# taz.de -- Marihuana-Legalisierung in den USA: Yes We Cannabis | |
> In den USA ist eine Mehrheit für die Legalisierung von Marihuana. Sind | |
> die Referenden erfolgreich, steigt der Druck, Bundesgesetze zu ändern. | |
Bild: Anbau: legal, Kredit: schwierig – Marihuana-Bauer in Colorado | |
Der 8. November 2016 ist ein Schlüsseltag für die Cannabisbewegung in den | |
USA. Das Abstimmungsverhalten am Dienstag könnte der Anfang vom Ende des | |
Marihuanaverbotes in den USA bedeuten – mit potenzieller Vorbildwirkung für | |
den Rest der Welt. | |
Nein, gemeint sind nicht die Präsidentschaftswahlen. In neun Bundesstaaten | |
finden Cannabisreferenden statt und Umfragen geben allen gute Chancen auf | |
Erfolg. In Arkansas, Florida, Montana und North Dakota wird über die | |
Legalisierung von „medical marijuana“ abgestimmt, zum medizinischen | |
Gebrauch. Das ist schon jetzt in 24, also fast der Hälfte aller | |
US-Bundesstaaten erlaubt. | |
Zusätzlich steht in fünf Staaten zur Abstimmung, den Vertrieb und Gebrauch | |
von „recreational marijuana“ – Cannabis zum entspannten Highwerden – zu | |
erlauben. Bislang sind es nur vier Staaten, die diesen Schritt gegangenen | |
sind: Colorado, Oregon, Washington und Alaska. Neu dazukommen könnten am | |
Dienstag: Kalifornien, Massachusetts, Maine, Arizona und Nevada. Sollten | |
alle Referenden durchgehen, würde ein Viertel der US-Bevölkerung in | |
Bundesstaaten leben, in denen allen über 21 das Kiffen erlaubt ist. | |
Am wichtigsten ist dabei die Abstimmung in Kalifornien. Der | |
bevölkerungsreichste Bundesstaat der USA war 1996 der erste, der „medical | |
marijuana“ legalisierte. Die Voraussetzungen für ein ärztliches | |
Empfehlungsschreiben, das zum Einkaufen in den entsprechenden Shops | |
berechtigt, sind dort die lockersten in den USA. In der Regel reicht es, | |
bei einem der „marijuana doctors“ über immer wiederkehrende unspezifische | |
Rückenschmerzen zu klagen, um die entsprechende Karte zu bekommen. | |
## Die Kandidaten tun sich schwer | |
Schon zweimal, zuletzt 2010, hatten in Kalifornien Referenden über | |
„recreational marijuana“ zur Abstimmung gestanden, die notwendige Mehrheit | |
aber verfehlt. Das soll diesmal anders werden: zuletzt gaben 58 Prozent der | |
Kalifornier*innen in Umfragen an, die „Proposition 64“ zu unterstützen. Das | |
entspricht dem Bevölkerungsanteil, der sich in den gesamten USA inzwischen | |
für Legalisierung ausspricht. | |
Allerdings machen sich bisher nur wenige Politiker*innen diese Position zu | |
eigen. Die Präsidentschaftskandidaten halten sich mit klaren Aussagen | |
zurück. Lediglich Jill Stein von den Grünen und Gary Johnson von der | |
Libertären Partei sprechen sich klar für Legalisierung aus. Das tut | |
übrigens auch Bernie Sanders, Clintons Hauptkonkurrent bei den | |
demokratischen Vorwahlen. | |
Donald Trump hatte 1990 noch deutliche Worte gefunden: „Wir verlieren den | |
Krieg gegen die Drogen. Man muss Drogen legalisieren, um diesen Krieg zu | |
gewinnen. Du musst den Drogenzaren den Profit nehmen.“ Heute sagt er | |
ungefragt gar nichts zum Thema. Und wenn er, wie während der Vorwahlen, | |
danach gefragt wird, sagt er, die Bundesstaaten sollten das entscheiden | |
dürfen. | |
Ungefähr das Gleiche ist auch aus dem Clinton-Lager zu hören: „Die Staaten | |
sind die Laboratorien der Demokratie,“ sagte sie im vergangenen Jahr. „Wir | |
haben mindestens zwei Staaten, die das gerade ausprobieren. Ich möchte | |
gerne die Ergebnisse abwarten.“ | |
Clinton meint Colorado und Washington. In Colorado ist „recreational | |
marijuana“ seit Anfang 2014 legalisiert. 2015 lag der Umsatz im legalen | |
Marihuana-Geschäft dort bei knapp einer Milliarde Dollar, Tendenz steigend. | |
Darüber, wie die Erfahrungen dort zu bewerten sind, herrscht allerdings | |
Uneinigkeit. Sicher ist, dass das Marihuanageschäft Colorado im vergangenen | |
Jahr rund 135 Millionen US-Dollar Steuereinnahmen bescherte. Rund 10.000 | |
neue Arbeitsplätze sind entstanden, in manchen Gegenden Denvers gibt es | |
mehr Marihuana-Shops als Starbucks-Filialen. | |
## Bekiffter am Steuer? | |
Was aber ist aus den Befürchtungen der Freigabegegner geworden, die auch | |
heute bei den anstehenden Referenden ins Feld geführt werden? Hier scheiden | |
sich die Geister. Manche Daten sprechen von einem Anstieg von | |
