| # taz.de -- Luisa Neubauer übers Wählen und Kämpfen: „Wenn nicht wir über… | |
| > Wo sind nur die Klimakanzler*innnen hin? Luisa Neubauer erklärt, wie | |
| > Klimaschutz zum Sündenbock geworden ist. | |
| Bild: Luisa Neubauer in Protest-Robe auf dem Berliner Presseball | |
| taz: Frau Neubauer, besseren Klimaschutz fordert im Wahlkampf derzeit | |
| niemand so wirklich, jedenfalls nicht laut. Das war 2021 noch anders: Da | |
| wollten alle Klimakanzler*in werden. | |
| Luisa Neubauer: Ja, [1][vor vier Jahren] wollten alle Klimakanzler werden. | |
| Vor acht Jahren nicht. Was vor vier Jahren möglich gemacht wurde, war | |
| Handarbeit von ganz vielen Menschen und Institutionen und Leuten, die nicht | |
| aufgegeben haben. 2021 war man sich einig: Die Arbeitsgrundlage, auf der | |
| wir in diesem Wahlkampf verhandeln, ist ein Mindestmaß an | |
| Wissenschaftsakzeptanz und am Pariser Klimaabkommen. | |
| taz: Dieser Anspruch an den politischen Diskurs ist weg. | |
| Neubauer: Dieser Wahlkampf findet erschreckend weit weg von der Realität, | |
| von der Klimawissenschaft, auch von vielen menschenrechtlichen Fragen | |
| statt. Das hat eine neue politische Parallelwelt eröffnet. Jetzt sind wir | |
| in einem Wahlkampf, in dem weite Teile der Beteiligten probieren, mit dem | |
| Planeten verstecken zu spielen. „Ich seh dich nicht, du siehst mich nicht.“ | |
| taz: Noch 2023 war laut Umfragen für viele in Deutschland [2][Klimaschutz] | |
| das wichtigste Thema. Warum hat sich das geändert? | |
| Neubauer: Ich halte ganz wenig von diesen Rankings. Ich finde es pervers, | |
| die Sorgen der Menschen gegeneinander auszuspielen. In einer Zeit der | |
| multiplen Krisen, der Polykrise, attestieren uns diese Rankings vor allem: | |
| Die Leute haben einfach zu viel auf ihren Schultern liegen. Daraus würde in | |
| meinen Augen erst mal der Anspruch folgen, den Menschen das Leben leichter | |
| zu machen. | |
| taz: Und dann wollen alle wieder das Klima schützen? | |
| Neubauer: Das Klima ist nicht alles, aber ohne Klima ist alles nichts. Es | |
| hängt mit allem zusammen. Eine andere große Krise ist die Krise der | |
| Wahrheit. Wenn man heutzutage Menschen fragt, was ihnen gerade wichtig ist, | |
| sind das dann die realen Sorgen, die sie empfinden? Oder sind es die | |
| gefühlten Sorgen, die uns Springer-Propaganda und Fake News im Internet um | |
| die Ohren geworfen haben, bis sie uns aus den Ohren rauskommen? Ich bin | |
| sehr vorsichtig damit geworden, die sogenannte öffentliche Meinung als | |
| schwarz und weiß zu sehen, weil sie unter solchen Beschuss geraten ist. Und | |
| scheinbar hat man sich im rechtspopulistischen und rechtsradikalen Lager | |
| geeinigt, die Klimakrise als das Aushängeschild dafür zu nehmen, was in | |
| deren Augen alles falsch läuft mit der Welt. | |
| taz: Warum ausgerechnet das Klima? | |
| Neubauer: Unter anderem, weil wir in Sachen Klimaschutz sehr erfolgreich | |
| waren. Klima, Rechtsradikalität und der Kampf gegen die Wahrheit kommen in | |
| dem Moment zusammen, wo fossile Akteure – fossile Industrien, aber auch | |
| ihre Verbündeten in Medien, Politik und so weiter – in den letzten Jahren | |
| feststellen mussten: Oje, mit dem Klimaschutz geht es tatsächlich voran. | |
| Die Erneuerbaren waren erstmals eine echte Konkurrenz für den ganzen | |
