# taz.de -- Ein Festival von Breitbildfilmen: Sandale und Saufgelage | |
> Filmgeschichte, durch den Filter der Technik wahrgenommen: Das gab es | |
> beim Todd-AO-Festival in Karlsruhe, das 70mm-Kopien vorführte. | |
Bild: Extrabreit: Im Karlsruher Schuburg-Kino läuft „Lord Jim“ (1965), ein… | |
Als das Todd-AO-Festival im Karlsruher Kino Schauburg vor neun Jahren zum | |
ersten Mal stattfand, befand sich die Digitalisierung des Kinos noch in | |
ihrer Frühphase: Zwar war elektronische Technik in fast allen | |
Arbeitsschritten der Filmproduktion schon weit verbreitet, in den Kinos | |
selbst wurde jedoch fast durchweg noch analog, von Filmrollen projiziert. | |
Diesen Herbst haben die großen Kinoketten ihre analogen Projektoren | |
endgültig stillgelegt, erstmals gehen fast alle regulären Kinovorführungen | |
von Festplatte oder Disc vonstatten; unter diesen Voraussetzungen gewinnt | |
das Liebhaberfestival, das sich dem klassischen Zelluloidfilm – und dann | |
auch noch einer besonders eindrucksvollen Spielart des Zelluloidfilms – | |
verschrieben hat, einen ganz eigenen Reiz, schon, weil viele Filmkopien, | |
die in Karlsruhe vorgeführt werden, bei dieser Gelegenheit zum letzten Mal | |
überhaupt einen Projektor durchlaufen dürften. | |
Das Kriterium, nach dem das Festival sein (überschaubares, angenehm locker | |
über drei Tage verteiltes) Programm auswählt, ist tatsächlich ein rein | |
technisches: In Karlsruhe werden nur Filme gezeigt, die historisch von | |
70mm-Kopien, einer von den Fünfzigern bis in die Achtzigerjahre | |
verbreiteten Breitbildtechnik, aufgeführt wurden. | |
## Unübertroffen im Detailreichtum | |
Nicht alle, aber die meisten dieser Filme wurden auch auf 70mm gedreht – in | |
einem Verfahren, das bis heute nicht übertroffen wurde, was Detailreichtum, | |
Schärfe und Farbstärke angeht (zumindest in der Theorie – die meisten | |
Kopien sind inzwischen ausgeblichen), weder von analogen noch von digitalen | |
Techniken. Und das in dem technisch ausgezeichnet ausgestatteten Kinosaal | |
in Karlsruhe besonders brillant zur Geltung kommt. | |
Wie die 70mm-Projektoren selbst ist das Festival erst einmal (fast) | |
indifferent gegenüber der ästhetischen und thematischen Eigenheiten der | |
Filme, die auf ihm projiziert werden. Man mag das für bloße Willkür halten, | |
in gewisser Weise hat aber gerade diese partielle Blindheit einen eigenen | |
Reiz: | |
Wo Filmgeschichte andernorts über einzelne Regisseure, wichtige | |
Nationalkinematografien, Genres, Strömungen und so weiter vorgeordnet und | |
meist unreflektierten kulturellen Hierarchisierungen unterworfen wird, | |
steht in Karlsruhe ein anerkannter Klassiker wie Stanley Kubricks in 70mm | |
gleich noch einmal deutlich wuchtigere Sandalenfilm „Spartacus“ neben einer | |
Obskurität wie „Du bist min“, einem komplett vergessenen | |
singulär-megalomanischen Dokumentar-Prestigefilm aus der DDR, der mit | |
einigem Pathos die Vorzüge des kleineren der beiden deutschen Staaten | |
entlang der Biografie einer Deutschlehrerin nacherzählt. | |
Als Film nur bedingt erträglich, als ideologiehistorisches Dokument | |
einzigartig. Solche Konfrontationen finden sich im Programm nicht, weil | |
jemand sie besonders interessant gefunden hätte, sondern einfach nur, weil | |
von beiden Filmen im selben Jahr 70mm-Kopien auffindbar waren. | |
## Mit infernalischer Konsequenz | |
Die Filmgeschichte einmal komplett durch den Filter der Technik | |
wahrzunehmen, verschafft einem überraschende Begegnungen, denen man sich | |
ansonsten eher nicht aussetzen würde: Andrew L. Stones „The Great Waltz“, | |
ein aufwändig produziertes und reichlich zähes Johann-Strauß-Biopic, wollte | |
1972, in der Hochphase von New Hollywood, einerseits zurecht kaum einer | |
sehen. | |
Andererseits kann man heute mit dem in Details ziemlich bizarren Film, der | |
auf ein Saufgelage in einem Weinkeller zuläuft, bei dem der „Zwang zur | |
Lebensfreude“, den der Voice-Over-Sprecher eingangs fordert, in | |
infernalischer Konsequenz durchexerziert wird, durchaus seinen Spaß haben – | |
was man da sieht, ist das klassische Hollywoodkino in seinen allerletzten | |
Zuckungen, den Gnadenschuss regelrecht herbeisehnend. | |
Glücklicherweise lassen sich die meisten Filme des Programms auf | |
unkompliziertere Art und Weise genießen. Ein Höhepunkt des diesjährigen | |
Festivals war „Goya – oder Der arge Weg der Erkenntnis“ von Konrad Wolf, | |
eine weitere Produktion aus der DDR, wo in den 1960er-Jahren eine eigene | |
70mm-Technik entwickelt wurde – das weltweit erst dritte System nach dem | |
amerikanischen und dem sowjetrussischen. | |
## Ein Auftragsmaler am spanischen Hof | |
„Goya“ ist weit entfernt von der ausstattungsintensiven Schwerfälligkeit, | |
die man bei einem solchen Projekt erwarten könnte. Wolfs Film bricht seine | |
von Anfang an lose Dramaturgie immer weiter auf, irgendwann landet man gar | |
in einem delirierenden Acid-Western. Statt die lineare Genese eines Genies | |
nachzuzeichnen, löst „Goya“ die Biografie des spanischen Künstlers in | |
kurzen, dynamischen Szenen auf, die sich nie zu einem kohärenten | |
Psychogramm zusammensetzen; ganz im Gegenteil: Zu Beginn, als Auftragsmaler | |
am spanischen Hof, scheint die Hauptfigur saturiert und mit sich selbst | |
glücklich. | |
Die Störungen kommen von außen, von der Welt; zum genuinen Künstlersubjekt, | |
zu einem Maler, der mit den Konventionen der Repräsentationskunst seiner | |
Zeit bricht, kann Goya nur werden, indem er die sichere Rückzugsposition | |
einer mit sich selbst identischen Subjektivität aufgibt. Am Ende steht das | |
Porträt einer in ihrem Innern schizophrenen Gesellschaft, das in den | |
grandios scharfen 70mm-Bildern umso exaltierter schillert. | |
26 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Lukas Foerster | |
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