# taz.de -- Libertärer US-Präsidentschaftskandidat: Kann er Trump stoppen? | |
> Teile der Republikaner lehnen Donald Trump ab, Hillary Clinton wählen | |
> wollen sie auch nicht. Auf ihre Stimmen kann Gary Johnson hoffen. | |
Bild: Seine Markenzeichen sind Turnschuhe und eine schnittige Sonnenbrille: Gar… | |
WASHINGTON taz | Gary Johnson hat ein Ziel vor Augen: die magische Marke | |
von 15 Prozent. Sollten die Meinungsforscher ihm bescheinigen, dass 15 | |
Prozent der amerikanischen Wähler einen Präsidenten Johnson favorisieren, | |
hätte er gleichsam den Olymp erklommen. Denn dann dürfte er neben Hillary | |
Clinton und Donald Trump an den drei Präsidentschaftsdebatten des Herbstes | |
teilnehmen. Es wäre der Ritterschlag für einen Politiker, der lange Zeit | |
nur als ein exzentrisch angehauchter Außenseiter galt. | |
Der Debattencoup ist seit einem Vierteljahrhundert niemandem mehr gelungen, | |
der nicht entweder für die Demokraten oder die Republikaner ins Rennen ums | |
Weiße Haus ging. Der letzte war 1992 Ross Perot, ein schrulliger Milliardär | |
aus Texas. Angetreten als Unabhängiger, vermasselte er George Bush Senior | |
die Wiederwahl; vor allem, weil er dem Amtsinhaber im konservativen Lager | |
das Wasser abgrub. | |
Johnson könnte nun in Perots Fußstapfen treten. Er könnte davon | |
profitieren, dass sich Teile der republikanischen Wählerschaft an dem | |
vulgären Populisten Trump reiben, gleichwohl aber nicht bereit sind, zum | |
Clinton-Lager überzulaufen. In diesem Szenario wäre der Libertäre der | |
lachende Dritte. So theoretisch klingt das alles nicht: Umfragen | |
bescheinigen dem Exrepublikaner 9 bis 10 Prozent, eine Erhebung von CBS | |
News sah ihn neulich sogar bei 12 Prozent. Das ist schon ziemlich dicht | |
dran an der magischen Marke. | |
Wer Johnson im Juli am Rande des Nominierungsparteitags der Republikaner in | |
Cleveland erlebte, sah einen Mann, der allein vom Habitus her wie der | |
Gegenentwurf zu Trump wirkt. Leise Töne, Optimismus, bisweilen gepflegte | |
Selbstironie. Seine Markenzeichen sind Turnschuhe und eine schnittige | |
Sonnenbrille. Auf Krawatten verzichtet er, wo immer er kann. Johnson will | |
amerikanische Lässigkeit ausstrahlen. | |
## Steuern senken, Rentenalter anheben | |
Nicht dass der 63-Jährige die politische Mitte bedient. Vielmehr steht er | |
für eine Philosophie, die die Aufgaben des Staates auf ein Minimum zu | |
beschränken gedenkt. Johnson will die Steuerbehörde abschaffen, Steuern | |
überhaupt drastisch senken und dafür das Rentenalter deutlich anheben. | |
Zugleich steht er für unbeschränkten Freihandel und offene Türen gegenüber | |
Einwanderern, während Trump protektionistische Hürden aufstellen und an der | |
Grenze zu Mexiko eine Mauer bauen möchte. | |
Es wäre verrückt, würde man Trumps Plänen folgen, sagt Johnson. Verrückt | |
wäre es auch, elf Millionen ohne gültige Papiere in den USA lebende | |
Migranten zu deportieren. Die Leute arbeiteten in Knochenjobs, für die sich | |
sowieso kaum ein Alteingesessener finde. Wenn Trump davon spricht, dass man | |
sich Mörder und Vergewaltiger ins Land hole, kontert Johnson mit der | |
Statistik: „Die Zahlen zeigen, diese Leute sind weniger kriminell als der | |
Durchschnittsbürger.“ | |
Das Laisser-faire eines Libertären hat der Bauunternehmer Johnson bereits | |
praktiziert, als er von 1995 bis 2003 Gouverneur des Bundesstaates New | |
Mexico war. 1999 plädierte er als einer der ersten US-Politiker von Rang | |
für die Legalisierung von Marihuana: Der sogenannte Krieg gegen Drogen | |
entpuppe sich als milliardenteures Fiasko. „Man hat euch beigebracht, dass | |
Drogen euch kirre machen“, sagte er auf einem Forum mit Studenten. „Dann | |
probiert ihr zum ersten Mal Marihuana, und so schlecht ist es nicht, es ist | |
sogar ziemlich cool. Und dann kapiert ihr, dass man euch Lügenmärchen | |
aufgetischt hat.“ Kein Wunder, dass Johnson besonders heftig applaudierte, | |
als Colorado den Anfang machte und beschloss, den Konsum von Cannabis zu | |
gestatten. Er hatte in eine Firma investiert, die unter anderem | |
Haschischkekse herstellt. | |
## Hochakrobatischer Drahtseilakt | |
Als der Exgouverneur die Reihen der Republikaner verließ, klang er wie | |
einer jener Tea-Party-Rebellen, die es dem konservativen Establishment | |
verübelten, dass es unter der Ägide George W. Bushs die Staatsausgaben | |
ausufern ließ. „Die Republikaner haben aufgehört, gute Verwalter von | |
Steuerdollars zu sein“, wetterte er. 2011 war das, und im Jahr darauf | |
kandidierte er als Bewerber der Libertarian Party erstmals fürs Oval | |