| fossilen Komplex. Und wir wissen, wie eng die Netze sind zwischen fossiler | |
| Industrie, Klimaleugnern und Rechtsradikalen. | |
| taz: Es sind aber nicht nur Rechtsradikale, die weniger Klimaschutz wollen, | |
| sondern auch CDU, FDP und SPD. | |
| Neubauer: Es ist in den letzten Jahren nicht gelungen, dafür zu sorgen, | |
| dass jede demokratische Partei sich aus ihrer eigenen Ideologie heraus | |
| authentisch und motiviert dem Klimaschutz zuwendet. Das heißt, zu viele | |
| Parteien meinen bis heute bei diesem Thema nur verlieren zu können. Das | |
| macht total anfällig. Das sorgt dafür, dass Markus Söder an einem Tag einen | |
| Baum umarmt und sich am nächsten Tag in ein Schnitzel verwandelt. | |
| Klimaschutz als Kindertheater, weil es keine Ernsthaftigkeit in der Sache | |
| gibt. Die Konsequenz davon sehen wir gerade im Wahlkampf. Die Akteure, die | |
| sich vor drei Jahren noch als Klimakanzler plakatiert haben, die sagen | |
| jetzt, ach nee, doch nicht. Das ist nicht nur für das Klima ein Problem, | |
| sondern auch für eine Demokratie. Parteien, die reihenweise ihre eigenen | |
| und die globalen Klimaversprechen verspielen, nicht zuletzt Vertrauen der | |
| Menschen in die Politik. | |
| taz: Auch die Grünen machen keinen Wahlkampf mit Klimaschutz. | |
| Neubauer: Ja, das machen die nicht. Das können wir erst mal stehen lassen. | |
| Ist ein Problem, hilft niemandem. | |
| taz: Und wenn es die Grünen nicht tun, redet niemand übers Klima. | |
| Neubauer: Das stimmt nicht. Wer gerade über das Klima redet, sind die AfD, | |
| weite Teile der CSU und der Freien Wähler. Es gibt eine Gruppe in | |
| Deutschland, die redet den lieben langen Tag über praktisch nichts anderes: | |
| die Rechtspopulisten, Rechtsradikalen und alles, was sich drumherum | |
| orientiert. Dass wir denken, es redet niemand übers Klima, und deswegen | |
| ganz leise werden, ist natürlich deren großer Traum. Weil das heißt, dass | |
| sie auf einmal eine eigene Agenda in Sachen Klima diktieren. | |
| taz: Die Grünen könnten wenigstens versuchen, sich dagegenzustellen. | |
| Neubauer: Es wäre natürlich absolut notwendig, dass die Grünen noch viel | |
| selbstbewusster und ernsthafter hervorstechen. Man muss aber differenzieren | |
| können, was in einem Grünen-Wahlprogramm steht und was in einem | |
| CDU-Wahlprogramm steht. Und es muss möglich sein, anzuerkennen, dass | |
| wenigstens im Wahlprogramm bei den Grünen abzulesen ist, dass sie wirklich | |
| weiter nach vorne gehen wollen mit dem Klimaschutz, auch wenn es bei Weitem | |
| nicht genug ist. | |
| taz: Unter der Ampel ging es mit den Erneuerbaren gut voran, aber die Leute | |
| merken auch nicht unmittelbar, was für Strom aus ihrer Steckdose kommt. Wie | |
| sie heizen oder zur Arbeit kommen, das merken sie schon, und bei Verkehr | |
| und Gebäuden hakt es beim Klimaschutz immer noch gewaltig. | |
| Neubauer: Der Anspruch kann nicht sein, dass die Menschen von Klimaschutz | |
| nichts mitbekommen dürfen. Die Welt dröhnt aus allen Rohren, die Leute | |
| kriegen das mit. Und daran möchte man sich jetzt vorbeimogeln, dass wir 100 | |
| Jahre Entwicklung der Gesellschaft auf grün drehen und die Wirtschaft | |
| umbauen? Ich halte die Frage, wie genau man diese Transformation schafft, | |
| im Kern für verlogen, weil wir es bis heute nicht geschafft haben, uns | |
| darüber klar zu werden, in welcher Lage wir eigentlich sind. | |
