# taz.de -- Liberace-Biopic von Steven Soderbergh: Kaputt am Kerzenständer | |
> In „Liberace“ erzählt Soderbergh von einem Entertainer, der sein | |
> Schwulsein verbarg – und seinen Geliebten dazu brachte, sich ihm | |
> anzuverwandeln. | |
Bild: Michael Douglas als „Liberace“, mit dem berühmten Kerzenständer, de… | |
„Bemerken die wirklich nicht, dass er schwul ist?“, fragt Scott Thorson | |
(Matt Damon) den Filmproduzenten Bob Black, als die beiden Ende der | |
Siebzigerjahre eine Vorstellung des Showpianisten Liberace (Michael | |
Douglas) besuchen. Dessen Fanbase scheint vor allem aus Damen | |
fortgeschrittenen Alters zu bestehen, die ihre Söhne vermutlich schon beim | |
Zweifel an deren Heterosexualität enterbt hätten. | |
Gleichzeitig bejubeln sie den flamboyanten Entertainer, der seine | |
Sexualität in plain sight, auf den Bühnen Amerikas, versteckt – und | |
juristisch gegen alle zu Felde zieht, die nur die leisesten Zweifel an | |
seiner aufwändig konstruierten Medienheterosexualität anmelden. | |
Dass Homosexuelle vor nicht allzu langer Zeit zu derart absurden | |
Verrenkungen selbst dann noch gezwungen waren, wenn sie ansonsten alle | |
ökonomischen und sozialen Freiheiten genießen konnten, zeigt Steven | |
Soderberghs Liberace-Biopic, das im Original „Behind the Candelabra“ heißt. | |
Hinter dem Kerzenständer, den der Pianist schon früh in seiner Karriere auf | |
seinem Instrument platziert, findet der Film kein Geheimnis, das es mit | |
großer Geste zu enthüllen gäbe; sondern nur ein beschädigtes Leben, das mit | |
narzisstischen Überkompensationen auf eine gesellschaftliche Gewalt | |
reagiert, gegen die es von Anfang an chancenlos war. | |
Scott Thorson, der junge Mann, den Liberace als Liebhaber bei sich in einer | |
Kitschvilla aufnimmt, steht der Sinn nicht nach Charaden. Er hat kein | |
Interesse daran, einen Teil von sich abzuspalten. | |
Da er nur alles geben kann oder nichts und da er, als armer, elternloser | |
Schlucker, nichts zu verlieren und auch nichts zu geben hat außer sich, | |
gibt er schließlich alles, verschreibt sich seinem Gönner buchstäblich mit | |
Haut und Haaren: Ein Chirurg operiert ihm Liberaces Gesicht übers eigene | |
(er besteht nur auf einer negativen Differenz: Sein eigenes Kinngrübchen, | |
ein paar Quadratmillimeter zurückweichende Haut, möchte er nicht hergeben), | |
als wächsern-jugendlicher Doppelgänger des seinerseits vielfach | |
schönheitsoperierten Starpianisten wandelt er fortan durch die Showbiz-Welt | |
und verliert dabei auch noch den allerletzten Halt. | |
Thorsons Weg vom entspannten California-Player zum koksbefeuerten | |
Maskengesicht hat eine historische Dimension: Steven Soderberghs Film | |
vollzieht als Groteske nach, wie die von den Gegenkulturen der Sechziger | |
und Siebziger vernachlässigten Körper in den Achtzigern durch Fitnesswahn | |
und Chirurgie wieder produktiv gemacht werden für einen Kapitalismus, der | |
immer umfassender auf seine Subjekte zugreift. | |
Und schließlich selbst die leibliche Individualität zugunsten einer | |
Warenförmigkeit auflöst – wovon auch schon frühere Soderbergh-Filme, | |
insbesondere das Prostitutionsdrama „The Girlfriend Experience“ und der | |
Stripperfilm „Magic Mike“ handelten. | |
## Großartige Schauspieler | |
Anders allerdings als in diesen beiden und anderen Vorgängerwerken lässt | |
Soderbergh in seinem neuen Film die hemdsärmeligen, salonkommunistischen | |
sozioökonomischen Analysen im Zweifel stets hinter die Eigenwerte des | |
Dramas zurücktreten. Zunächst hinter das großartige Schauspiel seiner | |
beiden Hauptdarsteller und auch hinter das Spiel der zahlreichen Gaststars | |
– allen voran: Rob Lowe, dessen Gesicht die Achtziger nie vergessen zu | |
haben scheint; durchaus auch hinter jede Menge liebevoll nachgestellten | |
schwulen Showbiz-Chic; und schließlich hinter die Hommage an die | |
historische Person Liberace, der der Film ganz am Ende ein bezauberndes | |
Erinnerungsbild schenkt, wenn er den Pianisten ein letztes Mal an | |
unsichtbaren Fäden befestigt von der Bühne schweben lässt. | |
Vielleicht hat diese neue Bescheidenheit damit zu tun, dass Soderbergh | |
inzwischen Ernst gemacht hat mit seinem angekündigten Rückzug vom Kino; | |
Liberace ist streng genommen der erste Film nach diesem Rückzug: eine | |
Fernsehproduktion für den Pay-TV-Sender HBO, die lediglich in Europa einen | |
regulären Kinostart erhält. | |
Die Intimität des Fernsehens scheint selbst im Zeitalter des „cinematic | |
television“ nach anderen, nach kleineren, menschlicheren Bildern zu | |
verlangen; im Fernsehen begegnen sich Zuschauer und Figuren grundsätzlich | |
auf Augenhöhe, die Regie hat nicht so viele Möglichkeiten, sich zwischen | |
beide und in den Vordergrund zu drängen. | |
Wie dem auch sei: Es war wirklich nicht zu erwarten, dass Soderbergh, ein | |
Regisseur, dessen Filme ansonsten immer allzu kühl abgezirkelt wirken, wie | |
Beweisführungen für eine von Anfang an feststehende These, tatsächlich eine | |
kleine Ahnung davon geben würde, was für ein Schock das Aufkommen von AIDS | |
in den Achtzigerjahren gewesen sein muss. Wie es überhaupt ein kleines | |
Wunder ist, dass aus der im Kern ziemlich grausamen Konstellation, die | |
Liberace vor einem ausbreitet, bewegendes Kino geworden ist. | |
Ein Film, der anerkennt, dass Liebe auch weh tun kann, wenn sie der | |
Berechnung entspringt und in chirurgisch gestrafften Gesichtszügen keine | |
Spuren mehr hinterlassen kann. | |
3 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Lukas Foerster | |
## TAGS | |
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Michael Douglas | |
Matt Damon | |
Kinofilm | |
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