Office, wenn auch ohne den Hauch einer Chance. Für Johnson blieben nur | |
Krümel, knapp 1 Prozent der Wählerstimmen. Es gab damals keinen Spalter wie | |
Trump. Stattdessen gab es Mitt Romney, mit dem sich sowohl die Führung als | |
auch die Basis der Partei problemlos arrangierte. | |
Die Republikaner und ihr Kandidat – diesmal erinnert es an einen | |
hochakrobatischen Drahtseilakt. Da sind Senatoren, die fürchten, von Trump | |
in den Strudel einer Wahlniederlage historischen Ausmaßes gerissen zu | |
werden. Sechs der 54 Konservativen im US-Senat haben sich öffentlich von | |
dem Mann mit dem auffällig geföhnten Haar distanziert. Am deutlichsten | |
Susan Collins, eine Parlamentsveteranin aus Maine, die traditionell zu | |
denen gehört, die noch am ehesten bereit sind, über die Parteienschluchten | |
Washingtons hinweg Brücken ins demokratische Lager zu schlagen. | |
Sie habe gehofft, im Wahlfinale gegen Hillary Clinton einen anderen Donald | |
Trump zu sehen als den Rüpel der Primaries – „einen, der sich auf Jobs und | |
die Wirtschaft konzentriert, der seine Rhetorik dämpft und, ja, sich für | |
seine cholerischen Tiraden entschuldigt“. Die unangenehme Wahrheit sei, | |
dass es keinen neuen Donald Trump geben werde, [1][schrieb Collins in der | |
Washington Post]. Der offene Brief, in dem 50 republikanische Experten für | |
Außen- und Sicherheitspolitik – zumeist Regierungsmitglieder – vor der | |
Unberechenbarkeit eines Präsidenten Trump warnten, hat eine Debatte | |
ausgelöst, wie es sie so noch nie gab. | |
## Welche Notbremsen gibt es? | |
Im Kern läuft es auf die Frage hinaus, welche Notbremsen es für den Fall | |
gibt, dass ein derart aufbrausender Mensch qua Verfassung die Kontrolle | |
über den Koffer mit dem Atomwaffencode bekommt. Als Trump indirekt zur | |
Gewalt gegen Clinton aufrief und Obama den Gründer des IS nannte, brachte | |
Peggy Noonan, eine frühere Redenschreiberin Ronald Reagans, [2][die | |
Reaktion der republikanischen Parteigranden im Wall Street Journal den | |
Punkt]: „Das ist die Woche, in der sie beschlossen haben, dass Donald Trump | |
verrückt ist.“ | |
Nur um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen: Die verspätete Revolte | |
hat nicht zur Folge, dass die Aufständischen zu Clinton überlaufen. Die hat | |
mit der grünen Kandidatin Jill Stein übrigens ein ähnliches, wenn auch | |
deutlich kleineres Problem; Stein kommt in Umfragen auf lediglich 3 bis 4 | |
Prozent. Nur einige wenige Republikaner haben angekündigt, nunmehr für die | |
Demokratin Clinton stimmen zu wollen, etwa Meg Whitman, die | |
Hewlett-Packard-Managerin, oder Richard Hanna, ein Kongressabgeordneter aus | |
dem Bundesstaat New York. Für die meisten, auch wenn sie mit Trump hadern, | |
ist die innere Hemmschwelle für eine solche Fahnenflucht einfach zu hoch. | |
Vielleicht liegt dort die Chance des Gary Johnson. Vielleicht ist er es, | |
der von der inneren Zerrissenheit seiner früheren Parteifreunde profitiert. | |
Und dann ist da noch Evan McMullin, ein 40 Jahre alter Exgeheimdienstler, | |
der wie aus dem Nichts auf der politischen Bühne aufgetaucht ist. Als er | |
seine Kandidatur fürs Weiße Haus bekanntgab, war er selbst für | |
Washington-Insider ein unbeschriebenes Blatt. Elf Jahre lang hat er für die | |
CIA an Undercover-Operationen in Krisengebieten mitgewirkt, wie seine | |
Kurzbiografie vermerkt, ohne Details zu nennen. Danach wurde er Banker bei | |
Goldman Sachs, zuletzt arbeitete er für die republikanische Fraktion im | |
Repräsentantenhaus. McMullin ist ein Protegé Mitt Romneys, der ihn 2012 in | |
sein Wahlkampfteam holte. Mormone wie Romney, rechnet er sich gewisse | |
Chancen in Utah aus, der Hochburg der Kirche Jesu Christi der Heiligen der | |
Letzten Tage. | |
Mit seinen mehrheitlich stramm konservativ gesinnten Bewohnern gilt der | |
Staat am Großen Salzsee eigentlich als sichere Bank für die Republikaner, | |
als eine der sichersten überhaupt in den Vereinigten Staaten. Weil aber | |
viele Mormonen – strengen Moralvorstellungen verpflichtet – mit Trump über | |
Kreuz liegen, könnte McMullin dem Milliardär dort das Wasser abgraben. Und | |
obwohl Utah gerade mal sechs der 538 Wahlmänner und Wahlfrauen stellt, | |
deren Votum de jure die Wahl entscheidet: Im Falle eines knappen Ausgangs | |
könnten sie das Zünglein an der Waage sein. | |
25 Aug 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://www.washingtonpost.com/opinions/gop-senator-why-i-cannot-support-tr… | |
[2] http://www.wsj.com/articles/the-week-they-decided-he-was-crazy-1470354031 | |
## AUTOREN | |
Frank Herrmann | |
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