| taz: Aber wir können doch nicht warten, bis sich alle einig sind. Irgendwie | |
| müssen wir schnell diese Heizungen austauschen, wenn wir die Emissionen im | |
| Gebäudesektor senken wollen. | |
| Neubauer: Es gibt diese technische Dimension, und die muss gelöst werden. | |
| Aber mindestens genauso wichtig ist eine Klarheit darüber, warum wir das | |
| machen. Wenn wir nur noch eine Technokraten-Debatte führen, dann sagt | |
| einer, ich habe heute gar keinen Bock darauf. Dann können die anderen | |
| sagen, ach ja, stimmt, dann machen wir das auch nicht. Das passiert, wenn | |
| man die Klimadebatte isoliert von der Klimakrise. Letztes Jahr gab es den | |
| Trend, zu sagen, wir reden einfach weniger übers Klima, dann sind die | |
| Menschen weniger vom Klima genervt. Aber Überraschung: Wenn nicht mehr wir | |
| übers Klima reden, dann machen es die Rechten. Und die sagen uns, dass das | |
| alles totaler Quatsch ist. | |
| taz: Wie wollen Sie dem begegnen? | |
| Neubauer: Es geht um die Geschichte, die wir erzählen. In dem Augenblick, | |
| in dem Klimaschutz eine Gemeinschaftsaufgabe wird, wenn man sagt, wir | |
| machen das heute gemeinschaftlich, und im ganzen Land wurden schon so und | |
| so viele Wärmepumpen installiert, so und so viele Menschen haben jetzt | |
| Zugang zu erneuerbarem Strom und so weiter – da wird es auf einmal ein | |
| Gemeinschaftswerk, hinter dem wir uns versammeln können, sodass es ein | |
| Gefühl von Freiheit und Zusammenhalt und Zukunft geben kann. | |
| taz: Aber das ist doch, wovon Sie die Leute seit 2018 überzeugen wollen. | |
| Und es scheint nicht auf voller Linie funktioniert zu haben. | |
| Neubauer: Die Arbeit von der Bewegung und mir ist wichtig und notwendig | |
| und, soweit wir das überblicken können, auch auf vielen Ebenen erfolgreich. | |
| Aber, sorry to say, wir können nicht allein gegen Teile einer Medienwelt | |
| anbrüllen, die bis heute Klimarealitäten verdreht. Und wir können auch | |
| nicht eigenhändig das überspielen, was von rechtspopulistischer, | |
| rechtsextremer und fossiler Propaganda produziert wird. In dem Sinne | |
| blicken wir selbstbewusst auf die letzten sechs Jahre, in denen wir weiter | |
| gekommen sind als in vielen Jahren davor. Und so gesehen ist es ein Wunder, | |
| dass es bis heute eine stabile Mehrheit in Deutschland gibt, die sagt, wir | |
| wollen Klimaschutz, wir wollen Klimaziele einhalten und wir wollen die | |
| Transformation. | |
| taz: Und trotzdem fühlen sich viele Menschen gerade machtlos angesichts der | |
| Attacken gegen den Klimaschutz. | |
| Neubauer: Engagement im ganz Kleinen oder im ganz Großen ist wichtig, in | |
| Zeiten, in denen es gut läuft. Aber viel entscheidender ist, was man macht, | |
| wenn es gerade nicht gut läuft. Die Zeiten werden sich nicht automatisch | |
| bessern, und es wird nicht auf einmal wieder der Schalter gedrückt für mehr | |
| Klimawissenschaft und Verteidigung der Demokratie, es wird sich nicht | |
| drehen, ohne dass sich Menschen bewegen. Jetzt ist Fleißarbeit gefragt. Es | |
| ist gerade eine wirklich harte Zeit, manche da draußen wollen zunehmend das | |
| Licht ausschalten und setzen auf unsere Resignation. Und glücklicherweise | |
| ist das alles, was wir wissen müssen, um uns reinzuhängen. | |
| 19 Jan 2025 | |
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