drogenbedingten Verkehrsunfällen, der Kriminalität, der Einlieferungen von | |
Patienten mit THC-Überdosierungen. | |
Legalisierungsverfechter bezweifeln die Aussagekraft der Daten. So gibt es | |
etwa noch immer keinen Schnelltest, der zuverlässig herausfinden könnte, ob | |
jemand von einem früheren Konsum noch THC-Spuren im System hat oder sich | |
tatsächlich bekifft ans Steuer gesetzt hat. Kalifornien plant, bei | |
Zustimmung zum Referendum einen Teil der zu erwartenden Steuereinnahmen in | |
die Entwicklung solcher Tests zu stecken. | |
Und die in Colorado gestiegene Zahl der Krankenhauseinlieferungen aufgrund | |
von Marihuanaüberdosierung ist vor allem Marihuanatouristen zurückzuführen: | |
Da der Bundesstaat zwar den Verkauf von Marihuana erlaubt, das Kiffen aber | |
nirgends außer in den eigenen vier Wänden gestattet ist, auch nicht im | |
Hotel, bleibt Touristen oft nur der Griff zu den „edibles“, mit THC | |
versetzten Nahrungsmitteln. Die sind aber aufgrund der verzögert | |
einsetzenden Wirkung schwerer zu dosieren, und wer die ganze Tüte | |
Hasch-Gummibärchen auf einmal isst, hat mit den Folgen schwer zu kämpfen. | |
Demnächst müssen auf den Packungen genaue Angaben über den THC-Gehalt | |
gemacht werden. Und in den meisten der anderen Staaten, die am Dienstag | |
über die Freigabe abstimmen wollen, sind Lizenzen für Cannabis-Cafés | |
vorgesehen, in denen konsumiert werden kann. | |
## Ist Marihuana „ohne medizinischen Nutzen“? | |
Sicher ist hingegen, dass die Anzahl der Festnahmen wegen Drogenbesitzes in | |
Colorado drastisch zurückgegangen ist. Das allein ist unschätzbar wertvoll | |
angesichts der Gesamtstatistik der USA: 574.641 Personen wurden im | |
vergangenen Jahr wegen des Besitzes kleiner Mengen an Drogen festgenommen, | |
besagt eine aktuelle Studie der Bürgerrechtsorganisation ACLU. | |
Demgegenüber stehen 505.681 Festnahmen wegen Gewaltverbrechen. Das macht | |
13,6 Prozent mehr Menschen, die wegen Drogenkonsums in Haft genommen | |
wurden. Darunter sind überproportional viele Schwarze, obwohl der | |
Drogenkonsum der afroamerikanischen Bevölkerung nicht größer ist als der | |
der Weißen. | |
In diesem Zusammenhang diskutieren auch die Demokraten, von Hillary Clinton | |
bis Barack Obama, die Legalisierungsvorhaben: Die Zahl der wegen minderer | |
Vergehen einsitzenden Schwarzen soll drastisch gesenkt werden. Eine | |
Cannabisreform ist eine Maßnahme dafür. Hillary Clinton will Marihuana | |
zumindest von der Liste der „Schedule 1“-Drogen gestrichen wissen – diese | |
Bundesliste bezeichnet „gefährliche Drogen ohne bekannten medizinischen | |
Nutzen“. In einem Land, wo rund die Hälfte der Bundesstaaten „medical | |
marijuana“ erlauben, ist diese Einstufung ohnehin ein Witz. | |
Der Widerspruch zu den Bundesgesetzen macht den Bundesstaaten zu schaffen, | |
in denen „medical“ oder „recreational“ Marihuana freigegeben ist. Zwar | |
hatte die Obama-Regierung sich bewusst entschieden, keinerlei Anstalten zu | |
unternehmen, um die Einhaltung der prohibitionistischen Bundesgesetze zu | |
erzwingen. | |
## Das Ende vom „Krieg gegen die Drogen“ | |
Aber: Banken etwa, die mit Marihuana-Unternehmen zusammenarbeiten, machen | |
sich im Prinzip strafbar, weshalb die meisten davor zurückschrecken. In der | |
Folge ist es für Marihuanabauern bis heute nahezu unmöglich, Kredite zu | |
bekommen. Viele der Verkaufsshops operieren ausschließlich in bar – was sie | |
wiederum zu bevorzugten Zielen von Überfällen macht. Wenn sich am Dienstag | |
tatsächlich neun Bundesstaaten für eine weitere Legalisierung von Marihuana | |
entscheiden, wird der Druck auch auf die Bundesregierung wachsen, diese | |
Probleme zu lösen. | |
Zudem würden zukünftig in einigen der wichtigsten Großstädte der USA weite | |
Erfahrungen mit dem alternativen Ansatz gesammelt werden: San Francisco, | |
Los Angeles, Boston und dem Touristenmagneten Las Vegas in Nevada. Von den | |
Erfahrungen dort wird abhängen, wie es weitergeht. Doch aktuelle stehen die | |
Chancen so gut wie noch nie, dass ausgerechnet die USA, wo der | |
zerstörerische „Krieg gegen die Drogen“ einst erfunden wurde, von innen | |
heraus zum Umdenken gebracht werden. | |
8 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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