, Nationalgarde) im Ausland nicht | |
mehr „diskreditiert“ werden. | |
Das Gesetz gilt nicht nur für russische Staatsbürger*innen, sondern auch | |
für ausländische, was die Arbeit von Auslandskorrespondent*innen im | |
Land zusätzlich erschwert. Es kriminalisiert das journalistische | |
Grundprinzip, mehrere Quellen zu benennen. Vor allem Russlands unabhängigen | |
Journalist*innen sind dadurch in ihrer Arbeit eingeschränkt. Die Nowaja | |
Gaseta war seit dem 24. Februar die letzte noch in Russland berichtende | |
kremlkritische Zeitung gewesen, [3][an diesem Montag hat sie nun ihre | |
Arbeit vorübergehend eingestellt]. Zu groß war die Sorge, nach zwei | |
Verwarnungen durch die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor, ganz die Lizenz | |
zu verlieren. Seit Beginn der „Spezialoperation“ sind Russlands unabhängige | |
Journalist*innen in Scharen ins Ausland geflohen. Ihre Arbeit lassen | |
sie sich dennoch nicht nehmen, auch wenn sie nun vor allem aus Armenien, | |
Georgien oder Lettland über ihr Land berichten. | |
„Wir brauchen doch etwas zum Atmen“, schrieben Leser*innen der Nowaja | |
Gaseta noch vor Kurzem. „Macht irgendwas, aber lasst uns nicht allein hier | |
in diesem Loch, in dem Schwarz plötzlich Weiß heißen muss.“ Jekaterina | |
Kotrikadse vom Online-Fernsehsender Doschd sagt: „Ich hätte nicht gedacht, | |
dass der Zuspruch so groß sein würde, dass die Menschen nach Informationen | |
lechzen.“ Zusammen mit ihrem Mann Tichon Dsjadko, Chefredakteur von | |
„Doschd“, war sie nach Georgien geflohen. Kotrikadse ist gebürtige | |
Georgierin. | |
## Schlupfloch VPN | |
Der Sender ist nun Vergangenheit. „Vorerst“, wie sie betonen. Kotrikadse | |
und Dsjadko senden nun unter „KiD“ in Streams bei Youtube aus Tbilissi. | |
Ihre Doschd-Kolleg*innen wie auch die vom Radiosender Echo Moskwy, der | |
seine Arbeit nach 30 Jahren einstellen musste, haben eigene Youtube- oder | |
Telegram-Kanäle gegründet, machen Podcasts, schreiben Newsletter und | |
E-Mails und informieren so über das Geschehen in Russland und auch in der | |
Ukraine. | |
Auch Gesperrtes lässt sich lesen. Die einfachste Lösung: das Virtuelle | |
Private Netzwerk oder VPN. Damit wird der gesamte Datenverkehr durch einen | |
verschlüsselten Tunnel geleitet. Blockierungen werden umgangen. Zwar | |
existiert in Russland ein Gesetz, das gewisse VPNs verbietet, trotzdem war | |
nach dem Verbot von Facebook und Instagram die Nachfrage bei manchen | |
VPN-Anbietern bis zu 11.000 Prozent gestiegen. Denn vor allem | |
Kleinunternehmer*innen in Russland nutzen Instagram als Plattform, | |
ihre Dienste anzubieten. | |
Die Kremlloyalen im Land frohlocken derweil: Dass das Fremde ziehen müsse, | |
sei ja sogar gut. Der nächste Internet-Dienst stehe schließlich längst | |
bereit: Rossgram, das an diesem Montag für Firmenkunden gestartet ist. Das | |
Netzwerk sieht ähnlich aus wie Instagram und bietet letztlich dieselben | |
Funktionen wie die US-Vorlage, doch es sei ein „vaterländisches“ Produkt, | |
etwas „Wahres“ also. Dass Rossgram wie auch das russische Facebook-Pendant | |
Vkontakte von russischen Geheimdiensten gelesen wird, stört die Macher | |
dabei nicht. | |
30 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Inna Hartwich | |
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